Richard Yates: Cold Spring Harbor
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
DVA, München 2015
240 Seiten, 19,99 Euro
Die Unausweichlichkeit des Unglücks
Schonungslos in der Beobachtung, messerscharf in den Details - exzellent beherrschte der amerikanische Autor Richard Yates sein Handwerk. Mit "Cold Spring Harbor" wurde nun Yates letztes Werk übersetzt: die Geschichte von Menschen, die von einem Happy End träumen - aber immer vergeblich.
New York, Anfang der 40er-Jahre: Einer Autopanne haben Charles Shepard (der zu schlecht sieht für den Krieg) und sein Sohn Evan (der zu schlecht hört für den Krieg) es zu verdanken, dass sie Gloria Drake kennen lernen, die schon bald in ihre Nachbarschaft in den kleinen Ort Cold Spring Harbor auf Long Island ziehen wird.
Gloria himmelt Charles an. Dessen Frau Grace ist schwer alkoholkrank und leidet an Depressionen. Gloria ist geschieden. Auch sie trinkt. Während Grace dabei zunehmend verstummt, ist bei Gloria das Gegenteil der Fall.
Ihre Tochter Rachel wird schwanger von Evan Shepard. Die beiden heiraten. Dem Neugeborenen flüstert Rachel zu:
"Du bist ein Wunder. Denn weißt du, was aus dir wird? Aus dir wird ein Mann."
Es sind die letzten Worte des Romans. Man würde den Kleinen am Liebsten vor der Erwartung beschützen nach dem, was man gerade gelesen hat. Zumal man als Leser im Gegensatz zu Rachel schon weiß, was den beiden bevorsteht ...
Richard Yates (1926 bis 1992) gilt als einer der ganz großen Schriftsteller Amerikas. 1966 landete er mit seinem ersten Roman "Revolutionary Road" (deutsch: "Zeiten des Aufruhrs") einen Erfolg. Yates schrieb weiter. Aber als er 1992 starb, waren er und seine Bücher so gut wie vergessen. Es bedurfte eines enthusiastischen Essays von Stewart O´Nan in der Boston Review und einer Hollywood-Verfilmung von "Zeiten des Aufruhrs", um Yates wieder auf die Bühne der Gelesenen zu heben – wofür man O´Nan und Hollywood nicht dankbar genug sein kann.
Helden, die unglücklich sind und es auch bleiben
"Cold Spring Harbor" ist Yates' letzter Roman. Er erschien 1986 und liegt jetzt erstmals in deutscher Übersetzung vor. Auch dieses Buch ist eine Entdeckung. Sprachlich genau, schonungslos in der Beobachtung, messerscharf in den Details, schreibt Yates eigentlich eher große Erzählungen, immer nah an den wenigen Personen, die allesamt unglücklich sind und es auch bleiben werden.
Die Unausweichlichkeit ihres Unglücks ist so anrührend, weil sie nicht beschrieben, sondern entwickelt wird. Yates' Roman-Kosmos ist die Familie. Um der, in die man hineingeboren wird, zu entfliehen, gibt es nur den Ausweg, selbst eine zu gründen. Die junge Generation erlebt das drängender: Sie will Sex. Und den gibt es nur in der Ehe. Darin sieht Yates einen der Brandbeschleuniger des Unglücks, das in den Familien lodert.
Der andere ist der Alkohol. Beide nähren sie ein nagend zerstörerisches Gefühl, das den Traum vom amerikanischen Familienidyll im Keim erstickt: die Scham.
Nicht ganz ohne Hoffnung
Ganz ohne Hoffnung scheint Yates, der selbst trank und von depressiven Schüben geplagt wurde, aber nicht gewesen zu sein. "Und außerdem", lässt er Glorias Ex-Mann sagen, "glaube ich, dass unsere Freunde von der Psychiatrie noch eine ganze Menge lernen müssen ... Vielleicht bin ich irgendwann imstande, diesen kranken kleinen Scheißkerlen zu vertrauen – der Krieg dürfte ihnen wohl die eine oder andere Lehre erteilen –, aber zurzeit noch nicht. Noch nicht. Sie stochern bloß im Nebel."
Das unterscheidet sie vom Erzähler Richard Yates. Der zerstäubt Illusionen, indem er glasklar analysiert, so hart wie brillant, so wahr wie berührend. Große Literatur.