Der Richter Thomas Schulte-Kellinghaus war 2012 von seiner Gerichtspräsidentin ermahnt worden, seine Amtsgeschäfte "ordnungsgemäß und unverzögert" zu erledigen. Ihm wurde vorgeworfen, bei den Fallzahlen nur 68 Prozent der Durchschnittsleistung anderer Richter zu erreichen. Schulte-Kellinghaus wehrte sich gegen den Erledigungsdruck, zunächst vor dem Richterdienstgericht in Karlsruhe. Dort unterlag er. Heute entscheidet der Bundesgerichtshof über den Fall.
"Die Wahrheit wird nicht mehr ermittelt, sondern vereinbart"
"Ein Richter ohne Zeit ist wie ein Maurer ohne Kelle": Der frühere Bundesrichter Wolfgang Neskovic unterstützt den Freiburger Richter Thomas Schulte-Kellinghaus. Dieser war von seiner Vorgesetzten ermahnt worden, mehr Fälle zu erledigen - und klagt dagegen vor dem BGH.
Eine Justizverwaltung, die einen Richter maßregelt, weil er ihrer Auffassung nach zu wenige Fälle erledigt: Für den früheren Bundesrichter und parteilosen ehemaligen Linke-Abgeordneten Wolfgang Neskovic ist das ein Angriff auf den Rechtsstaat.
"Wir machen uns um Polen Sorgen und kritisieren den Angriff der polnischen Regierung auf die richterliche Unabhängigkeit und übersehen gleichzeitig, dass auch hier in Deutschland – wenngleich unmerklicher und deutlich subtiler – die richterliche Unabhängigkeit in den Würgegriff politischer Abhängigkeit zu geraten droht", sagte Neskovic im Deutschlandfunk Kultur.
Heute verhandelt der BGH über den Fall Schulte-Kellinghaus
Der frühere Bundesrichter stellt sich damit hinter den Freiburger Richter Thomas Schulte-Kellinghaus. Dieser hatte gegen eine Ermahnung seiner Vorgesetzten geklagt, mehr Verfahren zu erledigen, weil er dadurch seine richterliche Unabhängigkeit bedroht sieht.
Auch Neskovic hält Zeit für einen entscheidenden Faktor, damit Richter ihre verfassungsmäßige Aufgabe ausfüllen können. "Der Rechtsstaat gerät in Gefahr, wenn wir nicht ausreichend über Richterinnen und Richter verfügen", warnt er. Denn ein Richter ohne Zeit laufe Gefahr, die Suche nach der Wahrheit aufzugeben oder einzuschränken. "Im Strafprozess führt das zum heftig kritisierten sogenannten Deal und im Zivilprozess – so anwaltlicher Jargon – dazu, dass Parteien zum Vergleich geprügelt werden."
"Die Kleinen hängt man, die Großen kommen glimpflich davon"
In der Praxis bedeute das "die Kleinen hängt man, und die Großen kommen glimpflich davon", kritisiert Neskovic. "Der Ladendieb und Sozialhilfebetrüger ist schnell überführt, während der Wirtschaftskriminelle die Zeitnot der Justiz zu einem Deal ausnutzt – nach dem Motto: Tausche Zeitnot der Richter gegen Strafrabatt." Gerade Wirtschaftskriminelle könnten in der Regel nur einer zeitaufwendigen Beweisaufnahme überführt werden. "Sie verfügen außerdem über hochbezahlte Rechtsanwälte, die Prozesse zeitlich in die Länge führen können, und genau diese zeitbedingten Faktoren führen zu einem Handel über die Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Wahrheit wird nicht mehr ermittelt, sondern vereinbart. Das Gleiche gilt für die Höhe der Strafe."
(uko)