Richard Mabey: "Das Varieté der Pflanzen. Botanik und Fantasie"
Übersetzung von Christa Schuenke
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019
342 Seiten, 38 Euro
Pflanzen sind autonome Wesen
05:17 Minuten
In 30 einfühlsamen Pflanzenporträts vermittelt der Brite Richard Mabey Wissenswertes vom Lebensbaum bis zur Eiche. Und zeigt: Pflanzen sind niemals nur passive Objekte.
Attraktiv und nützlich, aber auch Wesen ohne eigenen Willen, die passiv vor sich hin vegetieren: Pflanzen gelten den meisten Menschen noch immer als eine Art stummes und seelenloses Mobiliar des Planeten. Gegen diese enge Sicht wendet sich Richard Mabey mit seinem neuen Buch "Das Varieté der Pflanzen". Der Brite ist Neubegründer und Star des "Nature Writing" und Mitglied der ehrwürdigen Royal Society of Literature.
In seinem wunderschönen Buch versammelt er 30 Pflanzenporträts: vom mythischen Lebensbaum bis zu einzelnen Grannenkiefern, die als Methusaleme seit mehr als 5000 Jahren auf diesem Planeten weilen, vom heilsamen Ginseng, der zeitweise höher gehandelt wurde als Gold, bis zur Eiche mit ihrer "sturen Verschrobenheit", vom afrikanischen Affenbrotbaum bis zu den Farnen, die in der viktorianischen Zeit mit geradezu fanatischem Eifer gesammelt wurden.
Wunderbare Melange aus Wissenschaft und alten Mythen
Geistreich und anschaulich erzählt Richard Mabey von seinen weiten Reisen auf der Suche nach seltenen Kräutern und Bäumen, lässt kundige Wissenschaftlerinnen und Gartenexperten zu Wort kommen, vertieft sich in historische Zeugnisse und kunstgeschichtliche Betrachtungen.
Auf einer einzigen Seite können sich Leserinnen und Leser an pflanzenverliebten Zitaten des großen britischen Lyrikers und Romantikers William Wordsworth erfreuen, von den fleischigen Blättern des Nabelkrauts erfahren, die den Schmerz wunder Füße lindern, dem italienischen Maler Giuseppe Arcimboldo begegnen, einem alten Meister des floralen Stilllebens, und sich mit harscher Aufklärungskritik konfrontiert sehen.
Richard Mabey legt hier weit mehr als eine gekonnt geschriebene Melange aus Wissenschaft und alten Mythen vor. Er buchstabiert Fortschrittsskepsis am Beispiel von Dotterblume und Maiskolben durch und fragt: Gibt es Formen des Wissensgewinns, die zu einer tieferen Erkenntnis der Welt und des Lebens führen als wissenschaftliche Methodik und Programmatik allein?
Das aufklärerische Projekt der Naturbeherrschung habe Pflanzen als stumme Diener in Besitz genommen, beklagt er, doch nicht von ungefähr gebe es quer durch die Jahrhunderte auch die intuitive, gefühlsbetonte, mit Metaphern und Analogien arbeitende Annäherung an jene seltsamen Wesen, die vom Licht leben und deren langsame Bewegungen dem hektischen Auge der Moderne entgehen.
Ein neues Verständnis der Pflanzenwelt entsteht
Doch diese Bewegungen gibt es und auch in der Forschung entsteht allmählich ein neues Verständnis der Pflanzenwelt. Eiben, die ihre Luftwurzeln in Baumstämme verwandeln, um zu wandern, fleischfressende Arten mit den gleichen Kräften wie Muskeln besitzende Tiere, Orchideen, die Insektenduftstoffe imitieren, Aronstabgewächse, die – ohne zentrales Nervensystem – ihre Innentemperatur fallen und steigen lassen können: Pflanzen sind niemals nur passive Objekte, sondern vitale, autonome Wesen, betont Richard Mabey und beschließt sein Buch mit einem Appell: Es gelte, "auf diese Vitalität zu hören, sie zu respektieren und zu lernen, wie wir Pflanzen in Zeiten, in denen es ihnen schlecht geht, helfen können."