Richard Powers: "Erstaunen"

Vom Staunen und Leiden an der Welt

07:07 Minuten
Cover des Romans "Erstaunen" von Richard Powers. Es zeigt von hinten einen Mann und einen Jungen, die auf einer hellen Oberfläche draußen sitzen und auf Nadelbäume schauen. Der Mann hat seinen Arm um den Jungen gelegt.
Die Hauptfigur in Richard Powers neuem Roman erinnert an Greta Thunberg: ein hochintelligenter Junge mit Asperger-Syndrom, der sich für die Umwelt engagiert. © Deutschlandradio / S. Fischer
Von Stephanie von Oppen |
Audio herunterladen
Der neue Roman von Richard Powers ist inspiriert von der Fridays-for-Future-Bewegung und erzählt von einem hochbegabten Jungen, der um seine verstorbene Mutter trauert. Mit seinem Engagement gegen den ökologischen Kollaps tritt er in ihre Fußstapfen.
Es soll fraglich gewesen sein, ob Richard Powers je wieder ein Buch schreiben würde, nachdem er für sein Mammutwerk "The Overstory", zu deutsch "Wurzeln des Lebens", den Pulitzer-Preis bekommen hatte. Dieser Hommage an die Bäume dieser Welt, folgt nun aber doch ein neuer, deutlich schmalerer, aber kaum weniger komplexer Roman: "Erstaunen". Die Natur und das Universum, Hightech und künstliche Intelligenz, ein amerikanischer Präsident, der an Donald Trump erinnert auf der einen Seite, fanatische Natur- beziehungsweise Tierschutz- und Klimaaktivisten auf der anderen.

Kind einer Umweltaktivistin

Erzählt wird die Geschichte einer US-amerikanischen Akademikerfamilie mit ökologischem Bewusstsein und liberaler politischer Ausrichtung. Theo Byrne, ein Astrobiologe, forscht über das Leben auf anderen Planeten. Seine Frau, eine Juristin und leidenschaftliche Umweltaktivistin, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Mit Byrne zurück geblieben ist der inzwischen neunjährige Sohn Robin, ein hochintelligenter Junge mit Asperger-Syndrom.
Während die Welt um sie herum auf eine ökologische Katastrophe zusteuert, versuchen Vater und Sohn mit ihrer persönlichen fertig zu werden. Sie halten die Erinnerung an die Mutter wach, beschäftigen sich mit Zivilisationen in fernen Galaxien genauso wie mit dem unerschöpflichen Reichtum der Natur, der sie bei ihren Trips in die Smokey Mountains begegnen.
Powers wird in seinen Beschreibungen geradzu schwelgerisch. Da spannt sich über manisches Buschwerk ein Kronendach aus Hickory, Schierlingstannen und Tulpenbäumen. Da lässt Theo seinen Sohn in die Spitze eines burgunderroten Blattes beißen, damit er weiß, woher Sauerbaum seinen Namen hat. Zu Hause wälzen sie Bestimmungsbücher, mikroskopieren, zeichnen und gehen gemeinsam auf Demonstrationen.

Was gilt als krankhaft?

Mit Robin stellt Richard Powers eine Figur in den Mittelpunkt, die nach den Maßstäben der Gesellschaft nicht "normal" ist – die Anspielung auf Greta Thunberg ist nicht ganz zufällig. Doch sein Vater wehrt sich beharrlich gegen alle Versuche der Gesellschaft, sein Kind zu pathologisieren oder gar mit Medikamenten zu behandeln. Und überhaupt, ist das Krankhafte nicht eher bei einer Menschheit zu suchen, die dabei ist, den Planeten zu Grunde zu richten?
Es wäre kein echter Powers, wenn seine Faszination für künstliche Intelligenz nicht zum Tragen käme. So erfährt Robin ein Stück Heilung durch eine neurologische Behandlung an der gleichen Maschine, an der auch die verstorbene Mutter ihren Hirnscan hinterlassen hat.

Manchmal idealisierend und sentimental

Der Roman lebt vor allem von Powers hoher Kunst des Dialogs. Besonders eindringlich beschreibt er die Beziehung von Vater und Sohn. Dabei kreiert Richard Powers, der selber keine Kinder hat, das zuweilen etwas sehr idealisierende Bild eines hochbegabten Kindes.
Seine Beschreibungen ferner Galaxien und der machtvollen Natur haben eine geradezu mythologische Kraft. Manchmal kippt es dabei jedoch zu sehr ins Sentimentale. Mit seinen Anspielungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA wird er zum engagierten, scharfzüngigen Beobachter seines Landes. Ein kluges, aktuelles, nachdenkliches Buch über unsere Zeit mit großem Sog.

Richard Powers: Erstaunen
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021
320 Seiten, 24 Euro

Mehr zum Thema