Neuausgaben von Roald Dahl
Werke von Roald Dahl (1916-1990) gehören zu den Kinderbuch-Klassikern. Doch seine oftmals überzeichneten Figuren und derbe Sprache werden heute zum Teil als unangemessen empfunden. © picture alliance / dpa / David Parry
„Empfindsamkeitspolizei" oder gerechtere Sprache?
Der britische Puffin Verlag hat beliebte Kinderbücher von Roald Dahl neu herausgegeben – mit Hunderten Veränderungen. Darin enthaltene Stereotypen bei Themen wie Gender, Hautfarbe oder Gewalt sollten raus. Die Reaktionen sind heftig und kontrovers.
Darf ein Verlag bei der Neuausgabe von Kinderbüchern potenziell verletzende Wörter durch sensiblere ersetzen? Ist das zeitgemäß oder Zensur?
Diese Debatte hat der britische Puffin Verlag neu angefacht. Er hat Kinderbücher des 1990 verstorbenen Bestsellerautors Roald Dahl in einer angepassten Neuauflage herausgebracht. Darunter Titel wie „Charlie und die Schokoladenfabrik“, „Matilda“ oder „Hexen hexen“.
Schutz vor Diskriminierung und Stereotypen
Es wurden Hunderte Änderungen an Formulierungen und Charakteren vorgenommen. So ersetzte der Verlag etwa „fett“ durch „kräftig“. Aus „small men“ wurde genderneutral „small people“. Und eine Supermarktkassiererin und eine Sekretärin wurden in eine Wissenschaftlerin und eine Businessfrau verändert.
Es gehe um den Versuch, junge Leserinnen und Leser vor kulturellen, ethnischen und geschlechtsspezifischen Stereotypen zu schützen, so Puffin Books, die Kinderbuchsparte von Penguin.
Salman Rushdie sieht "Zensur"
Der Schriftsteller Salman Rushdie meldete sich umgehend mit scharfer Kritik zu Wort. Er twitterte, die Eingriffe in das Werk seien "absurde Zensur" durch eine "verhunzende Empfindsamkeitspolizei".
Andreas Steinhöfel, selbst Autor von Kinderbüchern, hat einige Titel von Roald Dahl neu ins Deutsche übertragen – jedoch ohne im Sinne politischer Korrektheit in den Text einzugreifen, betont er.
Er sagt, Diskriminierungen könnten in Vor- oder Nachworten oder Fußnoten thematisiert werden. Aber:
Ich nehme mir nicht den Text und arbeite den um. Das ist Kunst- und Geschichtsverfälschung. Und das ist vor allem das, was mich am meisten erbost dabei: Das sind Maßnahmen, wie man sie nur aus totalitären Systemen kennt.
Annahmen für Veränderungen in Frage gestellt
Der Philosoph Philipp Hübl geht noch einen Schritt weiter und stellt die Annahmen, auf deren Basis die Veränderungen passieren, in Frage. Etwa, was Stereotype betrifft:
Selbst die vielzitierte Forschung zur sogenannten 'Bedrohung durch Stereotype' ist hoch umstritten. Sie zeigt angeblich, dass zum Beispiel Schulmädchen schlechter in Mathematiktests abschneiden, wenn man ihnen davor sagt, dass Jungen besser sind. Dass Stereotype tatsächlich einen Einfluss auf die Leistung haben, wie ursprünglich angenommen, stellen inzwischen mehrere aktuelle Metastudien in Frage.
Auch die Annahmen, aufgrund derer Sensitivity Reader aktiv werden, zweifelt er an. Sie werden vermehrt von Verlagen beschäftigt, um möglicherweise verletzende Inhalte zu identifizieren. Es gebe beispielsweise keine Belege, dass die Gruppen, für die sie zu sprechen behaupteten, überhaupt von ihnen vertreten werden wollten, moniert Philipp Hübl.
Sensitivity Reading gegen Diskriminierung
Aşkın-Hayat Doğan ist einer der umstrittenen Sensitivity Reader. Er sagt, er habe selbst erfahren:
Sprache ist ein Instrument, das sukzessiv zu mehr Gerechtigkeit führt."
Als Teenager sei er noch ein „Ausländer“ gewesen, so Doğan. Inzwischen sei er eine Person of Colour. Damit fühle er sich „viel wohler“.
Ähnlich sei es mit der Literatur gewesen. In deutschen Kinderbüchern habe er sich als schwuler Muslim mit einer türkischen Migrationsgeschichte nicht repräsentiert gesehen. „Alle Bücher waren durchgehend weiß und alle Charaktere waren durchgehend heterosexuell.“
Es sollten auch Klassiker der Kinderliteratur „dem heutigen Zeitgeist und den heutigen Rezipienten angepasst werden“. Das originale Buch bleibe ja erhalten.
Genau dafür will nun auch der Puffin Verlag sorgen. Er hat auf die Debatte um seine Anpassungen bei Kinderbüchern von Roald Dahl reagiert und eine zusätzliche unveränderte Ausgabe von dessen Klassikern angekündigt. Sie sollen mit Archivmaterial angereichert werden.
Somit gibt es künftig zwei Textvarianten. Die Leserinnen und Leser hätten dann die Freiheit zu entscheiden, so der Verlag, welche Version der Dahl-Geschichten sie bevorzugten.
Quellen: Dina Netz, Nora Karches, dpa, AFP, abr