Gemeinsames Geldverbrennen als Befreiung
Bereits zum dritten Mal fand im Londoner Cockpit Theatre eine rituelle Geldverbrennung statt. Veranstalter Jonathan Harris verspricht: "Die meisten Menschen fühlen sich hinterher leicht, als wurde ihnen eine Last genommen."
20 Euro. Dafür könnte ich ins Kino gehen, und mir sogar noch eine Tüte Popcorn leisten. Meine Freunde auf ein Bier einladen. Oder dem Obdachlosen vor der U-Bahn Lebensmittel für eine ganze Woche kaufen.
"Das stimmt, das könntest du tun. Lass diesen Gedanken nicht los. Dieses Geld ist Teil von dir. Es steht für deine Wünsche – und die Möglichkeit, sie in die Realität umzusetzen. Und wenn du es zerstörst, zerstörst du ein Stück von dir selbst."
Jonathan Harris oder auch "The Money Burning Guy", hat im experimentellen Cockpit Theatre zum gemeinsamen Geldverbrennen eingeladen.
"Die meisten Menschen fühlen sich hinterher leicht, als wurde ihnen eine Last genommen."
Gedichte und Lieder zur Einstimmung
Mit einem einstündigen Ritual aus Gedichten und Liedern bereitet Harris uns auf die Verbrennungsaktion vor.
"I am the Goddess of Money, twin-tailed mermaid Melusine. Nothing holds me down, nothing holds down money."
Die meisten der vorgetragenen Werke stammen aus Harris' Magazin "The Burning Issue", das diesen Herbst erschienen ist. Darin bringt er Künstler und Akademiker zusammen, die sich kreativ und philosophisch mit der Zerstörung von Geld auseinandersetzen.
"Diese Finanzkünstler mit ihren immer abstrakteren Meisterwerken, Geld aus nichts zu erschaffen."
"Geldverbrennung ist die fehlende Wiedergutmachung des Kapitalismus. Im Ritual verwandeln wir Geld zu nichts."
Vorbild KLF
Die Idee ist in Großbritannien nicht neu: Die britische Popband The KLF, die in den frühen 90ern sehr erfolgreich war, sorgte 1994 weltweit für Aufsehen, als sie auf der schottischen Insel Jura eine Million britische Pfund in Flammen setzte. Die Aktion gilt bis heute als nicht wirklich überprüfbar, passt aber sehr gut zur strikt antikommerziellen Strategie der Band.
Vergangenes Jahr äußerten sie sich zum ersten Mal, sagten, dass sie die Geldverbrennung weiterhin nicht begründen wollten. Nur konsequent, finden die Fans, von denen heute auch viele unter den 100 Gästen im Publikum des Cockpit Theatre sind.
Weil Bewegungen wie "Occupy" zehn Jahre nach der Finanzkrise keine nachhaltigen Veränderungen im System bewirken konnten, wächst das Interesse an anderen Formen von Protest, glaubt Harris.
"Mit dem meisten Aktivismus ist es so, als werfe man Steine gegen einen Berg. Jedes Mal splittert dabei zwar ein Stück vom Berg ab, aber je mehr Steine man gegen den Berg wirft, desto größer wird er. Geldverbrennen dagegen wirkt auf so einer tiefen psychologischen und spirituellen Ebene. Es ist eher wie Wasser, das in die Rillen des Berges fließt und ihn stetig von innen aushöhlt."
Der Finanzkapitalismus ist die wahre Sekte
Mit dem Kerzenaltar und Harris' zauberstabähnlichen Stock mutet die Show etwas sektenhaft an. Aber diese Ästhetik soll sagen: Der Finanzkapitalismus ist die wahre Sekte. Und wir sind ihre Anhänger, weil wir Geld so viel Bedeutung beimessen – obwohl ein Geldschein an sich erst mal nur ein Stück bedrucktes Papier ist.
"I am a force so powerful and sacred you all fall helpless at my feet."
Indem ich mein Geld opfere, so die Idee, bekomme ich die Chance, mich davon zu emanzipieren. "Es muss ein bisschen weh tun", sagt Jon Harris.
Das flaue Gefühl von Reue
Ich entzünde meinen 20-Euro-Schein an der Kerze. Während ich dabei zuschaue, wie sich das blaue Papier ins Nichts auflöst, macht sich in meinem Magen das flaue Gefühl von Reue breit. 675 Pfund haben wir heute gemeinsam im Theater verbrannt. Jonathan Harris schenkt noch einen Scotch aus.
"Diese Flasche kostet etwa 200 Pfund. Sie enthält Wasser, das in der Nacht, als The KLF das Geld verbrannt hat, auf der Insel Jura als Regen gefallen ist."
Ganz ins Nichts hat sich mein Geld damit ja doch nicht aufgelöst, denke ich und fühle mich ertappt: Offensichtlich ist es mir nicht gelungen, mich vom Wert des Geldes zu befreien. Vielleicht klappt’s nächstes Jahr.