"Die Regierung begeht ein historisches Verbrechen"
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Das Leiden der Bevölkerung ist der Regierung egal: Das sagt Richard Flanagan, einer der erfolgreichsten Autoren Australiens. Politik und Medien des Landes müssten endlich das Ausmaß der Brände und des Klimawandels anerkennen, fordert er.
Vladimir Balzer: Sie leben in Tasmanien. Wie nehmen Sie von dort die Feuer auf der Hauptinsel wahr?
Richard Flanagan: Wir sehen die Feuer voller Angst und Trauer. Hier in Tasmanien hatten wir letztes Jahr verheerende Brände. Das Land war so trocken, dass sogar unser Regenwald begann zu brennen. Das gab es noch nie. Dasselbe sehen wir auf der Hauptinsel. Auch dort brennen jetzt Gebiete, die vorher nie gebrannt haben. Das Klima wandelt sich. Und das bedeutet, dass sich unsere Art zu leben ändern muss.
Balzer: Wer ist Treiber des Klimawandels in Australien aus Ihrer Sicht?
Flanagan: Unsere konservative Regierung führt das Land in einen Klima-Selbstmord. Australische Wissenschaftler haben schon in den 80er-Jahren eine Verbindung zwischen dem Klimawandel und den zunehmenden Buschfeuern bewiesen. Doch seit über 20 Jahren haben wir konservative Regierungen, die versuchen, internationale Bemühungen gegen den Klimawandel zu untergraben. Das tun sie, um der Kohle- und Gasindustrie zu Diensten zu sein.
"Die Australier bezahlen für die Lügen der Regierung"
Wir sind der größte Exporteur für Kohle und Gas weltweit und kümmern uns kaum um den Klimawandel. Die Australier bezahlen gerade teuer für die Lügen der Regierung, für ihr autoritäres Gehabe, für ihre Ergebenheit gegenüber der Energiewirtschaft und ihren fossilen Brennstoffen. Unser Ministerpräsident hielt im Parlament einen Kohlebarren in die Luft, weil er so stolz darauf ist.
Balzer: Ändert sich was angesichts der Katastrophe?
Flanagan: Erst einmal muss man verstehen, dass diese Brände keine einmalige Naturkatastrophe sind. Hier brennt es jetzt monatelang und wird noch monatelang weiterbrennen. Diese Brände öffnen den Australiern die Augen. Sie sehen eine feige Regierung, der das Leiden der eigenen Bevölkerung egal ist, eine Regierung die völlig inkompetent im Umgang mit dieser Krise ist.
Die Menschen verstehen, dass sie belogen worden sind. Immer mehr Ärger: Überlebende, Helfer, Feuerwehrleute sind sehr wütend. Es entstehen improvisierte Armutssiedlungen, die von Menschen bewohnt werden, die alles verloren haben, die nicht wissen, was die Zukunft bringt. Diese Regierung begeht ein historisches Verbrechen. Und lacht noch dabei. Sie lachen über uns.
"Murdoch-Medien leugnen den Klimawandel"
Balzer: Welches Australien wird nach den Bränden kommen?
Flanagan: Es sollte ein Australien sein, in dem die Menschen die Wahrheit erfahren. Wenn Politik und Medien die Wahrheit aussprechen, dann können wir dieses Land neu erfinden. Vergleichen Sie es mit Osteuropa in der Wendezeit. Auch dort standen Regierungen vor den Trümmern ihrer Lügen.
Auch hier in Australien erleben wir eine altersschwache Regierung, die nur durch Lügen und Propaganda überlebt hat, auch mithilfe der Murdoch-Medien. Sie haben hier einen Marktanteil von 60 Prozent, mehr als irgendwo auf der Welt. Murdoch-Medien leugnen den Klimawandel. Und das kann so nicht weitergehen! Was diese Medien machen, ist nah an einem Verbrechen!
Balzer: Woher kommt die Erneuerung?
Flanagan: Australien steht vor einer Klimakatastrophe, und das bedeutet: Es ist alles in Gefahr, was wir als gegeben angesehen haben: saubere Luft, sauberes Wasser, funktionierende Landwirtschaft. Denn auch, wenn diese Feuer gelöscht sind – die nächsten werden größer und verheerender. Und dann wird Australien zum Ende dieses Jahrhunderts unbewohnbar sein. Unbewohnbar! Es geht um unser Überleben als Nation. Wenn wir uns den fortschrittlichen Ländern anschließen und den Kampf gegen den Klimawandel aufnehmen, dann habe ich Hoffnung.
"Weiße Australier haben noch viel zu lernen"
Balzer: Welche Rolle spielen die Ureinwohner?
Flanagan: Ureinwohner sind von den Feuern besonders betroffen, weil viele heilige Stätten zerstört worden sind. Viele Indigene haben ein besonderes Verhältnis zum Land, das ist besonders schmerzlich. Wenn wir mehr deren Kultur im Umgang mit dem Land annehmen würden, wäre uns allen geholfen. Wir weißen Australier haben noch viel zu lernen: Respekt und Demut gegenüber der Natur. Denn wenn die Natur zerstört wird, dann wird auch der Mensch sterben.