Der Osten - poetisch zeitlos
"Tschick", die Geschichte zweier jugendlicher Außenseiter, die in einem geklauten Lada die ostdeutsche Provinz durchstreifen, kommt diese Woche in die Kinos. In unserem Interview spricht Regisseur Fatih Akin über die Arbeit am Film und wie er Ostdeutschland erlebt hat.
Gerade einmal sieben Wochen Vorbereitungszeit hatte Fatih Akin für die Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs Jugendroman "Tschick", denn eigentlich war als Regisseur David Wnendt vorgesehen. Doch der sprang ab und Akin kam ins Spiel. "Geht das? Kann ich das - in sieben Wochen?", habe er sich gefragt - und dann beschlossen, das Wagnis einzugehen. Schließlich war "Tschick" ein Buch, das er unbedingt verfilmen wollte.
"Ich habe es 2011 gelesen, ich habe es mitgenommen, als ich bei der Frankfurter Buchmesse war im Oktober und habe es auf dem Rückweg von Frankfurt nach Hamburg gelesen. Und so ziemlich in der Mitte habe ich beim Verlag, bei Rowohlt, angerufen und habe gesagt: ich würde das gern verfilmen."
Doch da hatten sich bereits "gefühlte" 50 andere Regisseure gemeldet, sodass aus dem Projekt zunächst nichts wurde. Beeindruckt an "Tschick" habe ihn vor allem die "Zärtlichkeit, mit der Herrndorf seine Kinder da beschreibt", sagt Fatih Akin. "Es sind irgendwie seine Kinder."
Zum ersten Mal in Ostdeutschland
Inzwischen sind die beiden Hauptfiguren, der 14-jährige Immobilienmaklersohn Maik und das gleichaltrige Spätaussiedlerkind Andrej, genannt Tschick, auch Akins Kinder geworden: "Beide liebe ich." Maik und Tschick sind Außenseiter, und weil Maik überdies Liebeskummer hat, hauen beide mit einem geklauten blauen Lada ab und durchstreifen die ostdeutsche Provinz. Die war für Regisseur Akin bisher Neuland:
"Ich war zum ersten Mal im Osten", sagt er. Zwar sei er auf Kinotourneen mal hier und da eine Nacht in irgendeiner ostdeutschen Stadt gewesen:
"Aber hier habe ich ja Lebenszeit verbracht. Und an vielen Stellen in dem Land ist es ja so, als wäre die Zeit stehengeblieben. Aber ich meine das jetzt nicht einfach nur so rückwärtsgewandt oder so was oder in der Entwicklung stehengeblieben, sondern ich meine es auf einer poetischen Ebene zeitlos."
Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: "Tschick" war und ist ein absoluter Erfolgsroman, 2010 veröffentlicht vom großartigen Wolfgang Herrndorf, der sich schwer krank vor drei Jahren das Leben nahm. "Tschick" kommt jetzt ins Kino, ab Donnerstag. Die Verfilmung des Romans um zwei Teenager und ihr Sommerabenteuer und das selbst, ein solches Buch zu verfilmen, kann eigentlich nur ein Abenteuer sein, das entweder grandios scheitert oder ziemlich gut wird. Fatih Akin ist der Regisseur. Herr Akin, es ist ziemlich gut geworden, ich grüße Sie!
Fatih Akin: Vielen Dank!
Frenzel: Ich sage das vor allem, weil es ja wirklich anders hätte kommen können. Wer das Buch kennt, diese Stimmung, die es vermittelt, diese lustige Melancholie, der weiß, das kann nicht ganz einfach sein, genau das einzufangen in Bildern. Hatten Sie diese Angst, an "Tschick" grandios zu scheitern?
"Ich verfilme ja jetzt hier nicht einen 'Tatort'"
Akin: Ich habe diese Angst in den ersten Tagen gehabt, bevor ich mich entschieden habe, das zu machen. Also, ich habe an einem Mittwoch das angeboten bekommen und ich musste mich bis Sonntag entscheiden, weil, Montag wäre Arbeitsbeginn gewesen. Und dann habe ich schon so Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag so noch überlegt, ja, kann ich das machen, weil, die Zeit war nicht so ... Ich hatte nicht so viel Vorbereitungszeit. Also, in sieben Wochen sollte gedreht werden und man musste quasi ein Buch umschreiben und alles neu vorbereiten. Also, das ist eigentlich ein bisschen zu kurz für das Buch. Also, so, ich verfilme ja jetzt hier nicht einen "Tatort" oder so, es geht schon um "Tschick". Geht das, kann ich das und so, in sieben Wochen. Ich dachte: Ey komm, no risk no fun! Also nicht no risk no fun, so nicht, aber so wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Frenzel: Sie kannten das Buch, Sie sind darauf gestoßen vorher. Wie?
Akin: Ich habe es 2011 gelesen, ich habe es mitgenommen, als ich bei der Frankfurter Buchmesse war im Oktober und habe das auf dem Rückweg von Frankfurt nach Hamburg gelesen. Und so ziemlich in der Mitte, da habe ich dann beim Verlag, bei Rowohlt angerufen und habe gesagt, ich würde das gerne verfilmen.
Frenzel: Was war die Antwort darauf?
Akin: Dass da 50 andere Regisseure, also gefühlt 50 andere Regisseure schon angefragt haben und dass ich dann halt quasi jetzt auch eine Karte gezogen habe und da erst mal warten muss. Weil, Herrndorfer halt eben krank und der wurde aber auch schon vorher sehr belästigt von anderen Regisseuren, die dann so gedrängelt haben und die schon fertige Drehbücher geschickt haben. Und er war einfach nur genervt, weil er wollte ... Er wollte seine Bücher schreiben. Und hat dann sehr spät den Lars Hubrich, einen der Drehbuchautoren mit der Aufgabe betreut, sich um die Verfilmung zu kümmern.
Frenzel: Was macht diese Geschichte so besonders für Sie? Gab es irgendeinen Moment, wo Sie gedacht haben: Ja, genau das möchte ich auf die Leinwand bringen?
Akin: Generell die Zärtlichkeit, mit der Herrndorf seine Kinder da beschreibt. Das sind irgendwie seine Kinder. Und dieses Gefühl, auch die Liebe der Kids untereinander, das hat mich doch gereizt.
Frenzel: Die Geschichte ist die von zwei Jungs, die sich in den Sommerferien in einem ... so ganz klar ist das nicht, aber wohl gestohlenen Lader auf Tour machen, letztlich querbeet durch Brandenburg. Sie haben bewusst nicht auf ältere Profis gesetzt, nicht auf Profischauspieler, sondern Gleichaltrige, im Fall von Tschick sogar auf einen Jungen ohne Schauspielerfahrung, Anand Batbileg. Warum?
Akin: Ich habe so was ja in der Vergangenheit auch gemacht. Also, Adam Bousdoukos von "Kurz und schmerzlos", der hat ja auch eine Hauptrolle gespielt damals, 19 ... weiß nicht, 98, ohne irgendwelche Schauspielerfahrung. Sibel Kekilli hatte keine Schauspielerfahrung vor "Gegen die Wand". Also, ich habe traditionell ja immer schon so gearbeitet, das hat mir jetzt keine Angst gemacht. Ich wollte einfach Kinder, die in dem Alter sind wie in dem Roman beschrieben. Also, ich wollte Kinder, die optisch einfach nicht hinter das Steuer gehören. Man muss das sehen und denken, das passt nicht, irgendwie stimmt das nicht. Ja, und dann wurde halt so überall gecastet, auf der Straße, in Schulen.
Frenzel: Hatten Sie sofort eine Vorstellung, hatten Sie ein Bild vor Augen, wie sie aussehen müssen, die beiden Hauptpersonen, vor allem Tschick und Maik Klingenberg?
Akin: Nein. Bei Tschick eher, weil, Herrndorf beschreibt ja seine mongolischen Augen. Und bei Mike war das so, ich habe den besten Schauspieler genommen und ich mochte sein ... Ich mochte das Gesicht, was der Typ hat. Also, so ein ... Der hat so ein ... Der hat so ein ganz besonderes Gesicht. Beide haben das, also, ich finde, Tschick sieht aus wie einer aus so einem koreanischen Film und Maik ... Freunde von mir sagen, Maik sehe aus wie mein Sohn. So, ich hab einen Boy, der ähnlich alt ist. Vielleicht habe ich ihn deswegen besetzt, who cares, who knows.
Frenzel: Haben Sie eine Lieblingsfigur?
"Ich mag die beiden Jungs"
Akin: Ich mag die beiden Jungs, Maik und Tschick sind für mich so eins. Beide liebe ich, sind beides auch irgendwie meine Kinder geworden.
Frenzel: Ich musste an Isa denken.
Akin: Natürlich. Es war immer schön, wenn die am Set war, die hat immer so ein Strahlen. Die ... Ja, ich würde gerne noch mal mit der arbeiten. Die hat was drauf und sieht gut aus.
Frenzel: Wolfgang Herrndorf war selbst ein großer Filmfreund, er soll vor seinem Tod noch gesagt haben, ihm ist es wichtig, dass ein vernünftiger Regisseur den Roman verfilmt. Haben Sie jemals aus seinem Umfeld erfahren können, was das für ihn ist, ein vernünftiger Regisseur?
Akin: Ich halte mich ja für wahnsinnig unvernünftig. Ich weiß nicht, was er damit meint. Also, ich weiß auch nicht, ob er jemanden in meinem Kaliber meint. Ich habe gestern ein paar Freunde von ihm kennengelernt und ich war halt auch recht betrunken und dann habe ich gesagt, ja, ich weiß nicht, ob Wolfgang das gefallen hätte und so, so larmoyant, dann sagten die aber alle, nee, nee, der hätte das gemocht. Wahrscheinlich hätte er es zu viel Musik gefunden, aber ich weiß nicht, ob ich jemals die Gelegenheit haben werde, so ... weiß ich nicht, beim Gläserrücken zu fragen, gefällt dir das oder nicht.
Frenzel: Gab es Situationen, bei denen Sie dachten, da hätte ich jetzt gern die Chance, mit Wolfgang Herrndorf zu sprechen, zu fragen, was er sich hier gedacht hat, wie er sich das gerne in Bilder übersetzt hätte?
"Dann dreh das doch selber"
Akin: Ich hätte Wolfgang Herrndorf gerne kennengelernt, aber gar nicht so sehr wegen "Tschick", sondern vielmehr wegen "Arbeit und Struktur". Ich habe "Arbeit und Struktur" gelesen während meiner siebenwöchigen Vorbereitungszeit und ich hatte halt eben nicht viel Zeit, ich da noch mal hineinzudenken, und ich konnte mich nicht so gut erinnern, was mein Gefühl 2011 war, als ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe. Also dachte ich, ich muss so viel wie möglich über Herrndorf erfahren. Weil, der Film muss so sein, dass er Herrndorf zumindest gefallen könnte. Und dann habe ich halt "Arbeit und Struktur" gelesen und das hat mich sehr ... das hat mich sehr bewegt. Also, wie jemand halt einen Text im Angesicht des Todes schreibt. Dazu hätte ich ihn gerne gefragt, nicht jetzt, wie hätte er ... Wie stellt er sich das vor mit "Tschick" und das ... Da würde ich sagen, dann dreh das doch selber, also ...
Frenzel: Sie haben diesen Film, Sie haben "Tschick" ein bisschen nach vorne geschoben, ins Jahr 2016, in unsere Zeit. Der Roman spielt 2010. Das ist jetzt nun eine kleine Zeitspanne, aber für mich hat sich eine Frage gestellt: Ist das eine Geschichte, die zeitlos funktioniert mit ihren Themen?
Akin: Ich glaube, es hat eine gewisse Zeitlosigkeit. Also, vor allem hat es etwas Analoges, weil, das Handy wird weggeworfen und dann ist sowieso erst mal so eine ganz andere Zeit. Sie sind nicht mehr zu orten, weißt du, so, die ... Sie müssen so gucken. Ich meine, wenn man im Osten ist, es gibt bestimmte Ecken im Osten ... Ich war zum ersten Mal im Osten. Ich war in Halle, Leipzig, Merseburg, Magdeburg, Quedlinburg ...
Frenzel: Zum allerersten Mal?
Im Osten ist die Zeit stehengeblieben - "auf einer poetischen Ebene"
Akin: Zum allerersten Mal so richtig. Also, ich war auf Kinotourneen mal hier mal eine Nacht und da mal eine Nacht in irgendeiner ostdeutschen Stadt, aber hier habe ich jetzt ja so Lebenszeit verbracht. Und an vielen Stellen in dem Land ist es so, als wäre die Zeit stehengeblieben. Aber ich meine das jetzt nicht einfach nur so rückwärtsgewandt oder so was oder in der Entwicklung stehengeblieben, sondern ich meine das auf einer poetischen Ebene, zeitlos.
Frenzel: Fatih Akin, für wen ist der Film? Für Leute, ich sage mal so, wie uns, die wir gerne an das Sommergefühl unserer Jugend erinnert werden, was schon ein bisschen zurückliegt, oder ist das ein Jugendfilm, den Sie da gemacht haben? Herrndorf selbst hat ja sein Buch als Jugendroman bezeichnet.
Akin: Es ist ja ein Jugendroman, der viel von Erwachsenen gelesen worden ist. Ist "Huckleberry Finn" ja auch von Mark Twain. Gibt's ja manchmal, solche Phänomene, dass du halt einen Jugendroman hast, der aber gleichermaßen oder fast noch mehr von Erwachsenen eingenommen wird. Ich glaube, was halt leider passiert ist so ein bisschen, ist, dass es halt so Schullektüre geworden ist. Und ich habe das immer so ein bisschen verfolgt so auf Facebook, also die "Tschick"-Seite auf Facebook, was so die Kids so schreiben. Oh, und jetzt wird der Scheiß auch noch verfilmt und ich hab damals bei Frau Sowieso eine Fünf bekommen für ... Da denke ich: Oh Gott! So, die ... die mussten das lesen, ob sie wollten oder nicht, und für sie ist das so ein Zwang. Und deswegen weiß ich gar nicht, ob jetzt so die Kids en masse da reingehen. Ich habe keine Ahnung, ich würde es mir wünschen.
Frenzel: Sie haben auf jeden Fall die Chance, ab Donnerstag, dann ist er im Kino. "Tschick", die Verfilmung des Romans von Wolfgang Herrndorf. Regisseur ist Fatih Akin, ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Zeit!
Akin: Bitte, bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.