Risiken Sozialer Plattformen

Meinungsfreiheit im Griff der Werbeindustrie

04:23 Minuten
Das Facebook Logo ist auf zahlreichen Bildschirmen auf einem Messestand zu sehen.
Das mächtigste journalistische Instrument unserer Zeit ist die Software von Plattformen wie Facebook und Youtube, sagt Ingrid Brodnig. © AFP/ Robyn Beck
Ein Plädoyer von Ingrid Brodnig |
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Soziale Netzwerke sind für viele zur wichtigsten Informationsquelle geworden. Doch börsennotierte Konzerne als Hüter der öffentlichen Debatte sind eine Gefahr, meint Ingrid Brodnig. Die Publizistin wünscht sich Plattformen, die nicht der Werbelogik folgen.
Was ist das mächtigste journalistische Instrument unserer Zeit?
Ist es das Schaltpult von CNN, wo Bilder aus Krisenregionen wir zu sehen bekommen? Ist es der Newsroom der "New York Times", wo die Recherchen von 1.700 Journalistinnen zusammenlaufen?
Nein, das mächtigste journalistische Instrument unserer Zeit ist die Software von Plattformen wie Facebook und Youtube. Der Algorithmus von Facebook kann jeden Tag beeinflussen, was mehr als 1,5 Milliarden Menschen über die Welt erfahren. Und auch Youtubes Software gibt vor, welches Video es mehr als einer Milliarde Userinnen und Usern anzeigt.
Politische Cartoons, inspiriert vom Facebook-Logo (R) des myanmarischen Cartoonisten Kyaw Tin Myint Thit und einer der myanmarischen Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi mit einer von Moe Htet Moe geschaffenen Friedenstaube (L).
Im Falle von Burma war Facebook ein Austragungsort der politischen Verfolgung von Rohingya – und steuerte die Verbreitung von Nachrichten.© AFP/ Romeo Gacad
Noch nie hatte eine einzelne Redaktion, ein Sender, ein Zeitungshaus eine so große Reichweite, wie es diese Plattformen haben. Das bringt enorme Macht mit sich, einen weltweit enormen Einfluss.

Facebook stoppte hetzerische Nachrichten

Im Jahr 2018 fanden beispielsweise gewaltvolle Übergriffe auf die Rohingya statt – der muslimischen Minderheit in Burma. Die UN spricht von einem "anhaltenden Völkermord". Auch Facebook war ein Austragungsort der politischen Verfolgung. In einem Interview erzählte Mark Zuckerberg, dass er an einem Samstagmorgen von Mitarbeitern angerufen wurde und erfuhr, dass über den Facebook-Messenger Gewaltaufrufe in Burma versendet wurden. Er erzählte: Facebook entschied, solche Gewaltaufrufe nicht weiterzuleiten – diese hetzerischen Nachrichten zu stoppen.
Es ist natürlich gut, dass Facebook kein Instrument ethnischer Säuberungen sein will. Aber gleichzeitig ist das schon interessant: Nicht ein Gericht, nicht ein Parlament hat entschieden, wie mit dem Aufruf zum Völkermord in einer ganzen Region verfahren wird – Mark Zuckerberg und sein Unternehmen Facebook sagten das.

Gefahr der effekthaschenden Kommunikation

Die Macht im Netz ist auf einzelne wenige Plattformen konzentriert. Das Web war als Erfindung gedacht, die mehr Pluralismus, mehr Vielfalt in unsere öffentliche Debatte bringen sollte – und in manchen Punkten gelingt das auch, aber gleichzeitig erleben wir eine enorme Machtkonzentration, eine Marktkonzentration, auch eine Konzentration auf ein einzelnes Geschäftsmodell.
Denn die dominanten Social-Media-Plattformen unserer Zeit haben alle die gleiche Finanzierungsform: Sie verkaufen Werbung. Bei rein werbebasierten Angeboten besteht die Sorge, dass sie zu einer besonders überhitzten, effekthaschenden Kommunikation führen. Wir Menschen klicken zum Beispiel eher auf Inhalte, die uns wütend machen, zeigen Studien, und die Gefahr besteht, dass Algorithmen solche emotionalisierenden Inhalte begünstigen, weil sie all die Klicks, all die Likes wütender Menschen als Zeichen werten, dass ein Inhalt wichtig ist.
Will man möglichst viele Menschen dazu bewegen, dass sie Zeit auf der eigenen Seite verbringen, dass sie dort brav weiterklicken, funktioniert das womöglich besonders leicht mit emotionalisierenden, mit bunten, auch mit aufwühlenden Inhalten. So kriegt man Aufmerksamkeit – und nebenbei kann man Werbung anzeigen.

Öffentlich-rechtliche Plattformen für Europa

Die Monokultur im Netz hat Schattenseiten – es ist riskant, eine kleine Anzahl börsennotierter Konzerne als Hüter unserer öffentlichen Debatte auftreten zu lassen. Wir brauchen Alternativen. Wir brauchen neben Facebook und Google, dem Youtube gehört, auch nicht-kommerzielle Angebote: Europa sollte öffentlich-rechtliche Plattformen entwickeln – die nicht einer Werbelogik folgen.
In Deutschland gibt es die Idee einer Internetintendanz, bei der eine Plattform "im Sinne eines ‚Public Open Space‘" geschaffen wird, nachzulesen auch in einem Konzeptpapier dreier Wissenschaftler, die alle bestehenden Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender ersetzt und wo gleichzeitig Userinnen und User diese Inhalte diskutieren können. Das ist ein Ansatz, eine Idee: Wir brauchen viele solcher Versuche – damit am Ende einzelne neue Nischen entstehen, die nicht von Facebook, Google oder den Wünschen der Werbeindustrie dominiert werden.
Wir brauchen ein Netz, in dem die mächtigsten journalistischen Instrumente unserer Zeit nicht von zwei oder drei immergleichen Unternehmen geliefert werden.

Ingrid Brodnig, Jahrgang 1984, ist österreichische Journalistin und Autorin. Im September 2019 erschien ihr aktuelles Buch "Übermacht im Netz. Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen". In ihrer Arbeit beschreibt die ehemalige Redakteurin des Nachrichtenmagazins Profil den gesellschaftlichen und politischen Einfluss digitaler Medien. Für das Werk "Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können" (Brandstätter Verlag) erhielt sie den Bruno-Kreisky-Sonderpreis für das politische Buch.

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© Foto: Ingo Pertramer/Brandstaetter Verlag
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