Rob van Essen: "Der gute Sohn"
Aus dem Niederländischen von Ulrich Faure
Homunculus Verlag, Erlangen 2020
384 Seiten, 25 Euro
Ein Alt-Herren-Roman
05:39 Minuten
Dieser Roman will möglichst viele Genres mischen, aber keins davon wird überzeugend umgesetzt. "Der gute Sohn" geriert sich als Dystopie, wird aber zunehmend zu einer Erzählung übers Altern. Die Szenen im Altersheim sind dann auch die gelungenen.
Dieses Buch ist wie ein Hotelzimmer: stilistisch irgendwo zwischen praktisch und ambitioniert, atmosphärisch von halbstarker Tristesse. Man bewohnt es kurz und mit langen Zähnen und zieht dann von dannen, ohne dass der Aufenthalt Spuren hinterlassen hat.
Im Zentrum steht ein passiv-aggressiver, leicht manipulierbarer Mann, der gebraucht und geführt werden möchte. Der moderne Untertan also.
Rob van Essens achter Roman "Der gute Sohn" ist sein erstes ins Deutsche übersetzte Buch und wurde in den Niederlanden im letzten Jahr mit dem wichtigsten Literaturpreis ausgezeichnet. Da ist jemand dem Autor und seinem Anspruch, die Register sämtlicher Genres zu ziehen, wohl auf den Leim gegangen.
Orwells "1984" lässt grüßen
Van Essens angejahrter Erzähler ist selbst ein schriftstellernder Hochstapler, der mit dem Konzept des interaktiven "plotlosen Thrillers" erfolgreich wurde. Es stellt sich allerdings später heraus, dass genau dieser Erfolg seinerseits sehr wohl und zwar von höherer Stelle geplottet war.
Die Autorfigur selbst ist eine Figur im ominösen Drehbuch des noch ominöseren "Dienstes", was wohl so etwas wie die Fata Morgana eines Spannungsbogens herstellen soll.
In die Fänge des "Dienstes" geriet van Essens Ich-Erzähler als Jugendlicher. Damals arbeitete er in einem Archiv zur Kontrolle des kollektiven Gedächtnisses und zeigte sich brauchbar, um anderer Leute Kindheitserinnerung zu erfinden, indem er die eigene hergab. Erinnerung als Kontrollmechanismus: Der düstere Science-Fiction-Filmklassiker "Blade Runner" wird natürlich zitiert. Auch Orwells "1984" lässt grüßen.
Lahme Einfälle
Rob van Essens Geschichte spielt also in der Zukunft. Das wird durch teils lahme, teils ganz lustige Einfälle wie "Nostalgie-Zeitungen" und Schulranzen markiert, die ihren kleinen sexy Besitzerinnen selbständig hinterher krabbeln.
Außerdem gibt es ein Auto, das wie damals schon Disneys VW-Käfer Herbie seinen eigenen Kopf hat, jetzt aber tatsächlich sprechen und sich im dunklen Wald in eine Sex-Puppe verwandeln kann. Schlagzeile: 60-Jähriger vögelt umgeklappten Autositz. So weit, so lau.
Drama, das vom Altern handelt
Die Dystopie entpuppt sich bald als ein Drama, das vom Altern handelt. Interessanter als dieser bemüht satirisch aufgezogene Alt-Herren-Roman und die eher faden Gedanken zum Zusammenhang von Geschichts- und Kinderlosigkeit ist das klassische Mutter-Problem.
Zur Mutter und zu dem Tag, an dem er seinen Glauben verlor, nämlich den Glauben an die Kunst, kehrt van Essens Erzähler in Rückblenden zurück und etabliert so einen von vielen Romanen im Roman.
Road Novel mit Agenteneinschlag
Beabsichtigt hatte er wohl, so klingt es in Interviews durch, verschiedene Genres durchzuspielen. Geschüttelt, nicht gerührt, wird geboten: ein vor Begehren simmernder Entwicklungsroman, die Road Novel mit Agententhriller-Einschlag, eine posthumane Dystopie-Satire und die Mutter-Sohn-Geschichte, angereichert durch philosophisch angefixte Gedanken über die Gesellschaft im Allgemeinen und die Kunst im Besonderen.
Gelungen sind einige Szenen im Altersheim und die Miniatur vom Sterben der Mutter. Hier konzentriert sich plötzlich der verquatschte Monolog und man hat den Eindruck, dass van Essen endlich aus der Anschauung erzählt und sich nicht mehr in wenig originellen Zukunftskulissen und ausgiebigen Selbstbespiegelungen verliert.
Wirklich berührt wird man genauso wenig wie van Essens Figuren, und beeindruckt wohl nur, wenn man sich von der Ambition des Autors blenden lässt.