Wir behaupten nicht, dass man das ganze Jahrhundert durch Wagner verstehen kann. Aber man kann auch nicht das 19. Jahrhundert ohne Wagner verstehen.
Kurator Michael P. Steinberg
Richard-Wagner-Ausstellung in Berlin
Richard Wagner wollte mit seiner "deutschen Musik" erreichen, dass sein Publikum "deutsch fühlte". © picture alliance / imageBROKER / Heinz-Dieter Falkenstein
Von "deutscher Kunst" und Körperkult
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Im Deutschen Historischen Museum in Berlin wird untersucht, wie der Komponist Richard Wagner das "deutsche Gefühl" beeinflusste - nicht nur mit seinen berühmten Opern. Es geht um Entfremdung und Zugehörigkeit, Eros und Ekel, Unschuld und Schuld.
„Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ - der Ausstellungstitel geht der Frage nach, wie Wagner die gesellschaftlichen Strömungen seiner Zeit aufgriff, wie er auf Zeitumstände reagierte und nach und nach ein deutsches Nationalgefühl zu wecken suchte.
„Wir behaupten nicht, dass man das ganze Jahrhundert durch Wagner verstehen kann“, sagt der Kurator der Ausstellung, der amerikanische Musikwissenschaftler und Germanist Michael P. Steinberg. "Aber man kann auch nicht das 19. Jahrhundert ohne Wagner verstehen. Das ist wirklich eine riesige Figur."
Entfremdung und Zugehörigkeit, Eros und Ekel – so sind die vier Kapitel der Ausstellung betitelt. Beschrieben wird, wie Wagner die Industrialisierung als Entfremdung verstand und als Anlass zur Erneuerung der Gesellschaft durch die Kunst.
Der deutschen Gesellschaft wohlgemerkt, wobei Fragen der Zugehörigkeit immer wichtiger wurden, und im Umkehrschluss auch die Frage, und auf sie spielt das Kapitel „Ekel“ an: „Wer gehört nicht zur deutschen Gesellschaft?“
Wagner fand für sich früh schon die Antwort: Die Juden gehören nicht dazu. Die entsprechenden Gedanken hielt er fest in seinem berüchtigten Essay „Das Judentum in der Musik“, der in seiner Handschrift gezeigt wird.
Wagner, der Verführer
„Diese Schrift hat ganz klar antisemitische Inhalte, er greift jüdische Künstler an, er stellt aber auch überhaupt in Frage, ob Juden wahre Kunst produzieren können", sagt Philipp Springer, Projektleiter der Ausstellung.
"Und auch in anderen Schriften kommt sein Antisemitismus klar zum Ausdruck, das zeigen wir auch in der Ausstellung. Damit muss man sich natürlich als Hörer und Zuschauer von Wagner-Opern auch auseinandersetzen, wie wir finden. Wir urteilen hier nicht, wir historisieren Wagner und zeigen anhand der Dokumente, was er geschrieben hat, wie er sich verhalten hat. Da kann sich dann jeder sein eigenes Urteil bilden.“
Es wird sehr viel gezeigt in der Ausstellung: Manuskripte, Briefe und Notenblätter Wagners, mit persönlichen Widmungen etwa an seine Muse und Geliebte Mathilde Wesendonck versehen. Das Kapitel „Eros“ geht Wagners Sinnlichkeit mit Gemälden nach, die ihn in Samt und Seide zeigen, Hausschuh, Zylinder und Strohhut fehlen nicht.
Wagner, der Verführer, der die Fotografie schon sehr früh und konsequent zur Selbstvermarktung einsetzte, der die „Marke Wagner“ schuf und noch den bayerischen König Ludwig II. dazu brachte, ihm für seine Arbeit im Bayreuther Festspielhaus 4.000 Gulden jährlich anzuweisen, das Gehalt eines Ministerialrats. Und Wagner, der sein Publikum dazu bringen wollte, sich „deutsch“ zu fühlen, durch seine „deutsche Kunst“, seine „deutsche Musik“.
Heldentenor und "deutsche" Stimmen
„Was ist zum Beispiel ein Heldentenor?“, fragt Kurator Michael Steinberg. „Was ist die richtige Stimme für einen Bassbariton, um Wotan zu singen? Alle Stimmen, wenn sie 'deutsche' Stimmen sind für Wagner, sollen tief und ruhig sein, nicht nervös und hoch. Auch bei Sopranen, ein sogenannter Helden-Sopran: Die Stimme muss eine Qualität von Tiefe haben, tief und ruhig. Die Sprachkunst, was das heißt, richtig Deutsch sprechen zu können: Das hat mit der physischen Stimme zu tun, laut Wagner."
So wird Sangeskunst zu Körperkunst und Körperkult. Nicht nur theoretische Schriften wie „Das Judentum in der Musik“, auch die Musik selbst sei zu problematisieren, sagt Michael Steinberg:
„Es gibt immer die Frage, ob die Musik nur unschuldig und das Denken nur schuldig ist. Und ich glaube, wir zeigen in der Ausstellung, dass die Frage komplizierter ist. Die Musik enthält auch Ideologie. Die Musik enthält auch Antisemitismus, Rassismus. Auf der anderen Seite kann man in der Musikgeschichte Wagner nicht vermeiden. Und diese Mischung zwischen Schuld und Unschuld, zwischen Ästhetik und Politik, das ist sehr wesentlich, diese Zweiläufigkeit einem großen Publikum zu zeigen.“
Einen wirklichen Sog entwickelt die Ausstellung nicht, doch führt sie sehr viel Material zusammen, interessant für alle, die Wagners Musik mögen, für alle, die ihn ausdrücklich nicht mögen. Dass seine immense Wirkungsgeschichte nur in einem Epilog zusammengefasst wird, mag man bedauern, doch gibt es Opern- und Hörstationen, Inszenierungsausschnitte, Interviews mit der Sängerin Waltraud Meier und dem Regisseur Stefan Herheim. Reichlich Assoziationsmaterial für den Wagner von heute.