Robert Crumb: "Amerika"
Aus dem Englischen von Harry Rowohlt und Heinrich Anders
Reprodukt Verlag, Berlin 2019, 96 Seiten, 29 Euro
Comic-Inferno gegen den Kapitalismus
05:31 Minuten
Er gilt als Meister der Underground-Comics. Robert Crumb beschreibt in seinen "Amerika"-Zeichnungen die Jahre 1965 bis 1996 und karikiert schon Immobilienhai Trump. Bei aller Subversion hinterlässt das Buch auch einen ätzenden Nachgeschmack.
"So, jetzt hatten wir alle unseren Spaß, haben uns in unseren Perversionen gewälzt. Jetzt wird es Zeit, den Ungerechtigkeiten des Systems die geballte Faust zu zeigen." Mit diesen Worten eröffnet der amerikanische Kult-Comiczeichner Robert Crumb seine heute beängstigend visionär wirkende Kurzgeschichte "Den Finger drauf". Im Comic aus dem Jahr 1989 lässt das Alter Ego des Zeichners einen Gast auftreten, den er seinen Leserinnen und Lesern wie folgt präsentiert: "Meine Damen und Herren, einer der übelsten Menschen der Welt, der Immobilienhai Donald Trump!"
Ein Bad im Klo für Trump
30 Jahre bevor Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika eine Schlammschlacht gegen Muslime, Einwanderer und Frauen lostreten wird, erleben wir ihn als Comicfigur in ähnlich polarisierender Mission als Sonnyboy und Unternehmer. Hier kommt ein testosterongeschwängerter Schlagabtausch Trump vs. Crumb, Kapitalismus gegen ein anarcho-apokalyptisches Comic-Inferno!
Robert Crumb bietet zwei Enden an: Beim ersten gewinnt Trump, beim alternativen Schluss bestrafen zwei gewalttätige Anarchistinnen den Immobilien-Unternehmer mit einem Bad in der Toilette, bevor sie ihren antikapitalistischen Helden R. Crumb für eine Orgie abschleppen. Zum Glück ist der Zeichner selbstironisch genug, diese Wunschvorstellung wie folgt zu kommentieren: "Mir gefällt's auch, aber das 1. Ende war realistischer... leider!"
"Den Finger drauf" ist eines von 16 Comics, die im gerade auf Deutsch erschienenen Band "Amerika" versammelt sind, saftig übersetzt vom mittlerweile verstorbenen Harry Rowohlt und von Olav Korth, großartig gezeichnet vom Meister der Underground-Comics, Robert Crumb. Seine charakteristischen, schwarz-weiß schraffierten Strichzeichnungen erinnern an die hemdsärmelige Ästhetik von "Popeye", übertragen auf die sozialen Realitäten der Jahre 1965 bis 1996, in denen die "Amerika"-Zeichnungen entstanden sind.
Robert Crumb gilt als Superstar der Comickultur, der Erfinder von "Fritz, the Cat" wird heute in Museen ausgestellt und als Held der Underground-Comix gefeiert - jenen "x-rated"-Comics für Erwachsene, die in den 1960er-Jahren den damals geltenden "Comics Code" zum Schutz von Jugendlichen mit selbstverlegten Heften voller Sex, Gewalt und LSD-Rausch umgingen.
Zwiespältiges Lesevergnügen
Dennoch: Bei aller Subversion und Revolution - "Amerika" hinterlässt auch einen ätzenden Nachgeschmack. Crumb zeigt ein zutiefst sexistisches, antisemitisches und rassistisches Land. Doch reicht es aus, diesen Hass lediglich zu zeigen, ihn im Comic zu reproduzieren? Zu Robert Crumbs Leserinnen und Lesern gehören auch Neonazis, die sich Geschichten mit Originaltiteln wie "Wenn die Nigger an die Macht kommen" oder "Wenn die verdammten Juden an die Macht kommen" prima aneignen konnten. Doch menschenverachtender Hass gehört in den Giftschrank. So bleibt Robert Crumbs "Amerika" ein zwiespältiges Lesevergnügen.