Rilke-Nachlass in Marbach
Nicht so "solitär" wie oft dargestellt: Rilke habe Kontakte zu vielen Menschen und Themen gehabt, sagt Sandra Richter. Das zeigen auch die vielen Briefe des Nachlasses. © Getty Images / ullstein bild
Ein neuer Blick auf den Dichter
06:53 Minuten
Tausende handschriftliche Blätter und Briefe: Der Nachlass des Schriftstellers Rainer Maria Rilke ist riesig. Jetzt präsentierte das Deutsche Literaturarchiv in Marbach Teile dieser Aufsehen erregenden Neuanschaffung. Mit Entdeckungen ist zu rechnen.
Von einem „Jahrhundert-Erwerb“ war die Rede, jetzt hat das Deutsche Literaturarchiv Marbach Teile daraus in Berlin erstmals vorgestellt: Der Nachlass des Dichters Rainer Maria Rilke (1875-1926). Zuvor sei der umfangreiche Nachlass des weltweit wichtigsten deutschsprachigen Autoren der literarischen Moderne von dessen Nachkommen verwaltet worden, sagt Sandra Richter, Direktorin des Deutschen Literaturarchivs.
Offenbarung für die Forschung
Rilkes Nachlass sei der letzte eines großen Dichters der Moderne gewesen, der noch in Privatbestand war: „Gigantisch groß: Über 20.000 handschriftliche Blätter, darunter 2500 Briefe von Rilke allein, 6300 Briefe an Rilke, seine Notizbücher, Fotos, die niemand so je gesehen hat.“
Eindrücke aus dem Rilke-Nachlass
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Unser Literaturkritiker Jörg Plath war bei der Vorstellung des Nachlasses. Gespannt sieht er der Auswertung von Rilkes Notizbüchern entgegen. Bislang sei noch kaum bekannt, dass Rilke auch gezeichnet hat. Somit zeigt sich hier eine völlig neue Facette des Dichters.
Auch sei schon mindestens ein unbekanntes Gedicht von Rilke entdeckt worden. Bis auf die Erben-Familie habe seit Jahrzehnten niemand ohne Anmeldung Zugang zu dem riesigen Archiv gehabt, erzählt Plath. Mit weiteren Schätzen darf also gerechnet werden.
Den Nachlass werde man nun digitalisieren und für die Forschung aufbereiten, sagt Marbach-Direktorin Richter, für einen „großflächigeren Zugriff“. Rilke sei zwar allgemein bekannt, aber heutzutage auch fremd geworden "mit seinen großen Begriffen“, so Richter.
Frühwerk neu beleuchten
Rilke werde bisher vor allem als Lyriker gesehen. Doch seine frühen Werke zeigten ihn auch als naturalistischen Dramatiker – dies sei weitgehend aus dem Fokus geraten. Diesen Rilke in all seinen Facetten ans Tageslicht zu bringen, könne man nun in anderer Weise leisten. „Der Umgang mit Rilke wird sich vielleicht etwas verändern – man wird dabei manches entdecken, was tatsächlich neu ist.“
Die Ergebnisse aus der Erforschung, auch gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern, werde man dann auch in Ausstellungen anbieten können. Geplant ist eine Ausstellung im Jahr 2025 zum 150. Geburtstag des Dichters.
Briefe widerlegen These vom "solitären" Rilke
Wichtig seien auch die Briefe, die seinen Austausch mit anderen Menschen und Themen aus ganz Europa dokumentierten. Rilke werde oft als „solitär“, als Einzelgänger gesehen. Doch die Briefe zeigten seine zahlreichen Verbindungen, so Richter.
„Diesen Autor, der sein Werk auch in Auseinandersetzungen mit anderen schrieb und für andere schrieb, den kennen wir so heute noch nicht.“