Richter Andreas Müller

„Gericht hat auch ein bisschen was mit gutem Schauspiel zu tun“

33:34 Minuten
Der Jugendrichter und Autor Andreas Müller vor dem Amtsgericht in Bernau.
Der Jugendrichter und Autor Andreas Müller vor dem Amtsgericht in Bernau. © imago images / Olaf Wagner
Moderation: Katrin Heise |
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„Härtester Jugendrichter Deutschlands“ und „Querulant im Namen der Gerechtigkeit“ – das sind zwei Titel, die Andreas Müller anhaften. Seit Jahrzehnten setzt er sich für ein besseres Jugendstrafrecht ein – und will Cannabis entkriminalisieren.
Richter Andreas Müller erkennt in seiner Raucherpause, ob die Beteiligten mit einem Urteil zufrieden sind oder nicht. Vor der Tür beobachtet er die Menschen, die aus dem Gericht in Bernau kommen, und schaut sich ihre Gesichter an.
Auch im Gerichtssaal ist die Mimik der Beteiligten für den Juristen ein wichtiges Merkmal für sein Urteil – wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht und Masken die Gesichter verdecken.
"Das Ganze ist ein Gesamteindruck. Sie stellen eine provokative Frage und schauen, wie kommt sie an. Sie stellen eine ganz banale Frage und merken: Oh, der kann da gar nicht darauf antworten."

Mit der Richterrobe kommt die Achtung

Im Gerichtssaal kennt Müller nur ein Outfit: "Ich sitze in Robe. Das ist im Jugendgericht nicht unbedingt notwendig, aber ich habe von Anfang an gesagt: Ich will da in Robe sitzen mit weißem Hemd und weißem Schlips. Es geht darum, dass dann die Achtung kommt."
Sollten jungen Menschen der Verhandlung dennoch nicht den nötigen Respekt zollen, hat Müller auch andere Strategien zur Hand: "Die Menschen haben Respekt und wenn sie keinen zeigen, dann kann man das schon mit Sprache machen. Durch bestimmte Gesten oder Warnungen oder Stimme. Das Gericht hat auch ein bisschen was mit gutem Schauspiel zu tun."

Jugendrichter und Cannabis-Aktivist

Müller ist seit 1994 Richter. Er argumentiert schon lange für eine Veränderung der "gescheiterten Drogenpolitik" und setzt sich für die Legalisierung von Cannabis ein. "Es ist nicht das Gift, was uns jahrelang haben Politiker einreden wollen."
Die Gefahren von übermäßigem Konsum will er dabei keinesfalls kleinreden: "Jedes Maß im Übermaß genossen, ist schädlich. Überall. Egal, was Sie machen."
Er fordert den offenen und ehrlichen Umgang mit den Jugendlichen statt Kriminalisierung und Stigmatisierung. Müller tritt so auch in der Öffentlichkeit auf. Im November wurde deshalb ein Befangenheitsantrag gegen ihn gestellt, der in der ersten Instanz zurückgewiesen wurde.
Der Gegenwind hält den selbsterklärten "Cannabis-Aktivisten" nicht davon ab, sich weiter für die Sache einzusetzen. Die derzeitige Gesetzeslage verstößt aus seiner Sicht gegen Freiheitsrechte des Einzelnen und gegen das Gleichheitsrecht.

Schläge vom Lehrer

Welche Folgen die Kriminalisierung von Cannabis haben kann, hat Andreas Müller selbst früh erlebt. Geboren 1961 in Meppen, ist seine Kindheit geprägt von "schönen Wiesen und dem Katholizismus", aber auch vom Alkoholismus des Vaters. Sein Bruder konsumiert ab Anfang der 70er-Jahre regelmäßig Cannabis.
Auch Andreas Müller bekommt die Stigmatisierung deutlich zu spüren. "Du bist doch der Bruder des stadtbekannten Haschers?", wird er einst von seinem Lehrer gefragt und kassiert von ihm Schläge.
Vier Jahre verbringt Müllers Bruder im Jugendstrafvollzug. Mit 30 wird er heroinabhängig. Der Jurist glaubt, dass sein Bruder ohne Stigmatisierung und Inhaftierung einen anderen Weg eingeschlagen hätte und später auch nicht heroinabhängig geworden wäre. "Seine Psyche hat man kaputtgemacht."

"Ein engagierter Richter"

Andreas Müller fällt als Richter auf. Wegen seiner unkonventionellen Herangehensweise, aber auch, weil er die Öffentlichkeit sucht. Ihm wurden schon Titel wie "Richter Gnadenlos" oder "Der härteste Jugendrichter Deutschlands" zuteil. Eine Fehlwahrnehmung der Medien, wie er findet. Nehme man alle Titel zusammen und mische sie in einem Topf, käme allerdings das Richtige raus: "Ein engagierter Richter."
Abschalten fällt dem Juristen schwer, "weil ich immer noch darüber nachdenke, was an dem Tag so gelaufen ist." Am Ende des Tages bleibt die Frage "Hast du es richtig oder falsch gemacht oder hättest du es besser machen können?"
(aro)
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