Riga 2014

Kulturhauptstadt und Nazikollaboration

Von Markus Nowak |
Riga ist in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte soll dort an einer Reihe von "Denkorten" möglich sein. Dazu gehört auch das Okkupationsmuseum, das mit einer Ausstellung die Kollaboration mit den Nazis beleuchtet.
Die Deutsche Wochenschau vom Juli 1941 berichtet über den Vormarsch der Wehrmacht im Baltikum. Nach dem Angriff auf die Sowjetunion 1941 eroberten deutsche Truppen auch Lettland. Und ein Teil der lettischen Bevölkerung begrüßte die deutsche Armee nicht als Besatzungsmacht, sondern als Befreier.
NS-Wochenschau: "Der Einmarsch unserer Truppen vollzieht sich unter Jubel der Bevölkerung."
Dass die Letten jubelten, als die Wehrmacht 1941 einmarschierte und mehr als 150.000 Männer in den Diensten der Deutschen kämpften, bestreiten selbst lettische Historiker nicht. Ab 1943 wurden sogar SS-Divisionen gebildet, die ihren Treueeid auf Hitler zu schwören hatten.
Offizieller Programmteil von Riga 2014
Jene für die Letten bis heute schwierige Zeit der deutschen Besatzung und Kollaboration behandelt das Rigaer Okkupationsmuseum. Die Sanierung des Hauses ist zwar nicht pünktlich zum Kulturhauptstadtjahr fertig geworden. Als Interimslösung wird ein Teil der neuen Dauerausstellung - als offizieller Programmteil von Riga 2014 - in der ehemaligen US-Botschaftsvilla gezeigt. Valters Nollendorfs gehört dem Vorstand des Museums an:
"Wir versuchen, den Letten etwas beizubringen, was sie in ihren Legenden oder ihren Mythen nicht erinnern. Und dabei darf man nicht vergessen, dass etwa 50 Jahre lang eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, ein Diskurs, nicht stattfinden konnte."
Werbefilm: "Die Rigaer Straße der Freiheit hieß viele Jahre Leninstraße."
Ein Werbefilm über die europäische Kulturhauptstadt Riga. Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte soll das Kulturhauptstadtprogramm anstoßen. Und in der ehemaligen Leninstraße, der heutigen Brīvības iela, der Freiheitsstraße, wird zum ersten Mal ein Gebäude für die Öffentlichkeit geöffnet, vor dem sich die Rigaer einst fürchteten. Im sogenannten "Eckhaus" hatte der KGB im Kalten Krieg seinen Sitz und im Keller seine Folterkammern.
Kurzzeitig nach der Unabhängigkeit 1991 von der lettischen Polizei genutzt, steht es seit fast zwei Jahrzehnten leer. Im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms dient es als Kulisse für historische Sonderausstellungen. Ein erster Schritt nicht nur für eine Nachnutzung, sondern auch für einen Umgang mit dem Erbe der einstigen Sowjetzeit, glaubt Anna Muhka vom Kulturhauptstadtbüro:
"Wir wollen neues Leben in das Haus bringen, ohne die Vergangenheit zu vergessen und das Tragische, was hier passiert ist. Ich meine, das Haus ist nicht schuld daran, es ist ein schönes Haus. 1912 gebaut und keineswegs für die KGB. Wir wollen damit ein Zeichen setzen, dass wir mit dem Haus etwas tun müssen, es darf hier nicht leer und stumm an der Straßenecke stehen."
Abseits der Großereignisse
Stumm in der Ecke steht - angesichts der großen Debatten um die lettische Kollaboration mit dem NS-Regime oder über die Opferrolle während der sowjetischen Besatzungszeit - ein Teil der lettischen Geschichte, der nun verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit rücken wird. So zumindest der Wille einer Privatinitiative, die im letzten Jahr Janis Lipke ein Museum samt Gedenkstätte gebaut hat.
Lipke gelang es als Lagerarbeiter bei der Luftwaffe dutzende Juden aus Rigaer Getto zu schmuggeln und über Monate in einem Erdloch in seinem Garten zu verstecken. So überlebten 56 lettische Juden den Holocaust. Und während Lipke 1977 als Gerechten unter den Völkern geehrt wurde, verblaste die Erinnerung an den Judenretter von Riga im einst sowjetischen Lettland, sagt Lasma Matusevica, die Besucher durch das Museum führt:
"Die Geschichte über Lipke ist nicht sonderlich bekannt und das liegt daran, dass es der gegenteilige Teil der Geschichte ist, über den man nicht spricht. In Schulen wird nur über die Tragödie gesprochen, also wie viele Juden ermordet wurden und wie schlimm es war. Es wird aber nicht erwähnt, dass es Menschen gab, die auch Juden geholfen haben. Ich kannte Lipkes Geschichte auch nicht, bevor ich hier meine Arbeit aufgenommen habe. Jetzt, da ich sie kenne, möchte ich sie mehr und mehr Menschen erzählen. Sie muss erzählt werden."
"In dem Jahr, in dem so viele Augen auf die Kulturhauptstadt Europas gerichtet sind, sollte sich Riga dem Andenken dieses Mannes würdig erweisen", so steht es im Kulturhauptstadtprogramm, das abseits der Großereignisse zumindest am Rande auf das Lipke-Museum verweist.
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