Richard Wagner
Als Revolutionär und Exilant, als Bankrotteur und als Protegé wohlhabender Mäzene tritt Richard Wagner uns als schillernde Figur und unberechenbarer Lebemann entgegen. © Getty Images / Corbis / adoc-photos
"Kinder, schafft Neues"
Kein Komponist des 19. Jahrhunderts vermag es, die Gemüter so zu erhitzen wie Richard Wagner. In einer Diskussionsrunde im FAZ Atrium in Berlin wurde der Künstler aus verschiedenen Perspektiven diskutiert.
Als Revolutionär und Exilant, als Bankrotteur und als Protegé wohlhabender Mäzene tritt Richard Wagner uns als schillernde Figur und unberechenbarer Lebemann entgegen.
In den historischen Stürmen des 19. Jahrhundert nahmen Wagner und Marx Vordenkerpositionen ein. Der eine komponierte den „Ring des Nibelungen“, der andere schrieb „Das Kapital“. Unter politisch konträren Vorzeichen verfestigten sich ihre Ideen posthum zu Ideologien, die in die Schrecken des 20. Jahrhundert führten, mit seinen totalitären Regimen, den Kriegen, politischen und menschheitlichen Katastrophen. Beide Männer beteiligten sich an den revolutionären Bewegungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts und bezahlten dafür mit dem Exil: Marx ging nach London. Wagner floh nach Zürich.
Beide blickten kritisch auf die gesellschaftlichen Umbrüche ihrer Zeit und nahmen in der zunehmend kommerzialisierten Welt ein gestörtes Lebens- und Selbstverhältnis wahr, für das Marx den Begriff der "Entfremdung" prägte. Und beide bedienten sich in ihrer Kapitalismuskritik auch aggressiver antisemitischer Stereotypen.
Wagners musikalische Umsetzung seiner Ideologie
Das musikalische Bild versklavter Arbeiter schuf Wagner fünf Jahre später im „Rheingold“ als suggestiv-monotones Gehämmer der unter Tage schmiedenden Nibelungen. Wenn Wotan und der Feuergott Loge durch die Schwefelkluft in das Zwangsarbeiterreich Nibelheim hinabfahren, um dem Sklavenantreiber Alberich sein Gold zu entreißen, malen die Schlagzeuger an 16 gestimmten Ambossen in verschiedener Größe die eindrucksvolle industrielle Klangkulisse.
Flucht vor den Gläubigern
Wagner dagegen hatte sich 1849, befeuert von seiner Bekanntschaft mit dem charismatischen Anarchisten Michail Bakunin, in den Dresdner Mai-Aufstand gegen die sächsischen und preußischen Truppen gestürzt. Daraufhin wurde er steckbrieflich gesucht und floh mit Hilfe von Franz Liszt nach Zürich. Auch er war zeitlebens verschuldet. Aber das war vor allem seiner Sucht nach Ausschweifung, Luxus, teurem Parfüm und edler Seide zuzuschreiben.
Schon als 26-jähriger Musikdirektor in Riga muss er mit seiner Frau Minna zum ersten Mal vor seinen Gläubigern fliehen. Im ostpreußischen Pillau stechen beide als illegale Passagiere auf einem Kaufmannsschiff gen England in See. Die von heftigen Weststürmen erschwerte Überfahrt beschert Wagner zwar Todesängste, inspiriert ihn aber zu seiner Oper „Der Fliegende Holländer“, wie er später in seiner autobiografischen Skizze beschreibt.
Die Revolutionierung durch die Kunst
Der Weg zum „künstlerischen Menschenthume“, das ist Wagner spätestens seit der Enttäuschung der gescheiterten Revolution zwischen März 1848 und Juli 1849 klar, soll über eine Revolutionierung der Gesellschaft durch die Kunst erfolgen. In rascher Folge entstehen im Zürcher Exil seine großen politisch aufgeladenen ästhetischen Entwürfe: neben „Die Kunst und die Revolution“ auch „Das Kunstwerk der Zukunft“ und „Oper und Drama“.
Wagner errichtet narrative Gegenwelten, von denen er sein Publikum nicht überzeugen, sondern in die hinein er es verführen möchte. Statt um Befreiung geht es um Erlösung. Der Weg dorthin führt über eine hochsuggestive Klangsprache, die nicht am musikalischen Gedanken orientiert ist, wie Arnold Schönberg seine Themen später nennen wird, sondern am mystischen Urgrund von Gefühl und Instinkt.
Zwei unterschiedliche Revolutionäre
Haben Marx und Wagner einander überhaupt zur Kenntnis genommen? Es ist bezeichnend, dass Wagner kein Wort über Marx verloren hat. Marx wiederum, der in seinen Äußerungen sehr derb werden konnte, hat sich mehrfach abschätzig über Wagner ausgelassen. Dazu schreibt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler:
„Wagner hat auf den Umsturz der Gesellschaft verzichtet, um an der Revolutionierung der Kunst festhalten zu können. Marx dagegen hat an der sozialen Revolution festgehalten, indem er den Umsturz in kleine Portionen zerlegte und in den sozioökonomischen Prozess einschrieb. Das war eine Gewissheit, hinter der sich eine fortschrittsaffine Anhängerschaft versammeln ließ, deren Blick politisch in die Zukunft gerichtet war, wohingegen Wagners nostalgische Utopie sich für die Anlagerung konservativer bis reaktionärer Gesellschafts- und Politikvorstellungen anbot“.
Dieser Text stammt aus dem Feature "Richard Wagner und Karl Marx" von Julia Spinola.
In einer Diskussionsrunde im FAZ Atrium in Berlin wurde der Künstler aus verschiedenen Perspektiven diskutiert. Die Diskussionsrunde fand auch vor dem Hintergrund der Ausstellung Richard Wagner und das deutsche Gefühl statt. Sie läuft bis zum 11. September 2022 im Deutschen Historischen Museum in Berlin.
Rüdiger Safranski ist Literaturwissenschaftler, Philosoph und Schriftsteller. Seine Bücher über Johann Wolfgang von Goethe, Martin Heidegger, Friedrich Nietzsche u.a. haben eine große Leserschaft auch außerhalb des akademischen Diskurses erreicht. Als Musikkenner hat er sich immer wieder auch mit bekannten Komponisten auseinandergesetzt, u.a. mit Johann Sebastian Bach. Richard Wagner beschreibt er als einen dionysischen Künstler und Meister des musikalischen Rausches.
Jascha Nemtsov wurde am Leningrader Staatlichen Konservatorium zum Konzertpianisten ausgebildet. Seine internationale pianistische Laufbahn begann er Mitte der 1990er-Jahre nach seiner Übersiedlung nach Deutschland. Neben dem klassisch-romantischen Klavierrepertoire widmet er sich den Werken von Dmitri Schostakowitsch und der jüdischen Kunstmusik. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit lehrt Nemtsov Musikwissenschaft an der Weimarer Musikhochschule. Er fragt danach, wie sich Wagners Antisemitismus auch in dessen musikalischem Werk niederschlägt.
Sergio Morabito ist Chefdramaturg an der Wiener Staatsoper. Als Dramaturg und im Regieteam mit Jossi Wieler setzt er sich seit vielen Jahren künstlerisch mit Richard Wagner auseinander. Zuletzt erarbeiteten sie für die Salzburger Festspiele eine neue Fassung des "Lohengrin", im Juni feierte ihre gemeinsame Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ an der Deutschen Oper Berlin Premiere. Neben seiner Arbeit als Regisseur und Dramaturg ist Morabito auch journalistisch tätig.
Die Regisseurin Andrea Moses inszenierte u.a. an den Staatstheatern in Dresden und Stuttgart, den Bühnen in Wien, Kiel, Hannover und Bilbao. Fürs Musiktheater hat sie immer wieder Richard Wagner in den Blick genommen, u.a. den "Lohengrin" und 2015 "Die Meistersinger von Nürnberg" an der Deutschen Staatsoper Berlin. Zum "Lohengrin", eine Inszenierung aus dem Jahre 2011, hat sie eine „packende Studie über die Manipulierbarkeit der Massen und die Undurchschaubarkeit von allgegenwärtigen Strukturen gemacht“.
Moderation: Julia Spinola und Simon Strauß
Die Musikwissenschaftlerin Julia Spinola hat lange Jahre als Redakteurin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet. Sie hat u.a. das Buch "Die großen Dirigenten unserer Zeit" geschrieben.
Simon Strauß ist Historiker, Autor wissenschaftlicher wie fiktionaler Bücher und seit 2016 Redakteur im Feuilleton der F.A.Z.
Die Musikwissenschaftlerin Julia Spinola hat lange Jahre als Redakteurin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet. Sie hat u.a. das Buch "Die großen Dirigenten unserer Zeit" geschrieben.
Simon Strauß ist Historiker, Autor wissenschaftlicher wie fiktionaler Bücher und seit 2016 Redakteur im Feuilleton der F.A.Z.
In der dritten Stunde dieser Langen Nacht über „Richard Wagner als deutsche Affäre“ gibt es das Feature:
"Richard Wagner und Karl Marx. Ein Feature über zwei paradigmatische Größen der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte"
Von Julia Spinola
Mit: Nina Ernst, Florian Goldberg, Stephan Grossmann, Inka Löwendorf und Timo Weisschnur
Ton und Technik: Jean Boris Szymczak
Regie: Heike Tauch
Redaktion: Monika Künzel
"Richard Wagner und Karl Marx. Ein Feature über zwei paradigmatische Größen der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte"
Von Julia Spinola
Mit: Nina Ernst, Florian Goldberg, Stephan Grossmann, Inka Löwendorf und Timo Weisschnur
Ton und Technik: Jean Boris Szymczak
Regie: Heike Tauch
Redaktion: Monika Künzel
Literatur:
- Richard Wagner: "Die Kunst und die Revolution", 1849
- Richard Wagner: "Das Kunstwerk der Zukunft", Leipzig 1850
- Herfried Münkler: "Marx, Wagner, Nietzsche. Welt im Umbruch", Berlin 2021
Eine Produktion von Deutschlandfunk/Deutschlandfunk Kultur 2022