Richard Strauss trifft Helmut Lachenmann beim Musikfest Berlin

Provokation im Großformat

Die Mitglieder der Jungen Deutschen Philharmonie
Die Junge Deutsche Philharmonie sucht sich ihre Mitglieder unter den besten Studierenden der deutschsprachigen Musikhochschulen. © Junge Deutsche Philharmonie / Achim Reissner
Moderation: Ulrike Klobes |
Hat Richard Strauss in seinem groß besetzten Werk "Ein Heldenleben" sich selbst gehuldigt, oder wollte er die Kritiker herausfordern? Und wie kam Helmut Lachenmann auf die Idee, das Deutschlandlied in seine Tanzsuite zu integrieren? Ein Konzert über Reiz und Gereiztheit.
Beide Werke, die in dieser Matinee des Musikfestes Berlin auf dem Programm stehen, verlangen nach einer großen Orchesterbesetzung. Richard Strauss fordert für sein "Heldenleben" eine riesige Bläserriege: Acht Hörner und fünf Trompeten nehmen neben drei Posaunen und zwei Tuben Platz. Auch die Holzbläser sind vierfach besetzt, Pauken und Schlagwerk müssen sich neben zwei Harfen einfinden, hinter und neben den mehr als 60 Streichern. Ein musikalisches Großaufgebot für eine sinfonische Dichtung, eine Erzählung über "Ein Heldenleben". Dieses spielt sich zwischen Geliebter und Widersachern ab, die im Kampf siegreich übertrumpft werden. Nach dem heroischen Genuss entscheidet sich der Held für einen Rückzug ins Abseits, in die Stille.
Der Dirigent Jonathan Nott
Jonathan Nott ist erster Dirigent der Jungen Deutschen Philharmonie© Jonathan Nott / Priska Kettere
Die Kritiker und das Publikum stritten um die Auslegung. Die einen waren begeistert vom spätromantisch-ritterlichen Sujet, die anderen sahen sich angegriffen: Konnten sich die Kritiker als die Widersacher in der Sinfonischen Dichtung wiedererkennen? Lieferte Strauss hier einen ironischen Leckerbissen?

Berührung von Tradition

Auch Helmut Lachenmann fordert eine gigantische Musikeraufstellung. Nur vier Hörner, dafür aber einen überbordenden Schlagzeug-Apparat. Und nicht nur einen Solisten, sondern gleich ein Streichquartett als Partner des großen Orchesters. Die einzelnen Tanzsätze sind allesamt in der Musikgeschichte verankert: Walzer, Marsch, Tarantella oder Polka und Galopp. Dabei fließen Melodien und rhythmisch markante Teile von Liedern ein, die jeder kennt: "Schlaf, Kindlein, schlaf", "Oh, Du lieber Augustin", "Hänschen klein" oder aus berühmten Werken von Johann Sebastian Bach.
Lachenmann sucht also die Nähe zur Tradition. Auf der anderen Seite hat er das musikalische Material so verändert, verdreht und gestaucht, dass das Altvertraute demontiert erscheint und damit neu gehört werden muss.

Bekanntes verfremden

Lachenmann sagt dazu in einem Interview für das Programmheft dieses Konzerts: "Die Melodien beziehungsweise Rhythmen tauchen auf, bis sie sich wieder verformen oder zerfallen. Meine 'Deutschlandlieder' stecken häufig im Verborgenen, wo deren Präsenz nicht unmittelbar und nicht überall sinnfällig ist." Das politisch konnotierte Lied zu verwenden, bleibt trotzdem eine Provokation. Lachenmann: "Ich denke, der Titel hat eher Neugier geweckt. Die Frage war und bleibt doch, wie man als Komponist mit derlei Tabuisiertem umgeht. Es ging doch nicht um ein feierliches oder gar ironisches Zelebrieren einer Hymne, sondern darum, die Struktur eines kollektiv ... im Guten wie im Gespenstischen vertrauten Liedes, bei dem man, wie bei jeder Hymne, schon gar nicht mehr hinhört, gewissermaßen 'auszuborgen'." Lachenmann zielt auf das Publikum ab - er will es zum "aktiv hellhörigen Beobachten" einladen.

16 Solo-Saiten für die Tanzsuite

Das JACK Quartet setzt sich schon seit langem mit Lachenmanns Musik auseinander. Das New Yorker Ensemble spielt Lachmanns drei Streichquartette regelmäßig und hat auch eine Aufnahme dieser Werke vorgelegt. Und der Komponist äußert seine Sympathie: "In der Tanzsuite haben wir ein - von vier professionellen, hochmotivierten Einzelgehirnen traktiertes - 16-saitiges Soloinstrument. Ich freue mich drauf!"
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Die Vier Musiker stehen in dunkler Kleidung dicht beieinander.
Christopher Otto, Austin Wulliman, John Pickford Richards und Jay Campbell sind das New Yorker JACK Quartet.© JACK Quartet / Beowulf Sheehan
Aufzeichnung vom 15. September 2019 aus der Philharmonie Berlin
Helmut Lachenmann
"Tanzsuite mit Deutschlandlied", Musik für Orchester mit Streichquartett
Richard Strauss
"Ein Heldenleben", Sinfonische Dichtung op. 40

JACK Quartet:
Christopher Otto, Violine
Austin Wulliman, Violine
John Pickford Richards, Viola
Jay Campbell, Violoncello

Junge Deutsche Philharmonie
Leitung: Jonathan Nott

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