Robert Claus: “Ihr Kampf”

Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert

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Das Foto zeigt in der Rückansicht einen der Angeklagten im Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder des «Aktionsbüros Mittelrhein». Sein Shirt trägt die Aufschrift "Kampf der Nibelungen - Disziplin ist alles!".
Der "Kampf der Nibelungen" war vor ein paar Jahren noch ein unprofessionelles Kleinevent. Jetzt ist es das größte Kampfsportevent der rechtsextremen Szene in Westeuropa. © dpa / Thomas Frey
Pia Behme im Gespräch mit Mathias von Lieben |
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Rechtsextreme aus Deutschland und anderen europäischen Ländern haben im Kampfsport ein Netzwerk aufgebaut. Über diese Gefahr klärt nun das Buch "Ihr Kampf" von Robert Claus auf. Denn die Nationalisten nutzen den Sport für ihre politischen Ziele.
Mathias von Lieben: Das Interesse Rechtsextremer am Kampfsport ist ein bekanntes Phänomen. Was erfahren wir Neues aus dem Buch?
!!Pia Behme:!! Es ist das erste Buch über Neonazis im Kampfsport. Die neue Entwicklung, um die es hier geht, ist der Boom der Szene. In den vergangenen Jahren haben Rechtsextreme im Kampfsport ein professionelles, internationales Netzwerk aufgebaut. Dazu gehören Fitnessstudios, Sportveranstaltungen und Modelabels. Mit Verbindungen in die Hooligan-Szene, den Rechtsrock, aber auch zu rechtsterroristischen Gruppen wie dem NSU. Robert Claus nennt es "die Professionalisierung extrem rechter Gewalt".
Über diese Strukturen des Kampfsports in der deutschen und europäischen extremen Rechten wollen Claus und seine Gastautoren mit "Ihr Kampf" aufklären. Politik, Sicherheitsbehörden, aber auch die Sportvereine haben das Thema seiner Ansicht nach noch nicht ausreichend im Blick.
von Lieben: Der Titel "Ihr Kampf" bezieht sich direkt auf "Mein Kampf" von Adolf Hitler. Worin liegt hier die Analogie?
Behme: Die Verbindung liegt in der Ideologie. Rechtsextreme Kampfsportler verfolgen die gleiche nationalsozialistische, rassistische und gewaltvolle Ideologie wie Adolf Hitler. Um das deutlich zu machen, spricht Claus in einem Kapitel seines Buches mit einem Sporthistoriker über den Stellenwert von Sport im Nationalsozialismus. Die Sportpolitik der 1930-Jahre orientierte sich an der zukünftigen Kriegsführung. Es ging darum, junge Männer für den sogenannten Kampf um Lebensraum für die arische Rasse zu trainieren und sie fit zu machen, um den politischen Gegner besiegen zu können. Auf dieses Ziel hin wurden der Schulsport und Jugendorganisationen gestaltet. In "Mein Kampf" schreibt Hitler beispielsweise auch über die Bedeutung des Boxens für das körperliche Training.

Gewaltvolle Männlichkeit

Claus zieht die Verbindung in die Gegenwart: Diese Ideologie ist die Basis der Neonazi-Szene. Eine Szene, die sich auf den sogenannten Tag X vorbereitet. Das soll der Tag des politischen Umsturzes sein, an dem sie die Macht übernehmen wollen. Wann dieser Tag sein soll und was anschließend passieren soll, bleibt meistens undefiniert. Aber für den Tag X wird vor allem auch körperlich trainiert und der Körper selbst zur Waffe gemacht. Wir reden hier übrigens hauptsächlich über Männer. Denn zu der Ideologie gehört auch das traditionelle Bild der wehrhaften, gewaltvollen Männlichkeit.
von Lieben: Das heißt, wenn ein rechtsextremer Kampfsportler zum Boxtraining oder zum Kickboxen geht, dann mit der Motivation, das Gelernte später auf der Straße gegen den politischen Gegner einsetzen zu können?
Behme: Ja, das ist einer der wichtigsten Punkte in Claus’ Buch. Rechtsextreme trainieren nicht zum reinen Selbstzweck wie Stressabbau oder Gewichtsverlust. Es geht um ein politisches Ziel. Zum einen darum, die eigenen Kampffähigkeiten für Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner zu verbessern, aber auch darum, Nachwuchs zu rekrutieren. Das funktioniert etwa über Fitnessstudios, in denen Rechtsextreme trainieren, und über Kampfveranstaltungen.
von Lieben: Inwiefern hat sich die Szene professionalisiert?
Behme: Claus beschreibt drei Ebenen: Erstens haben sich Kampfsporttechniken wie Mixed Martial Arts, kurz MMA, generell weiterentwickelt und sind populärer geworden. Bei Rechtsextremen sind vor allem Boxen, Kickboxen und MMA beliebt. Alles, was auch auf der Straße angewandt werden kann.

Feindbild Migration

Die zweite Ebene der Professionalisierung findet auf beruflicher und kommerzieller Ebene statt: Rechtsextreme betreiben Fitnessstudios und Kampfsportschulen, Modelabels und Firmen mit Nahrungsergänzungsmitteln für den Sport.
Und drittens sind die Events professioneller geworden. Hier hat man aus der Rechtsrock-Szene gelernt. Veranstaltungen wie der Kampf der Nibelungen sind keine geheimen Events in dunklen Ecken mehr, sondern professionell organisiert mit teilweise Hunderten Gästen.
von Lieben: Was ist der Kampf der Nibelungen?
Behme: Der Kampf der Nibelungen war vor ein paar Jahren noch ein unprofessionelles Kleinevent. Jetzt ist es das größte Kampfsportevent der rechtsextremen Szene in Westeuropa. 2018 reisten mehr als 850 Menschen aus ganz Europa und den USA an. Es fand damals in Ostritz statt, einer kleinen Gemeinde in Sachsen. Es gab Sponsoren, Erste Hilfe, Ringrichter und professionelle Soundanlagen.
Diese Internationalisierung, die sich auf solchen Events gut beobachten lässt, ist eine eher neue Entwicklung. Frühere nationalistische Konflikte, etwa zwischen deutschen und osteuropäischen Neonazis, scheinen in den Hintergrund zu geraten. In den Vordergrund tritt das Narrativ der paneuropäischen, weißen Rasse und der gemeinsame Feind der interkontinentalen Migration.
von Lieben: Wie passt die Querdenken-Bewegung dazu?
Behme: Claus bezieht sich in "Ihr Kampf" zwar nicht direkt auf die Querdenken-Proteste, aber auf die Coronakrise. Rechtsextreme nutzen gesellschaftliche Krisen, um Gewalt zu legitimieren und das Vertrauen in die Demokratie zu schwächen. Das passiert auch jetzt. Die Teilnahme von rechten Gruppen bei den Querdenken-Demos sind ja bekannt. Auf dem Blog Runter von der Matte gibt es zum Beispiel eine Recherche, die zwei bekannte Gesichter der rechtsextremen Kampfsportszene auf der Demo am 7. November in Leipzig zeigt.

Unübersichtliche Strukturen

"Runter von der Matte" ist eine Initiative, die über Neonazis im Kampfsport aufklären möchte. Denn es sind natürlich nicht alle Kampfsportler rechtsextrem. Claus plädiert in seinem Buch klar dafür, differenziert auf den Kampsport zu schauen.
von Lieben: Claus hat schon mehrere Bücher über Rechtsextremismus und Männlichkeit im Sport geschrieben. Zum Schluss: Wie liest sich "Ihr Kampf"?
Behme: Claus hat das Buch mit mehreren Gastautoren geschrieben. Das heißt, manche Kapitel sind Essays der Autoren. Claus selbst schreibt manchmal fast kleine Reportagen und beschreibt etwa die Orte, zu denen ihn seine Recherche führt. Etwa die Gemeinde Ostritz, in der 2018 der Kampf der Nibelungen stattgefunden hat. Die Netzwerke legt er sehr detailliert dar, also welche Person wie mit wem in Verbindung steht. Es fallen viele Namen von rechtsextremen Organisationen und Vereinen. Das kann unübersichtlich sein, liegt aber daran, dass die Strukturen unübersichtlich sind.

Robert Claus: "Ihr Kampf"
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2020
224 Seiten, 19,90 Euro

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