Richard Flanagan: Der schmale Pfad durchs Hinterland. Roman.
Aus dem australischen Englisch von Eva Bonné übersetzt.
München: Piper Verlag 2015. 437 Seiten. 24 Euro.
Der Horror beim Eisenbahnbau
"Der schmale Pfad durchs Hinterland" ist eine Kriegs- und Liebesgeschichte. Der australische Schriftsteller Richard Flanagan hat den mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman seinem Vater gewidmet. Er wurde im Zweiten Weltkrieg gezwungen, beim Bau einer Eisenbahnstrecke mitzuarbeiten.
In seinem Roman "Der schmale Pfad durchs Hinterland" erzählt Richard Flanagan die Geschichte eines Chirurgen, der in die Abgründe des Zweiten Weltkriegs gerät. In einem japanischen Gefangenenlager kämpft der Australier gegen Hunger, Cholera und die Grausamkeit des Lagerleiters, während ihn die Erinnerung an die Liebe zur Frau seines Onkels quält.
Das Buch mit dem Booker Prize 2014 ausgezeichnete Buch ist nun in deutscher Übersetzung erschienen. Unser Reporter Tobias Wenzel hat den Schriftsteller Richard Flanagan getroffen.
Der Beitrag im Wortlaut:
Richard Flanagan sitzt in einem Berliner Hotel und liest einige Absätze aus seinem Roman "Der schmale Pfad durchs Hinterland". Mehrfach bricht er unzufrieden ab und fängt wieder von vorne an. Der 54-jährige australische Autor will jedes Wort perfekt lesen. Denn es ist das Buch, das er seinem Vater gewidmet hat. Der geriet im Zweiten Weltkrieg in japanische Gefangenschaft und wurde gezwungen, beim Bau einer Eisenbahnstrecke von Thailand ins damalige Burma mitzuarbeiten. Der Bau dieser sogenannten Todeseisenbahn kostete bis zu 90.000 asiatischen Zwangsarbeitern das Leben und ungefähr 12.000 alliierten Kriegsgefangenen, allein fast 3000 Australiern.
Richard Flanagan: "Mein Vater war anders als die meisten Überlebenden. Sie schwiegen. Das führte dazu, dass einige Kinder von ihren Vätern nicht mal wussten, dass sie an der Todeseisenbahn mitarbeiten mussten, dass sie überhaupt Kriegsgefangene waren. Unser Vater hat dagegen Geschichte aus dieser Zeit erzählt, allerdings waren das komische, mit Pathos angereicherte Geschichten. Nie solche, die er Horrorgeschichten nannte."
Besuch bei Iwan dem Schrecklichen
Richard Flanagan musste für seinen Roman also selbst die Horrorzustände beim Bau der Todeseisenbahn recherchieren und versuchen, sie nachzuempfinden. Er reiste nach Thailand auf den Spuren der heute größtenteils zerstörten Bahnstrecke, watete durch den Schlamm, schleppte in der Hitze schwere Steine. Und er besuchte am Rande von Tokio jenen japanischen Kriegsverbrecher, der im Lager seines Vaters als eine Art Iwan der Schreckliche galt und von den australischen Kriegsgefangenen die Eidechse genannt wurde. Es begann als höfliches Gespräch:
"Nach eineinhalb Stunden bat ich ihn, mich zu schlagen. Denn Schläge waren die sofort ausgeführte Strafe im japanischen Militär. Menschen wurden bewusstlos geschlagen. Er fand das eine sehr seltsame Bitte, kam ihr aber nach. Er stand auf, bog seinen Körper wie ein Athlet, wusste genau, wie man die maximale Anspannung erzeugen konnte, kannte die Gewalt. Als ich den dritten Schlag empfing, bewegte sich der Raum auf und ab. Ich dachte, ich sei verrückt geworden. Aber es war ein Erdbeben. Obwohl ich vorher noch nie eines erlebt hatte, hatte ich keine Angst. Aber die Eidechse hatte Angst. Da habe ich gedacht: Wo immer das Böse war, es steckte nicht in diesem seltsam bebenden Raum. Dafür vielleicht in diesem ängstlichen alten Mann."
Im Roman lässt Richard Flanagan seine Hauptfigur Dorrigo Evans, einen australischen Militärarzt und späteren Kriegshelden, Zeuge des mit dem Eisenbahnbau verbundenen Leids werden und gleichzeitig immer wieder zurückdenken an eine Frau, die er wohl nie mehr wieder sehen wird. Unter desaströsen medizinischen Bedingungen versucht Evans offene Geschwüre zu versorgen, seine Soldaten doch noch am Leben zu halten. Als er gerade eine Notoperation macht, wird draußen einer seiner Männer bestraft und fast zu Tode geprügelt:
Richard Flanagan liest aus seinem Roman (S. 294): "Sie fanden ihn spät in der Nacht. Er trieb kopfüber im benjo, dem langen, tiefen, mit vom Regen aufgewühlter Scheiße gefüllten Graben, der ihnen als Gemeinschaftslatrine diente. Irgendwie hatte er es geschafft, sich aus dem Lazarett, in das sie seinen zerschlagenen Körper getragen hatten, nachdem die Folter endlich zu Ende war, dorthin zu schleppen. Vermutlich hatte er sich hingehockt, das Gleichgewicht verloren und war hineingefallen. Und weil er nicht die Kraft gehabt hatte herauszuklettern, war er ertrunken."
Hoffnung durch eine rote Blume im Dreck
Manchmal greift Richard Flanagan leider zu gewollt oder kitschig klingenden Metaphern. Aber das verzeiht man ihm. Auch, weil es der Autor auf erstaunliche Weise schafft, inmitten des geschilderten unfassbaren Leids immer wieder der Hoffnung Raum zu geben: durch überraschende Menschlichkeit oder auch nur durch eine rote Blume, die Dorrigo Evans in der Nacht im Dreck entdeckt.
Richard Flanagan: "Nietzsche hat gesagt: 'Hoffnung ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.' Das mag sein. Aber er unterschlägt da etwas Fundamentales, nämlich dass Hoffnung der Antrieb des Lebens ist. Ohne Hoffnung wären wir doch nur Zombies. Menschen suchen immer nach Hoffnung. Und für einen Geschichtenerzähler ist die größte Hoffnung die Liebe. Deshalb ist der Roman vielmehr eine Liebes- als eine Kriegsgeschichte."
Lesungen in Deutschland:
Richard Flanagan liest am Mittwoch, 16.9.2015, um 19.30 Uhr aus seinem Roman "Der schmale Pfad durchs Hinterland" beim Internationalen Literaturfestival Berlin und am Donnerstag, 17.9.2015, in der Buchhandlung Lehmkuhl in München.