Richard Flanagan: "Der schmale Pfad durchs Hinterland"
Roman. Aus dem australischen Englisch von Eva Bonné
Piper, München 2015
438 Seiten, 24 EUR
Überleben in der asiatischen Hölle
Die Schrecken des Krieges und die heilsame Kraft der Imagination: Richard Flanagan erzählt in seinem preisgekrönten Roman "Der schmale Pfad durchs Hinterland" von einem australischen Soldaten, der im Zweiten Weltkrieg in japanische Gefangenschaft gerät.
"Auf der Strecke" haben sie gearbeitet. Auf der Strecke sind Zigtausende von ihnen gestorben. Dem Andenken derer, die 1942/43 beim Bau einer wahnwitzigen, nicht umsonst "Death Railway" genannten Eisenbahn-Verbindung zwischen Siam und Burma im Wortsinne auf der Strecke geblieben sind, ist Richard Flanagans Roman "Der schmale Pfad durchs Hinterland" gewidmet - und ihnen hat er damit ein würdiges literarisches Denkmal errichtet.
Eine Schneise durch den Dschungel, durch dornigen Bambus und Teakholz mussten damals australische Soldaten in japanischer Kriegsgefangenschaft schlagen: ein Martyrium im Akkord im sumpfig-tückischen Gelände, im "Malarianebel" und Dauerregen des Monsun.
Mit großer Empathie für das Leiden dieser "Sklaven des Gelben Mannes" wie für die Motive ihrer Peiniger zeichnet Flanagan ein geradezu danteskes Bild der "asiatischen Hölle". Hier herrscht "als einziger Gott die Gewalt". Viele der jungen Rekruten verwandeln sich binnen weniger Monate in "scheißende Skelette", torkeln ausgemergelt durch den schlammigen, undurchdringlichen Urwald, werden zu Tode geprügelt von sadistisch veranlagten Aufsehern, krepieren an Cholera.
Im Lazarett des Gefangenenlagers versucht Alwyn Dorrigo Evans, ein aus Tasmanien stammender Sanitätsoffizier, seine Landsleute am Leben zu halten, oft vergeblich.
Liebhaber der Lyrik
Evans ist die höchst spannende Hauptfigur in diesem Roman. Er ist ein Liebhaber der Lyrik, gerade der von Tennyson und Kipling: eine Leidenschaft, die er teilt mit seinem Gegenspieler, dem japanischen Lager-Kommandanten Tenji Nakamura, nur dass der Haikus und Haibun schätzt (wie sie sich bei Kobayashi Issa finden oder in jenem Reisetagebuch Matsuo Bashos von 1689, das diesem Roman den Titel gibt: "Der schmale Pfad durchs Hinterland").
Nolens volens wird er zum Anführer des Gefangenentrupps "Evansʼ J Force", an ihn klammert sich die Hoffnung aller anderen. Psychologisch feinfühlig schreibt Richard Flanagan:
"Er glaubte nicht daran, es schaffen zu können, aber die anderen glaubten es. Und wenn er an ihren Glauben glaubte, könnte er sich vielleicht, so wie sie, an sich selbst festhalten."
Um falschen Vermutungen vorzubeugen: Es handelt sich hierbei um alles andere als Landser-Prosa, die tumb der Kameraderie ein Loblied singt, wenngleich Flanagan plastisch und glaubhaft darstellt, wie wichtig für das Überleben des Einzelnen der Zusammenhalt der Gemeinschaft ist. Dieses Buch ist ein Beleg dafür, wie vielschichtig die Vergegenwärtigung des "abscheulichen Horrors" geraten kann.
Evans lernen wir zu Beginn als 77-jährigen Veteranen und Kriegshelden wider Willen kennen – und erst ganz am Ende wissen wir, warum dieser Chirurg mit seiner Vergangenheit nicht ins Reine kommt.
Die Einbildung ist die größte Kraft im Leben
So liegt die Stärke dieses Romans eindeutig in der Schilderung von Kriegs- und unmittelbarem Nachkriegsalltag, im Ausmalen lebenslanger Traumata.
Leider gerät ihm die Liebesgeschichte, die dem Ganzen einen Rahmen verleiht, gelegentlich etwas kitschig, ja schwülstig – das aber nimmt der Leser in Kauf bei diesem beeindruckenden page-turner, der nebenbei noch die Anfänge der "angry penguins"-Bewegung in der australischen Poesie streift und auf seine Weise eine Feier der Imagination ist: Denn wie sagt es Alwyn Dorrigo Evans?
"Der Glaube an die Realität ist es, der uns das Genick bricht".
Die Einbildung hingegen sei "die größte Kraft im Leben". Ihm hat die Imagination das Leben gerettet.