Richard Swartz: "Blut, Boden & Geld"
Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder
Verlag S. Fischer, FranfurtaM 2016
224 Seiten, 19,99 EUR
Mikrokosmos der balkanischen Welt
Richard Swartz ist ein Grenzgänger zwischen journalistischer Reportage und Belletristik. In seinem neuen Buch "Blut, Boden & Geld" erzählt er die Familiengeschichte seiner kroatischen Ehefrau von der Tito-Ära bis heute. Lehrreich und fesselnd, meint unsere Kritikerin.
Sollte das Prädikat europäisch auf Autoren zutreffen, dann würde es den Schweden Richard Swartz sehr genau bezeichnen. Der 1945 in Stockholm geborene Reporter, Schriftsteller und Essayist wechselte nach ein paar Studiensemestern an die Universität Prag, arbeitete viele Jahre als Osteuropakorrespondent für die schwedische Tageszeitung Svenska Dagblad, wählte Wien als seinen Hauptwohnsitz, heiratete vor drei Jahrzehnten die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic und gilt als hervorragender Kenner des geistigen und politischen Grenzverkehrs zwischen West- und Osteuropa.
In seinem Schreiben bewegt er sich noch auf einer anderen Grenze: Der zwischen journalistischer Reportage und Belletristik. In dem 1997 erschienenen Band "Room Service", der Swartz einer breiten Leserschaft bekannt machte, bewährte sich bereits seine Methode: aus alltäglichen, anschaulichen Details historische und politische Analysen zu entwickeln.
Wo niemand eine Weltanschauung braucht
Auf diesem Verfahren basiert auch sein neuestes Buch "Blut, Boden & Geld. Eine kroatische Familiengeschichte". Die Familie, die er in drei großen Kapiteln porträtiert, ist die seiner Ehefrau Slavenka Drakulic.
Im ersten widmet er sich der Geschichte ihrer Eltern, einem überzeugten Kommunisten, der unter Tito eine militärische Karriere machte und starb, bevor er den schwedischen Schwiegersohn kennenlernen konnte, und einer tief gläubigen Katholikin, die ihren Mann um zwei Jahrzehnte überlebte. Die diametralen Weltanschauungen des Paares wirkten sich auf die Ehe verblüffend unproblematisch aus.
Dass die sozialen Strukturen balkanischer Gesellschaften von wechselnden Ideologien eher gestreift als durchdrungen werden, ist auch das Thema des zweiten Kapitels, in dem Richard Swartz von dem istrischen, nah der italienischen Grenze gelegenen Dorf Sovinjak erzählt, wo er seit vielen Jahren einen Zweitwohnsitz hat.
Die Dorfgemeinschaft führte unter dem Radar des kommunistischen Regimes ein Leben nach autarken Sitten, an denen auch der Kapitalismus nur scheinbar etwas änderte. So wird der Besitz von Häusern und Grundstücken nicht durch behördliche Dokumente, sondern durch Gewohnheitsrechte geregelt. Staatliche Institutionen gelten den Dorfbewohnern in erster Linie als Störenfriede. In der Schilderung des zugezogenen Westeuropäers, der nie ganz dazu gehört und sich schon deshalb die ethnografische Distanz eines teilnehmenden Beobachters bewahrt, entfaltet sich das Dorf zum Mikrokosmos der balkanischen Welt.
Eine tendenziell vormoderne Mentalität
Der feine Humor von Swartz klingt im dritten Kapitel des Buches an. Es erzählt vom Wunsch der kroatischen Schwiegermutter, sich für ihre letzten Lebensjahre ein Haus auf der Insel Krk, dem Ort ihrer frühen Kindheit, zu kaufen. Dabei zeigt sich, dass die Beziehung der alten Dame sowohl zu Geld als auch zu Zeit grundlegend anders beschaffen ist als die ihres Schwiegersohnes, von dem erwartet wird, dass er den Hauskauf finanziert.
Kontostand und Uhrzeiten sind für die Schwiegermutter Nebensächlichkeiten. Wer sie zur Hauptsache erklärt, unterwirft sich aus ihrer Sicht störenden Zwängen. Eine Haltung, die exemplarisch ist für die tendenziell vormoderne Mentalität der Gesellschaft, der sie entstammt.
Ein enormer Reichtum an Wissen verbindet sich bei Richard Swartz mit der Kunst der Anekdote und mit analytischer Brillanz. Jede Seite seiner geschliffenen Prosa ist ebenso lehrreich wie fesselnd.