Fressen oder gefressen werden
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Die Zahl der Firmenzusammenschlüsse steigt. Auch Deutsche Bank und Commerzbank sondieren gerade. Das Risiko ist hoch: Über 50 Prozent der Fusionen scheitern - und je größer die Fusion, desto wahrscheinlicher der Misserfolg.
Im Sommer 2018 hat der deutsche Pharma- und Agrochemiekonzern Bayer seinen amerikanischen Wettbewerber Monsanto gekauft, für 58 Milliarden US-Dollar. Es ist die größte Übernahme, die ein deutsches Unternehmen je im Ausland gewagt hat.
Wie gewagt, stellt sich in diesem Gerichtssaal in San Francisco heraus, am 10. August 2018, kurz nach der Übernahme von Monsanto durch Bayer. 250 Millionen US-Dollar Schadenersatz spricht die Jury dem Schulhausmeister Dewayne Johnson zu, der Monsanto verklagt hatte. Nach jahrelanger Verwendung von glyphosathaltigen Unkrautvernichtungsmitteln war er unheilbar an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Einige Monate später reduziert die Jury die Schadenersatzsumme auf immerhin noch 78 Millionen.
"Wir halten das Urteil im Fall Johnson für falsch", sagte Bayer-Vorstandschef Werner Baumann auf der Bilanzpressekonferenz Ende Februar. "Daher haben wir Berufung eingelegt. Und wir werden uns auch in allen weiteren Verfahren entschieden zur Wehr setzen. Glyphosat ist ein sicheres Produkt."
Doch inzwischen sind mehr als 11.000 ähnliche Klagen gegen Monsanto anhängig. Im März fiel ein weiteres erstinstanzliches Urteil zulasten der Firma. Bis zur letzten Instanz wird sie viel Geld und Energie brauchen. 120 Millionen Dollar soll laut "Financial Times" allein die Investmentbank Morgan Stanley erhalten haben für die Beratung der früheren Monsanto-Eigentümer beim Verkauf. Das 58-Milliarden-Dollar-Geschäft sollen laut "Handelsblatt" mehr als 20 Investmentbanken finanziert haben.
Warum finanzieren Investmentbanken riskante Fusionen?
"Eine Vorbereitung zu einer Transaktion ist natürlich immer eine Schnappschussbetrachtung, wo man sagt, wie schätze ich das heute ein mit all dem Wissen, was ich heute weiß", sagt Martin Korbmacher. Er war 20 Jahre lang Investmentbanker in leitender Funktion, unter anderem bei Dresdner Kleinwort, JPMorgan und Crédit Suisse.
"Die Entscheidung, als Investmentbank so eine Transaktion zu begleiten und gegebenenfalls auch zu finanzieren, erfolgt natürlich nur dann, wenn man der Meinung ist, dass dieses für einen Merger aufgestellte oder eine Übernahme aufgestellte Modell oder der Plan des Managements funktionieren könnte oder sogar eine hohe Wahrscheinlichkeit hat. Dann entscheidet man sich, so eine Transaktion zu begleiten und gegebenenfalls auch mitzufinanzieren."
"Die Kursentwicklung jedenfalls hat gezeigt, dass der Markt, dass die anderen Börsenteilnehmer diese Risiken für sehr relevant halten", so Malte Diesselhorst von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), einem Interessenverband von Kleinanlegern, zur Übernahme von Monsanto durch Bayer.
"Natürlich gibt es bei so einer großen Fusion auch noch andere Risiken, die vielleicht nicht so wahrgenommen werden wie diese Prozesse. Und das sind Integrationsrisiken. Das heißt: Man muss ja die gesamte Unternehmensstruktur umstellen. Man muss die Kunden mitnehmen bei so einer Integration."
Eine Frage der Zielsetzung
Die einen stecken in der Fusion mittendrin. Anderen steht sie womöglich bevor: Die Medien diskutieren derzeit etwa die mögliche Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank. Soll man diese Fusion bleiben lassen?
"Ich bin da ein bisschen zwiegespalten. Es ist die Frage der Zielsetzung, die man damit verfolgt", sagt Lars Schweizer, Professor für Management und Mikroökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Unter seinen Forschungsschwerpunkten: Firmenfusionen und strategische Allianzen.
"Volkswirtschaftlich und auf lange Sicht gerechnet sind Deutsche Bank und Commerzbank in der derzeitigen Verfassung nicht in der Lage, international an der Spitze mitzuspielen. Dafür fehlt die Marktkapitalisierung, die Refinanzierungskosten sind zu hoch bei der Deutschen Bank, die sind bei der Commerzbank besser. Also von daher macht's durchaus Sinn, darüber in Überlegungen einzutreten."
"Es ist klar, in dem sogenannten Retail Banking, also im Privatkundengeschäft würde ich damit überhaupt als Erstes mal im Privatbankenbereich jemanden haben, der eine kritische Größe hat", so Ex-Investmentbanker Martin Korbmacher.
"Wenn wir uns das im Vergleich in Frankreich, in anderen Ländern angucken, haben wir einige der Teilnehmer in dem Markt, die diese Größe haben, die das kombinierte Unternehmen hätte, das heißt, so etwas könnte dann funktionieren. Am Ende des Tages wird das Wohl und Wehe einer solchen Transaktion daran entschieden, wie ich den Prozess in der Integration danach vorantreibe. Die Integration und Zusammenführen von IT sind für mich da die größten Risiken."
Ein beträchtliches Konglomerat
Bei der Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank entstünde ein Konglomerat mit einer Bilanzsumme von etwa 2 Billionen Euro. 2.000 Milliarden, etwa zwei Drittel der deutschen Jahreswirtschaftsleistung. Hunderttausende Einzelaktionäre, Dutzende Millionen von Kunden.
Wie kompliziert würde der Vertrag für eine Fusion dieser Größenordnung?
"Der Vertrag selbst wird keine tausende Seiten, der wird allenfalls ein paar hundert Seiten. Der enthält allerdings zahlreiche Anhänge, die das natürlich in Summe zu einem Dokument machen, mit dem man wahrscheinlich eine Bürowand füllen könnte, bei einem Projekt dieser Größenordnung", weiß Lars Friske von der Kanzlei Metis. Der Frankfurter Rechtsanwalt war früher bei der international führenden Kanzlei Freshfields. Die berät regelmäßig Großkonzerne bei milliardenschweren Übernahmegeschäften.
"Entsprechend sind aber auch die Zahlen der handelnden Personen sowohl im Unternehmen selber als auch auf der Beraterseite, die das rechtlich in Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Unternehmensberater, also da ist der Stab der handelnden Personen für die Dauer dieses Projekts, der geht leicht in die Hunderte."
Die Mitarbeiter sind gelassen - noch
Einer von denen, der da fusioniert werden könnte, ist Jürgen. Er wirkt gelassen. Das Gespräch mit ihm fand kurz vor der offiziellen Bekanntgabe der Sondierungsgespräche von Deutscher Bank und Commerzbank statt.
"Momentan beschäftigt mich das weniger, weil ich das Gefühl habe, dass es so viel zu tun gibt für alle Mitarbeiter, dass man da nicht ohne weiteres auf Leute verzichten kann. Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass ich dann möglicherweise auf die Personen verzichte, die in den Vorruhestand gehen, auf die Personen, die schnell woanders eine Anstellung finden, dann gruselt's mich vor dem Ergebnis, was dann nachher noch übrig bleibt."
Je größer die Fusion, desto größer die Gefahr des Scheiterns
Zwischen 50 und 60 Prozent aller Firmenübernahmen scheitern. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Unternehmensberatungen weisen immer wieder darauf hin. Allerdings leben die auch von der Behauptung, dafür zu sorgen, dass Firmen zu den erfolgreichen 30 bis 40 Prozent gehören.
Aber: "Das deckt sich auch mit meinen Beobachtungen, dass 50 bis 60 Prozent der Fusionen scheitern", sagt Wirtschaftswissenschaftler Lars Schweizer. "Eine Beobachtung, die man macht, je nach Studie, die man sich anschaut: Je größer die Fusion ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns. Weil umso komplexer wird die Transaktion."
"Wenn Sie Unternehmenslenker fragen, wird da niemand zugeben: 'Na wir könnten damit Probleme haben'. Die sind alle der Überzeugung 'Das passt schon und wir kriegen das hin'. Und das ist dann, was man in der Forschung als 'managerial hubris' bezeichnet. Das heißt: Das übernehmende Unternehmen, beziehungsweise dessen Management, ist einfach der Meinung, dass es die Übernahme schon hinbekommt und besser ist als die Vergleichsunternehmen."
Hinzu kommen Widrigkeiten im Vorfeld der Fusion, wie sie Rechtsanwalt Lars Friske mitunter beobachtet, wenn es für die beteiligten Anwälte und Wirtschaftsprüfer darum geht, dem Übernahmeziel in die Bücher zu schauen:
"Für die Komplexität des Projektes steht ein erstaunlich oder, ja, erschreckend geringer Zeitraum für die Prüfung zur Verfügung. Das ist letztlich auch dadurch bedingt, dass ein solches Projekt, wenn es vor Einigung über das Projekt an die Öffentlichkeit gerät, oft schon tot ist, weil es dann zu viele Menschen gibt, die noch versuchen, darauf Einfluss zu nehmen und es zu verhindern."
Die Zahl missglückter Fusionen ist hoch
Es muss nicht gleich eine Pleite sein, damit eine Fusion als gescheitert gilt. Es reicht schon, wenn zum Beispiel die Kosteneinsparungen des zusammengeschlossenen Unternehmens nicht ganz so hoch ausfallen wie erhofft. Schon solche Fälle zählen Unternehmensberatern zu den 50 Prozent Misserfolgen.
"Die Zahlen kennen wir auch, und wir haben uns frühzeitig überlegt: Was müssen wir denn tun, damit wir unsere Ziele erreichen", sagt Markus Haas, Vorstandsvorsitzender von Telefónica Deutschland, besser bekannt durch die Mobilfunkmarke O2. 2014 hat Telefónica den Konkurrenten E-Plus übernommen, für 8,5 Milliarden Euro.
"Wichtig war für uns, dass wir das größte und modernste Mobilfunknetz bauen wollten, und dass die beiden Unternehmen nie genug Skalen hatten, um genau so viel investieren zu können wie unsere beiden großen Mitbewerber Deutsche Telekom und Vodafone. Das heißt: die Industrielogik, dass ich letztendlich die Kundenstämme zusammenführe, um genauso viel Auslastung auf dem Netz zu haben, gab's schon sehr, sehr lange. 2013 hat's geklappt, da sind wir zusammengekommen und haben einen Deal gefunden, der für alle Eigentümer auch funktioniert hat."
Mitarbeiter sahen O2- und E-Plus-Fusion skeptisch
"Für uns war erst mal die Frage: Wie geht’s weiter", fragt Martin, der in Wahrheit anders heißt und auch seine echte Stimme nicht im Radio hören will. Er arbeitet in einem Kundendienst-Callcenter, das damals noch ein Schwesterunternehmen von E-Plus war. Die E-Plus-Eigentümer verkauften die Callcenter-Firma aber nicht an Telefónica, sondern an einen Finanzinvestor.
"Mit Verbesserung hat von den Kollegen mit Sicherheit niemand gerechnet. Das liegt einfach daran, dass diese Goldgräberstimmung in der Telekommunikationsbranche vorbei ist. Früher haben Sie noch 2 Mark für eine Minute bezahlt, heute hat jeder eine Flatrate, und niemand will mehr was bezahlen. Das lässt den Markt natürlich ausbluten. Man verdient nicht mehr so viel Geld, kann es nicht in den Netzausbau stecken und schon gar nicht in die Mitarbeiter."
Im Callcenter läuft der Kundenfrust auf
Und die Kunden? 2016 waren viele von ihnen schwer empört, als Telefónica die Netze zusammenlegte und E-Plus-Kunden merkten, dass sie jetzt eine Rechnung zu O2-Konditionen bekommen. Auf den Social-Media-Profile von O2 häuften sich die verärgerten Kommentare.
Solche Beschwerden sind in den Social-Media-Profilen von Telefonanbietern an sich üblich. Doch etwas war im Herbst 2016 anders: Sogar die Bundesnetzagentur kritisierte O2 öffentlich wegen der vielen Beschwerden, die auch bei ihr wegen der nicht erreichbaren Hotline eingingen. Auch Callcenter-Agent Martin hat diese Phase des Zusammenschlusses noch in unschöner Erinnerung:
"Stellen Sie sich vor, Sie können zwei Tage nicht telefonieren, wohnen in der Pampa, sind nicht erreichbar und brauchen vielleicht das Telefon geschäftlich oder weil Ihre Mutter, Familie, wer auch immer krank ist. Na klar sind die Menschen ungehalten. Und diese Form von Ungehaltenheit haben die Callcenter-Mitarbeiter abgekriegt. Teilweise kamen die Kunden ja auch schon brüllend durchs Telefon."
"Was wir unterschätzt haben, ist der Informationsbedarf unserer Kunden in dieser Zeit", sagt Markus Haas. "Die Rechnung sieht anders aus. Und wenn Sie 25 Millionen Kunden in einem Jahr migrieren, können Sie sich vorstellen, bei rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die wir im Callcenter haben, dass, wenn nur zehn oder 20 Prozent Kunden mehr anrufen, dass die Hotlines dann erst mal lahmgelegt sind, weil wir zu viele Anrufe haben und die Erreichbarkeit schlecht war. Das haben wir in 2016 unterschätzt."
"Und es war auch keiner gewillt, so viel Personal zusätzlich anzuschaffen", sagt Call-Center-Mitarbeiter Martin. Vorübergehend hätte O2 doppelt so viel Callcenter-Personal gebraucht wie üblich, schätzt Vorstandschef Markus Haas. Das hätte etwa 25 Millionen Euro gekostet, gerade mal 3 Prozent der Summe, die Telefónica für E-Plus bezahlt hat. Doch am Geld soll es nicht gelegen haben:
"Diese Kapazitäten finden Sie kurzfristig kaum im Markt, weil Sie müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ja auch schulen. Gut geschulte Kolleginnen und Kollegen, die genau, punktgenau den Kunden beraten können, das wäre für uns nicht möglich gewesen, für 'ne kurze Spitze, Nachfragespitze, die wir kurzfristig hätten abdecken müssen, zu heuern oder anzustellen."
Stellenabbau trotz Kundenzuwachs
Etwa 1.600 Stellen hat Telefónica im Zuge der Fusion abgebaut. Dabei hat das Unternehmen aktuell über 3 Millionen Kunden mehr als noch zum Zeitpunkt der Fusion.
"Durch den enormen Arbeitsplatzabbau hat es auch eine große Arbeitsverdichtung gegeben. Der Stress für die Beschäftigten wächst, dadurch, dass sie sozusagen die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen mitleisten müssen", erklärt Christoph Heil von der Gewerkschaft Ver.di, bis 2018 Aufsichtsrat bei Telefónica.
Diese Arbeitsverdichtung bemerkt auch Callcenter-Agent Martin, wenngleich er gar nicht direkt bei Telefónica angestellt ist, sondern bei einem ausgelagerten Dienstleister: "Das nennt sich 'Sales&Service'. Leute rufen an, da machst Du Deinen Service, und versuchst ihnen gleich noch was aufzuquatschen: Sie haben einen DSL-Anschluss. Sie haben einen Datentarif mit 2 Gigabyte. Brauchen Sie vielleicht 5? Ist aber nicht jedermanns Sache, den Leuten was aufzuquatschen. Wird aber gefordert. Und das ist jetzt das neue Modell. Unter E-Plus war das noch nicht so. Es war bei weitem nicht so mit einem 'Muss' versehen. Heute müssen Sie eine Ansprachquote erfüllen, um eine leistungsorientierte Vergütung zu bekommen."
Die Umsätze pro Kunde sinken
Die Kehrseite stetig sinkender Endverbraucherpreise. Bei allen Mobilfunkanbietern ist der durchschnittliche Umsatz pro Kunde rückläufig. Laut einer Untersuchung des "Manager Magazins" von 2017 am stärksten bei O2. Dafür geht schon lange der Trend zum Zweit-Handy – und zu vielerlei Geräten, die über das Mobilnetz Daten senden:
137 Millionen Mobilfunkanschlüsse zählte die Bundesnetzagentur am Jahresende 2018. Doch obwohl O2 kurz nach der Fusion der größte Anbieter war, liegt mittlerweile Vodafone wieder vorn und hat knapp zwei Millionen Anschlüsse mehr als O2.
Das selbstgesetzte Ziel, Deutschlands größtes Mobilfunknetz zu betreiben, sieht Telefónica-Vorstandschef Markus Haas trotzdem nicht verfehlt:
"Wenn Sie die reinen Kunden zählen, also ohne Maschinen, weisen die Wettbewerber deutlich niedrigere Zahlen aus. Telefónica verbindet am meisten Menschen in Deutschland. Wenn Sie die Maschinen, also Logistikgeräte, Kreditkartengeräte, rausrechnen, ist Telefónica mit Abstand Kunden-Marktführer in Deutschland."
Die Fusion in den Köpfen der Mitarbeiter
Auch wenn die Fusion formal vollzogen ist: Es dauert, bis auch alle Mitarbeiter sie verinnerlicht haben, wie Ex-Aufsichtsrat Christoph Heil beobachtet hat:
"Das Problem ist, dass es in den Köpfen der Kolleginnen und Kollegen, der Beschäftigten, tatsächlich noch einen Graben zwischen Grün und Blau gibt. Die haben wirklich noch die grüne und blaue Welt in ihren Köpfen. Sie vergleichen sich immer mit dem Zustand von vor fünf Jahren, wo das eine besser und das andere schlechter war. Die grüne Welt war die E-Plus-Welt, die blaue ist die Telefónica-Welt. Das ist ein Zustand, der muss schnell beseitigt werden, glaube ich."
Glaubt man dagegen Vorstandschef Markus Haas, hat das fusionierte Unternehmen in der Hinsicht schon beträchtliche Fortschritte gemacht:
"Natürlich gab es Herausforderungen, weil wir doppelte Funktionen hatten. Wir haben dann sehr, sehr schnell ein Personalabbauprogramm mit dem Betriebsrat vereinbart und haben doppelte Stellen rausgenommen."
Aus seiner Sicht ist nach bald fünf Jahren der Fusionsprozess erfolgreich abgeschlossen. Für Gewerkschafter und Ex-Aufsichtsrat Christoph Heil noch nicht:
"Ich glaube, es war richtig und wichtig, dass die Fusion stattgefunden hat - für den Mobilfunkmarkt, für den TK-Markt oder für die Branche in Deutschland. Ich bin auch sicher, dass die Fusion zu einem Erfolg führen kann, aber es bedarf großer Anstrengungen."
Die Zahl der Großfusionen steigt wieder
Milliardenschwere Fusionen wie die von O2 und E-Plus oder Bayer und Monsanto sind Ausnahmefälle. Weltrekordhalter mit einem Transaktionswert von 184 Milliarden Dollar ist noch immer die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone im Jahr 2000. Nach Dotcom-Crash und Finanzkrise fielen die Fusionsvolumina von Großkonzernen deutlich geringer aus: 75 Milliarden Dollar schwer war etwa der Zusammenschluss von Royal Dutch Petroleum und Shell im Jahr 2005.
Doch in den letzten Jahren kommen Fusionen oberhalb von 100 Milliarden wieder häufiger vor: Verizon kauft 2013 das US-Mobilfunkgeschäft von Vodafone, für 130 Milliarden Dollar, die Fusion der Brauerei- und Getränkegiganten Anheuser-Busch InBev und SAB Miller 2015 hat ein Volumen von 101 Milliarden Dollar.
Für Wirtschaftswissenschaftler Lars Schweizer sind diese Geschäfte ein Ausdruck des Konjunkturzyklus:
"Was man denn auch häufig sehen kann: In Zeiten, in denen die Aktienkurse tief sind, sind wir sehr häufig in einer Rezession. Das heißt, die Unternehmen tun sich ohnehin schwer, Cash zu generieren und Geld auszugeben. Sie sind eher auf Sparmaßnahmen und Restrukturierungen getrimmt. Wenn die Aktienkurse hoch sind, sind wir häufig auch in Boom-Zeiten. In Anführungszeichen: Da sitzt das Geld dann auch ein bisschen lockerer."
Der frühere Investmentbanker Martin Korbmacher, heute Aufsichtsratschef bei einem Unternehmen für digitale Finanzdienstleistungen, hat noch eine Erklärung für die neuerliche Zunahme von Großfusionen: Privates Beteiligungskapital außerhalb der Börsen, sogenanntes Private-Equity.
"Es gab ja schon Transaktionen, die von zwei, drei Private-Equity-Fonds im zweistelligen Milliardenbereich durchgeführt worden sind. Das heißt: Sie haben Fonds, die mittlerweile auch in dem Bereich eine sehr ordentliche Größenordnung haben und sehr große Transaktionen durchführen können, die haben Sie damals in dieser Größenordnung noch gar nicht gehabt."
Fusionen sind auch für kleine Unternehmen interessant
Trotzdem bleiben Firmenverkäufe im Milliardenbereich immer noch die Ausnahme. Firmenverkäufe in Deutschland haben typischerweise ein Volumen von 55 Millionen Euro, wie Daten des Finanznachrichtendienstes Bloomberg zeigen. Eine Größenordnung, in der zum Beispiel Bürogebäude gehandelt werden. Oder die Backwarenkette Le CroBag, die 2017 für 65 Millionen Euro den Besitzer wechselte.
Weit unterhalb dieser Größenordnung, finden manche, gibt es sogar zu wenig Fusionen, zum Beispiel Kristian Kirpal, Präsident der Leipziger Industrie- und Handelskammer. Er ruft die Mitgliedsfirmen ausdrücklich zu Zusammenschlüssen auf, denn die Unternehmen in seinem Kammerbezirk sind mit durchschnittlich zehn Mitarbeitern in vielerlei Hinsicht zu klein.
"Man muss sie schon dazu animieren. Eine Fusion hat ja erst mal eine erschreckende Wirkung, wenn man das gegenüber kleineren Unternehmen kommuniziert, weil man das ja bloß von Großunternehmen oder Konzernen kennt. Aber für die kleineren Unternehmen ist das dahingehend wichtig, dass es Möglichkeiten der Fachkräftegewinnung, Investition, Innovation, Forschung und Entwicklung bietet. Hier gibt es mögliches Entwicklungspotential, das man in größeren Einheiten wesentlich besser und effektiver umsetzen kann."
Anstelle von Investmentbanken und Unternehmensberatungen begleiten die Handelshochschule Leipzig mit Expertise und das Land Sachsen mit Fördergeldern die Zusammenschlüsse kleinerer Unternehmen.
Es geht auch ohne Förderung
Die Firma Rhebo kommt ohne solche Wachstumshilfen aus. Welche sie stattdessen nutzt, dazu gleich mehr. Die Firma hat eine Lösung für IT-Sicherheit entwickelt, zum Schutz von Industriecomputern, die Pumpspeicherwerke, Fertigungsstraßen oder Windparks steuern. Denn heutzutage sind solche Systeme oft vernetzt, etwa, damit der Hersteller sie aus der Ferne warten kann. Das Produkt von Rhebo überwacht den Netzwerkverkehr und schlägt Alarm, wenn es dabei etwas Ungewöhnliches feststellt, ein mögliches Indiz für einen Hacker-Angriff.
Seinen Sitz hat Rhebo in einer ehemaligen Spinnerei. Die beherbergt heute das "Spinlab" der Handelshochschule Leipzig, die hier mehrere Start-ups unterstützt, und Rhebo ist eines davon. 19 Leute beschäftigt die Firma. Und auf den Tischen sieht es so aus, als hätte jeder seinen eigenen Computer mitgebracht, viele unterschiedliche Fabrikate. Kein zentraler IT-Einkauf wie in klassischen Firmen.
Wachstum durch Investorengeld
Investoren haben Firmengründer und Geschäftsführer Klaus Mochalski bereits Firmenanteile im Wert von fünf Millionen Euro abgekauft. Geld, mit dem die Firma schneller wachsen kann als aus eigener Kraft:
"Wir können dann einfach stärker ins Team investieren, können schneller ein größeres Vertriebsteam aufbauen, wo die Personalkosten im Vertrieb auch erst mal höher sind als die Einnahmen im Vertrieb. Eigentlich funktioniert das in einer etablierten Firma ja nicht. Hier gehen wir in die Investition, in die Vorleistung. Gleichzeitig können wir in den technischen Bereich stärker investieren, um Kundenanforderungen, die sich aus Pilotprojekten ergeben, schneller umzusetzen, um dann eben schneller aus einem Pilotprojekt ein erfolgreiches kommerzielles Projekt zu machen."
Zu Rhebos Kundenkreis gehören Betreiber von Pipelines, Energieversorger und Windparkbetreiber. Deswegen wollte die Firma bei der letzten Finanzierungsrunde Investoren, die selbst in diesem Bereich tätig sind.
"Da haben wir über das finanzielle Commitment hinaus eine Vertriebspartnerschaft vereinbart, die bei uns auch tagtäglich gelebt wird, wo wir uns also regelmäßig mit einem Teil des Vetriebs der VNG abstimmen, um dort gemeinsam Kunden anzusprechen."
Strategische Bündnisse mit Start-ups
Einige Kilometer östlich von Rhebos Fabriketage: ein riesiger gläserner Bürokomplex in einem Industriegebiet im Osten Leipzigs. Die Konzernzentrale der besagten VNG. AG, Jahresumsatz: 10 Milliarden Euro. Ihr Kerngeschäft ist zwar der Import von Gas und der Betrieb von Gaspipelines. Trotzdem ergibt die Beteiligung an einem Start-up für IT-Sicherheit Sinn, erklärt der zuständige Manager Thorsten Kasten:
"Wir gucken uns in dem Digitalisierungs-, Dekarbonisierungs- und Dezentralisierungsumfeld jetzt mehr und mehr um. Und vor dem Hintergrund der Digitalisierung haben wir auch geguckt, vor den verschiedensten Aspekten wie digitaler Infrastruktur et cetera, welche Unternehmen können uns auf dem Weg dahin begleiten."
VNG betreibt auch Schaltzentralen für Gaspipelines. Und auch die sind heutzutage vernetzt und ein potentielles Ziel für Cyber-Attacken. Daher passte das kleine Start-up Rhebo zum großen Konzern.
"Wir wollen das Unternehmen mit weiterentwickeln, und wir wollen dem Unternehmen im besten Fall auch Möglichkeiten geben, über unseren Vertrieb auch gegebenenfalls deren Produkte weiter in den Markt zu treiben."
Und der Großkonzern will sich strategisch durch solche Beteiligungen breiter aufstellen. Seit einigen Jahren schaut sich Thorsten Kasten darum Start-ups an, die zu VNG passen könnten. An sieben Firmen hat sich das Unternehmen auf diese Weise bisher als sogenannter Wagnisfinanzierer beteiligt.
Wie geht es nach einer Fusion weiter?
Ortswechsel. Das Foyer des Technologiekonzerns Jenoptik in Jena. Besucher erfahren hier, was das Unternehmen alles herstellt: Sensoren für Passagierflugzeuge, interaktive Verkehrszeichen, die Autofahrern signalisieren, wenn sie schneller fahren als erlaubt, Sensoren für die Qualitätskontrolle im Maschinenbau.
Mitentscheidend für den Erfolg oder Misserfolg einer Firmenübernahme ist die sogenannte Post-Merger-Integration. Dabei geht es darum, wie ein gekauftes Unternehmen weitergeführt wird: Als weitgehend selbständige Tochter, für die die neue Konzernmutter bloß Verwaltungsfunktionen wie Buchhaltung oder Personalmanagement übernimmt? Oder wird aus der Tochterfirma eine unselbständige Unterabteilung des Großkonzerns?
"Da kann es zum Beispiel sinnvoll sein, so ein kleines Unternehmen erst mal nicht zu integrieren, und erst mal noch zumindest 'ne gewisse Zeit separat laufen zu lassen."
Ohne Fingerspitzengefühl geht es nicht
Steffen Müller, Leiter der Abteilung Unternehmensentwicklung bei Jenoptik. Der Plan für die einzelnen Übernahmeschritte entwickelt er schon während noch über den Kauf nachgedacht wird:
"Man muss gucken, dass man die organisatorische Eingliederung so hinbekommt, wie sie gedacht ist, dass man die Berichtsstrukturen etabliert. Und man muss sich mit solchen ganz normalen Themen beschäftigen: Wie vermarktet man die neuen Produkte? Wie vermarktet man das neue Unternehmen? Bleibt das namentlich bestehen oder wird die Marke nicht mehr fortgeführt?"
Das alles klingt sehr technisch. Doch gerade dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt. Schon vermeintlich banale Entscheidungen können zumindest für schlechte Stimmung beim gekauften Unternehmen sorgen, etwa wenn der IT-Chef des Mutterkonzerns den Kollegen der neuen Tochterfirma andere Software verordnet. So etwas kennt auch Rhebo-Gründer Klaus Mochalski:
"Das macht die gemeinsame Unternehmung kein bisschen erfolgreicher. Das führt vielleicht am Ende zu geringfügigen Effizienzgewinnen, aber eher langfristig. Und das habe ich tatsächlich bei unserem ersten Unternehmensverkauf auch beobachtet. Da kam als erstes die zentrale IT und hat gesagt: Wir führen jetzt überall Lotus Notes ein. Und das hat relativ schnell zu einem Aufschrei geführt. Dann hat man diese Entscheidung sehr schnell zurückgenommen und gesagt: Wir lassen hier alles, wie es ist, das ist überhaupt nicht zielführend. Nach drei, vier, fünf Jahren kann das durchaus sinnvoll sein."
Manchmal ist der Teufel eben ein Eichhörnchen, das an den kühnen Visionen der Unternehmensführer nagt.