Die Hölle der Menschmaschinen
Bei der Uraufführung von Richard Siegals "Model" kämpft jeder Tänzer darum, ein Individuum zu sein: Dem Choreografen gelingt bei der Ruhrtriennale energiegeladenes Tanztheater, das sowohl kritischen Inhalt als auch eine mitreißende Show liefert.
Die Tänzer drehen sich im Kreis, wirbeln dabei um die eigene Achse. Die Szene wirkt gespenstisch – wie ein Totentanz. Dantes "Inferno" war Inspirationsquelle für das neue Tanzstück des amerikanischen Choreografen Richard Siegal.
"Model" hatte im Salzlager der Kokerei Zollverein nun Uraufführung im Rahmen der Ruhrtriennale. Wie oft in den vergangenen Jahren vermischt Siegal Tänzerinnen und Tänzer seiner eigenen Compagnie "The Bakery" mit dem Ensemble des Bayerischen Staatsballetts München. Klasssische Technik – Sprünge, Hebefiguren, das Tanzen auf der Spitze – blitzen immer wieder kurz auf und werden in ein modernes Bewegungsvokabular überführt.
Die elektronische Musik von Lorenzo Bianchi Hoesch treibt die Tänzer meistens gnadenlos voran, hat aber auch stille Momente, in denen ein Wabern und Rauschen unter der Szene liegt. Die Zitate des klassischen Balletts wirken wie Erinnerungen an eine vergangene Schönheit, die heute nur noch Material ist, aber keine Seele mehr hat.
Menschmaschine unter Dauerdampf
Jeder Tänzer kämpft darum, ein Individuum zu sein. Immer wieder lösen sich einzelne aus der Gruppe, beginnen kraftvolle Soli, werden aber meist von der Masse wieder aufgesogen, die ihre Bewegungen kopiert. Arme und Beine fliegen durch die Luft, das Ensemble wirkt oft wie eine unter Dauerdampf heiß laufende Menschmaschine, in der jeder funktionieren muss. Das passt zum Leitthema der diesjährigen Ruhrtriennale, der Kritik an einer Diktatur des Ökonomischen, der Verwertbarkeit, der Arbeit, die alle Bereiche des menschlichen Lebens bestimmt.
Oft erstarren die Tänzerinnen und Tänzer zu Puppen. In einem Duett bewegt der riesige Corey Scott-Gilbert den Kopf Katharina Christls ruckartig, als gäbe es da kein Genick, das brechen könnte. Sondern nur einen Puppenkopf, den man wieder ankleben kann, wenn man zu ruppig mit ihm umspringt. LED-Monitore beleuchten die Szene.
Sie schaffen ein kaltes Licht, das abrupt erlischt und ebenso schnell wieder angeht. Am Ende werden die Körper zu Schatten. Und schließlich steht Corey Scott-Gilbert vor einem großen LED-Bildschirm. Sein Körper wirkt verpixelt, als ob er sich ins Virtuelle auflösen würde. Vielleicht ist das die Höllenvision eines Tänzers.
Mitreißende Show
40 Minuten dauert "Model", davor gibt es noch das Richard Siegals Stück "Metric Dozen", das er im vergangenen Jahr in Marseille erarbeitet hat. Nicht nur weil Lorenzo Bianchi Hoesch dafür eine ähnliche Musik komponiert hat, bilden die beiden Stücke eine ästhetische Einheit.
In "Metric Dozen" posieren die Frauen zu Beginn wie Models. Später versuchen auch die Männer, ihren durchtrainierten Körpern möglichst werbewirksame Positionen abzuringen, ein Showroom des Verkaufsartikels Mensch, hochgepeitscht bis kurz vor die Hysterie.
Obwohl wir an dem Abend nur etwas über eine Stunde Tanz sehen, ist der Kopf voll mit Bildern, Gedanken, Sinneseindrücken. Richard Siegal choreografiert pointiert, ohne Schlenker – energiegeladenes Tanztheater, das bei allem kritischen Inhalt auch eine mitreißende Show liefert.