"Riesenprobleme" bei vielen Opfern des Hochwassers
Die Betroffenen des Hochwassers müssten wissen, mit welchen Hilfen aus dem staatlichen Fluthilfefonds sie rechnen können, sagt Stefan Schröer, Fluthilfekoordinator der Diakonie. Konkrete Informationen seien für die Menschen die Voraussetzung, um überhaupt eine Zukunft planen zu können.
André Hatting: So klingt es also, wenn es jemand verzweifelt versucht, "Desperately trying", ein Titel von der jungen Sängerin Anna Luca, die es nicht nur versucht, sondern auch geschafft, von Wuppertal hinaus in die große Popwelt …
Tja, und um Verzweiflung geht es jetzt auch, Verzweiflung der Menschen nämlich, denen das Hochwasser Anfang Juni Häuser und Wohnungen zerstört hat. Jetzt ist die Flut wieder weg, und jetzt geht seine Arbeit erst so richtig los.
Stefan Schröer arbeitet bei der Diakonie, also der sozialen Einrichtung der evangelischen Kirchen in Deutschland, und dort koordiniert er die Fluthilfe. Guten Morgen, Herr Schröer.
Stefan Schröer: Ja, guten Morgen.
Hatting: Sie sind ständig unterwegs, gucken sich die Lage vor Ort an. Wie sieht es dort aktuell aus?
Schröer: Ja, wir haben ganz unterschiedliche Bilder zurzeit. In den meisten Bereichen und fast überall ist das Wasser abgeflossen. In einigen Gebieten sieht man noch die Container vor den Türen, in anderen Gebieten und Gemeinden denkt man, was ist hier passiert, ist ja alles wieder sauber. Man muss dann erst in die Häuser gucken, und dann sieht man die großen Probleme.
Hatting: Wo sieht’s am schlimmsten aus im Augenblick?
Schröer: Also die größten Bereiche, würde ich mal sagen, sind von der Fläche her, weil das Wasser unheimlich lange gestanden hatte, sind im Bereich Sachsen-Anhalt. Da sind natürlich die Schäden auch sehr, sehr hoch, weil wir ältere Bausubstanz haben, durchgängig, und wir haben dort das Wasser tagelang bis über Wochen in den Häusern stehen gehabt, wo man in vielen Fällen schon fast von einem Totalschaden ausgehen kann.
Hatting: Was brauchen die Menschen am dringendsten außer Geld für den Wiederaufbau?
Schröer: Ja, erst mal brauchen sie Klarheit über die staatliche Förderung, wie hoch ist sie – wird sie 50 Prozent, wird sie bis zu 80 Prozent –, damit sie überhaupt Zukunft planen können. Nur dann weiß ich, kann ich das überhaupt finanziell schaffen. Das ist erst mal die wichtigste Grundlage, damit ich überhaupt mal wieder eine Chance kriege, überhaupt über Zukunft nachzudenken.
Hatting: Sie haben, Herr Schröer, viele traurige Schicksale gesehen, jeder einzelne Fall ist bitter. Gibt es dennoch welche, die Sie persönlich besonders berührt haben?
Schröer: Also mich berühren diejenigen, die wir schon 2002, die man schon aus der Flut damals kannte, die heute wieder betroffen sind. Sie sind über zehn Jahre älter, stehen bereits in der Rente oder vor der Rente, die heute eigentlich nichts mehr haben. Das Gebäude an der Stelle ist in jetzt nachgewiesenem gefährdetem Gebiet. Die Banken geben vielleicht keine Kredite mehr aufgrund des Alters, aber auch aufgrund des Standortes, und die stehen erst mal vor einem ganz, ganz großen Fragezeichen. 2002 waren viele, viele erschrocken, aber mit der Rechnung, dass es nur sozusagen eine Jahrhundertflut ist, heute sind viele betroffen in der Form, dass sie auch sich erst mal wieder ruhig hinsetzen und wirklich gucken, gibt es überhaupt eine Zukunft.
Hatting: Und wie können Sie diesen Menschen helfen, wie machen Sie ihnen Hoffnung auf eine Zukunft?
Schröer: Wir versuchen hier, sie an die Hand zu nehmen, versuchen, mit ihnen zu planen, wie können wir hier ihre Gebäude wiederherstellen, wie können wir die Eigenleistung oder den Eigenanteil hier überbrücken. Können wir noch mit Banken reden, um Kredite zu bekommen, können wir mit Spendenmitteln sozusagen den letzten Bereich schließen, damit eine Zukunftsplanung da ist. Können wir ihr Gebäude vielleicht auch intern so umrüsten, dass es keine Ölheizung mehr gibt, eine Gasheizung, die nachher, sollte es wieder vorkommen, nicht die großen Schäden verursacht durch auslaufendes Öl. Dass man Stromkästen nach oben setzt ins zweite Stockwerk, sodass man Vorbereitungen macht. Weil eine Umsiedlung in diesen Fällen ist fast aus eigener Kraft nicht machbar. Weil sie haben ein Grundstück, das hat kaum noch einen Wert, das Gebäude hat noch kaum einen Wert und sie müssten eine komplette Neufinanzierung machen. Und da haben wir gerade in vielen Gebieten eine Bevölkerung, die kurz vor der Rente steht und in der Rente schon ist.
Hatting: Bund und Länder haben einen Hilfsfonds eingerichtet, erste Summen der insgesamt acht Milliarden Euro sollen noch in diesem Monat an die Betroffenen fließen, das wissen wir seit Mittwoch. Wird das reichen?
Schröer: Ja, die Frage ist für uns, wofür sind die acht Milliarden da? Und ich sag mal, da wo der ganze Deichbau mit rein muss, wo Neudeiche mit rein müssen, wo die Infrastruktur erst mal von bezahlt werden muss: Wie viel bleibt von diesen acht Milliarden für die privaten Betroffenen übrig, wie viel bleibt für die Gewerbebetriebe übrig, die sozusagen die Zukunft in den Gebieten auch sichern müssen, und wie viel muss dann noch der Einzelne selber wirklich an Eigenanteil leisten, kann er das überhaupt? Auch 5000 Euro ist für einen, ich sag mal, für einen Rentner mit einer kleinen Rente als Schadenrestbetrag sehr, sehr viel, weil meistens wird es doch teurer.
Hatting: Sachsen-Anhalt ist das am stärksten betroffene Bundesland, haben Sie vorhin gesagt, deswegen haben Sie in Magdeburg ein Büro für Härtefälle eingerichtet. Können Sie ein Beispiel für einen solchen Härtefall nennen?
Schröer: Ja, die Beispiele, die wir jetzt bekommen, sind diejenigen, die keine Versicherung mehr bekommen haben nach den letzten Fluten, die aber auch keine Darlehen mehr bekommen, weil sie das Haus noch überschuldet haben, weil sie noch Schulden aus den letzten Flutbereichen, Kredite stehen haben. Das sind natürlich Härtefälle hier, die wirklich da dann Riesenprobleme haben, überhaupt eine Zukunft planen zu können.
Hatting: Wie wird das angenommen, kommen viele in das Büro?
Schröer: Also in das Büro selber bei uns werden sicherlich sehr wenige Leute den Weg finden oder müssen sie auch nicht, weil wir über das Netzwerk von Diakonie und in Zusammenarbeit mit Diakonie Katastrophenhilfe und den evangelischen Kirchen vor Ort so gut vernetzt sind, dass wir fast in jedem Ort präsent sind, um die Nähe zu den Betroffenen zu halten.
Hatting: Auch die Diakonie hat Geld gesammelt für die Flutopfer, wie viel ist da zusammengekommen bislang?
Schröer: Also über alle, durch die Diakonie Katastrophenhilfe und zusammen mit den diakonischen Landesverbänden von Schleswig-Holstein bis Bayern, muss man rechnen, dass wir im Moment circa 20 Millionen zur Verfügung haben.
Hatting: Wie genau setzen Sie das Geld ein?
Schröer: Ja, wir gehen hier nach Bedürftigkeit in die übrig bleibende Lücke der staatlichen Finanzierung, sozusagen der Bereich, der von den Betroffenen selber zu stemmen ist, um da zu sehen, wer kann es überhaupt nicht, um nachher seinen Schaden zu regulieren. Da werden wir nach Bedürftigkeit diese Mittel einsetzen.
Hatting: Stefan Schröer über seine Erfahrungen mit den Flutopfern. Er koordiniert die Katastrophenhilfe der Diakonie. Besten Dank für dieses Gespräch, Herr Schröer.
Schröer: Ja, danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Tja, und um Verzweiflung geht es jetzt auch, Verzweiflung der Menschen nämlich, denen das Hochwasser Anfang Juni Häuser und Wohnungen zerstört hat. Jetzt ist die Flut wieder weg, und jetzt geht seine Arbeit erst so richtig los.
Stefan Schröer arbeitet bei der Diakonie, also der sozialen Einrichtung der evangelischen Kirchen in Deutschland, und dort koordiniert er die Fluthilfe. Guten Morgen, Herr Schröer.
Stefan Schröer: Ja, guten Morgen.
Hatting: Sie sind ständig unterwegs, gucken sich die Lage vor Ort an. Wie sieht es dort aktuell aus?
Schröer: Ja, wir haben ganz unterschiedliche Bilder zurzeit. In den meisten Bereichen und fast überall ist das Wasser abgeflossen. In einigen Gebieten sieht man noch die Container vor den Türen, in anderen Gebieten und Gemeinden denkt man, was ist hier passiert, ist ja alles wieder sauber. Man muss dann erst in die Häuser gucken, und dann sieht man die großen Probleme.
Hatting: Wo sieht’s am schlimmsten aus im Augenblick?
Schröer: Also die größten Bereiche, würde ich mal sagen, sind von der Fläche her, weil das Wasser unheimlich lange gestanden hatte, sind im Bereich Sachsen-Anhalt. Da sind natürlich die Schäden auch sehr, sehr hoch, weil wir ältere Bausubstanz haben, durchgängig, und wir haben dort das Wasser tagelang bis über Wochen in den Häusern stehen gehabt, wo man in vielen Fällen schon fast von einem Totalschaden ausgehen kann.
Hatting: Was brauchen die Menschen am dringendsten außer Geld für den Wiederaufbau?
Schröer: Ja, erst mal brauchen sie Klarheit über die staatliche Förderung, wie hoch ist sie – wird sie 50 Prozent, wird sie bis zu 80 Prozent –, damit sie überhaupt Zukunft planen können. Nur dann weiß ich, kann ich das überhaupt finanziell schaffen. Das ist erst mal die wichtigste Grundlage, damit ich überhaupt mal wieder eine Chance kriege, überhaupt über Zukunft nachzudenken.
Hatting: Sie haben, Herr Schröer, viele traurige Schicksale gesehen, jeder einzelne Fall ist bitter. Gibt es dennoch welche, die Sie persönlich besonders berührt haben?
Schröer: Also mich berühren diejenigen, die wir schon 2002, die man schon aus der Flut damals kannte, die heute wieder betroffen sind. Sie sind über zehn Jahre älter, stehen bereits in der Rente oder vor der Rente, die heute eigentlich nichts mehr haben. Das Gebäude an der Stelle ist in jetzt nachgewiesenem gefährdetem Gebiet. Die Banken geben vielleicht keine Kredite mehr aufgrund des Alters, aber auch aufgrund des Standortes, und die stehen erst mal vor einem ganz, ganz großen Fragezeichen. 2002 waren viele, viele erschrocken, aber mit der Rechnung, dass es nur sozusagen eine Jahrhundertflut ist, heute sind viele betroffen in der Form, dass sie auch sich erst mal wieder ruhig hinsetzen und wirklich gucken, gibt es überhaupt eine Zukunft.
Hatting: Und wie können Sie diesen Menschen helfen, wie machen Sie ihnen Hoffnung auf eine Zukunft?
Schröer: Wir versuchen hier, sie an die Hand zu nehmen, versuchen, mit ihnen zu planen, wie können wir hier ihre Gebäude wiederherstellen, wie können wir die Eigenleistung oder den Eigenanteil hier überbrücken. Können wir noch mit Banken reden, um Kredite zu bekommen, können wir mit Spendenmitteln sozusagen den letzten Bereich schließen, damit eine Zukunftsplanung da ist. Können wir ihr Gebäude vielleicht auch intern so umrüsten, dass es keine Ölheizung mehr gibt, eine Gasheizung, die nachher, sollte es wieder vorkommen, nicht die großen Schäden verursacht durch auslaufendes Öl. Dass man Stromkästen nach oben setzt ins zweite Stockwerk, sodass man Vorbereitungen macht. Weil eine Umsiedlung in diesen Fällen ist fast aus eigener Kraft nicht machbar. Weil sie haben ein Grundstück, das hat kaum noch einen Wert, das Gebäude hat noch kaum einen Wert und sie müssten eine komplette Neufinanzierung machen. Und da haben wir gerade in vielen Gebieten eine Bevölkerung, die kurz vor der Rente steht und in der Rente schon ist.
Hatting: Bund und Länder haben einen Hilfsfonds eingerichtet, erste Summen der insgesamt acht Milliarden Euro sollen noch in diesem Monat an die Betroffenen fließen, das wissen wir seit Mittwoch. Wird das reichen?
Schröer: Ja, die Frage ist für uns, wofür sind die acht Milliarden da? Und ich sag mal, da wo der ganze Deichbau mit rein muss, wo Neudeiche mit rein müssen, wo die Infrastruktur erst mal von bezahlt werden muss: Wie viel bleibt von diesen acht Milliarden für die privaten Betroffenen übrig, wie viel bleibt für die Gewerbebetriebe übrig, die sozusagen die Zukunft in den Gebieten auch sichern müssen, und wie viel muss dann noch der Einzelne selber wirklich an Eigenanteil leisten, kann er das überhaupt? Auch 5000 Euro ist für einen, ich sag mal, für einen Rentner mit einer kleinen Rente als Schadenrestbetrag sehr, sehr viel, weil meistens wird es doch teurer.
Hatting: Sachsen-Anhalt ist das am stärksten betroffene Bundesland, haben Sie vorhin gesagt, deswegen haben Sie in Magdeburg ein Büro für Härtefälle eingerichtet. Können Sie ein Beispiel für einen solchen Härtefall nennen?
Schröer: Ja, die Beispiele, die wir jetzt bekommen, sind diejenigen, die keine Versicherung mehr bekommen haben nach den letzten Fluten, die aber auch keine Darlehen mehr bekommen, weil sie das Haus noch überschuldet haben, weil sie noch Schulden aus den letzten Flutbereichen, Kredite stehen haben. Das sind natürlich Härtefälle hier, die wirklich da dann Riesenprobleme haben, überhaupt eine Zukunft planen zu können.
Hatting: Wie wird das angenommen, kommen viele in das Büro?
Schröer: Also in das Büro selber bei uns werden sicherlich sehr wenige Leute den Weg finden oder müssen sie auch nicht, weil wir über das Netzwerk von Diakonie und in Zusammenarbeit mit Diakonie Katastrophenhilfe und den evangelischen Kirchen vor Ort so gut vernetzt sind, dass wir fast in jedem Ort präsent sind, um die Nähe zu den Betroffenen zu halten.
Hatting: Auch die Diakonie hat Geld gesammelt für die Flutopfer, wie viel ist da zusammengekommen bislang?
Schröer: Also über alle, durch die Diakonie Katastrophenhilfe und zusammen mit den diakonischen Landesverbänden von Schleswig-Holstein bis Bayern, muss man rechnen, dass wir im Moment circa 20 Millionen zur Verfügung haben.
Hatting: Wie genau setzen Sie das Geld ein?
Schröer: Ja, wir gehen hier nach Bedürftigkeit in die übrig bleibende Lücke der staatlichen Finanzierung, sozusagen der Bereich, der von den Betroffenen selber zu stemmen ist, um da zu sehen, wer kann es überhaupt nicht, um nachher seinen Schaden zu regulieren. Da werden wir nach Bedürftigkeit diese Mittel einsetzen.
Hatting: Stefan Schröer über seine Erfahrungen mit den Flutopfern. Er koordiniert die Katastrophenhilfe der Diakonie. Besten Dank für dieses Gespräch, Herr Schröer.
Schröer: Ja, danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.