Rimini-Protokoll

Nüchterner Abend mit "Mein Kampf"

Die Schauspieler des Berliner Theaterkollektivs Rimini Protokoll stehen und sitzen im E-Werk in Weimar zu dem Theaterstück "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" auf der Bühne.
Die Schauspieler des Berliner Theaterkollektivs Rimini Protokoll brachten in Weimar Adolf Hitlers "Mein Kampf" auf die Bühne. © dpa/ picture-alliance/ Sebastian Kahnert
Von Matthias Dell |
Ab 2016 ist "Mein Kampf" nicht mehr urheberrechtlich geschützt und jeder kann es sich dann quasi aneignen, es dramatisieren oder verlegen. Für das Kunstfest Weimar hat sich die Theatergruppe Rimini Protokoll allerdings schon jetzt das Buch und seine Geschichte vorgenommen. Dass die Aufführung Längen hat, liegt wohl auch am Werk selbst.
Es wird an diesem Abend im E-Werk Weimar auch gelesen aus "Mein Kampf", wobei gerade diese Stellen am besten geeignet sind, das verbotene Buch zu entmythisieren. Hitler klingt dann wie irgendein verschwörungstheoretisch inspirierter Facebook-Hater unserer Tage, der seine kruden Theorien einfach nicht in überzeugende Argumentation verwandelt kriegt; ein bisschen schwülstiger und altmodischer vielleicht.
Gemessen an der völkischen Literatur der zwanziger Jahre sei "Mein Kampf" stilistisch durchschnittlich, erklärt im Video Othmar Plöckinger, der zu der Münchner Gruppe von Wissenschaftlern gehört, die an der kommentierten Version von Hitlers Traktat fürs kommende Jahr arbeiten.
Hitlers Schwulst vernebelt das Gehirn
"Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" spielt auf der Rückseite des Bücherregals aus einem anderen Stück von Rimini Protokoll: "Karl Marx: Das Kapital, Band 1". Die beiden Bücher haben einiges gemeinsam: Sie stehen für die großen Ideologien des 20. Jahrhunderts und ihre Bekanntheit verhält sich vermutlich indirekt proportional zur Zahl der tatsächlichen Lektüren. Es gibt aber auch gravierende Unterschiede: Während Marxens "Kapital" die Fantasie anregt, weil des den Blick auf ökonomische Funktionsweisen öffnet, vernebelt Hitlers Schwulst das Hirn. Das ist wohl auch ein Grund, warum der über zweistündige Abend in Weimar immer wieder an Spannkraft verliert und am Ende nüchtern, aber keineswegs begeistert beklatscht wird.
"Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" befasst sich freilich nicht nur mit dem Text, sondern recherchiert das Drumherum. Es gibt einen Exkurs über Braunau und die schwierige Frage, wie mit Hitlers Geburtshaus umzugehen sei (ein Vorschlag: darin den Propaganda-Müll zu sammeln, den Aussteiger aus der rechten Szene heute zurücklassen).
Es wird an Michael Kühnen erinnert, der am Beginn des deutschen Neonazismus ein historisches Führer-Reenactment versucht (inklusive Gefängnishaft und eigenem Traktat). Es wird von Joachim Hainzl erzählt, der in 30 Jahren 4000 Bücher aus Papiertonnen und Mülleimern gesammelt hat (darunter gerade ein Exemplar von "Mein Kampf"). Der bei den Proben unternommene Versuch, binnen einer Stunde in Weimar für 120 Euro ein Exemplar von Hitlers Buch aufzutreiben, wird als Erfolg resümiert - im dritten Antiquariat wurde man zum vorgeschriebenen Preis fündig.
"Mein Kampf" ist ein unsichtbares Buch
"Mein Kampf", bis 1945 in einer Auflage von zwölf Millionen unters Volk gebracht, ist, so macht der Abend deutlich, kein unzugängliches, sondern nur ein unsichtbares Buch. Wer es lesen will, wird das schon getan haben. Das ist die relativ beruhigende Nachricht mit Blick auf 2016, die "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" vermittelt über typische Rimini-Routinen wie Zuordnungsspiele ("Würden Sie ein Exemplar in Weimar auf einem Kaffeetisch liegen lassen - ja oder nein?" - "In Tel Aviv?") und Begriffserklärungen.
Die Aktualität des Gegenstands zeigt sich am Ende an zwei Lebensgeschichten: Der Rapper Volkan T Error singt noch einmal das Lied über "Neue Deutsche Opfer", das er gemeinsam mit dem nunmehr für den IS kämpfenden Deso Dogg vor Jahren aufgenommen hatte, um einer Renationalisierung des deutschen HipHops (Fler: "Neue Deutsche Welle") etwas entgegenzusetzen. Und die Jura-Professorin Sibylla Flügge liest aus dem Brief vor, mit dem sich ihre Schwester einst in den linksextremen Untergrund verabschiedete. In beiden Fällen verrennt sich eine Gegenposition zu Hitlers Nazismus ausgerechnet in der falschen Konsequenz, sich nicht mehr mit jenen "Halbheiten" zu begnügen, von deren Überwindung "Mein Kampf" schwadroniert.
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