Robert Habeck/Andrea Paluch: "Neunzehnachtzehn"
Schauspiel Kiel, ab 1. Dezember 2018
"Das Herz schlägt für die Revolution"
Im Theaterstück "Neunzehnachtzehn" geht es um den Kieler Matrosenaufstand vor 100 Jahren. Geschrieben haben es Robert Habeck und seine Frau Andrea Paluch. Der Grünen-Chef sieht in dem historischen Stoff Parallelen zum eigenen politischen Alltag.
Es ist der Sozialdemokrat Gustav Noske, den der Grünen-Chef Robert Habeck für die zentrale Figur in dem Theaterstück "Neunzehnachtzehn" hält. Habeck ist auch Schriftsteller und – gemeinsam mit seiner Frau Andrea Palauch – Autor des Theaterstücks, das vor zehn Jahren entstanden ist und nun am Schauspiel Kiel wieder aufgeführt wird.
Noske war damals von Berlin nach Kiel geschickt worden, um dort die Situation zu beruhigen: "Dieses Changieren zwischen 'eigentlich will ich die Revolution und andererseits suche ich die Ordnung oder versuche sie zu steuern' ist ein Stück weit, wenn ich das so sagen darf, ohne es zu übertreiben, eine Metapher für den Alltag auch als grüner Bundesvorsitzender."
Etwas entscheiden müssen: Das ist nach Darstellung Habecks oft genug ein Dilemma.
"Jede politische Entscheidung hat eine Konsequenz"
"Das Herz schlägt für die Revolution, ganz klar. Aber… Das Aber ist, dass ich sowohl in der Revolution, das kann man ja ganz gut studieren, wie auch bei kleineren Projekten, also Landwirtschaftspolitik, Energiewende, sehr genau weiß, dass manchmal Alternativen nur die Wahl zwischen schlecht und schlechter sind. Jede politische Entscheidung hat eine Konsequenz, und nicht immer nur eine tolle Konsequenz. Wenn man junger revolutionärer Matrose ist, macht man sich das nicht klar."
(bth)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: 100 Jahre her ist der Matrosenaufstand in Kiel, ohne den ja die Ausrufung der Republik in Berlin kaum denkbar gewesen wäre. Aus Kiel kam er also, der erste Impuls, und aus Kiel kommt auch mein Gesprächspartner: Robert Habeck, Sie kennen ihn als Co-Parteivorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen. Er war Umweltminister in Schleswig-Holstein, stellvertretender Ministerpräsident, hat aber auch Vorleben, und zwar als Schriftsteller.
Zusammen mit seiner Frau, Andrea Paluch, hat er vor zehn Jahren ein Stück geschrieben, dass "Neunzehnachtzehn" heißt, eine Auftragsarbeit für das Theater Kiel. Morgen wird es dort wieder aufgeführt. "Neunzehnachtzehn", Matrosen, Macht und Widerstand, das ist ein Thema für uns. Herr Habeck, ich grüße Sie!
Robert Habeck: Guten Morgen!
Billerbeck: Sie sind in Kiel groß geworden. Hat Sie der Matrosenaufstand schon deshalb interessiert?
Habeck: Ja, das ist ohne Frage so. Natürlich bin ich nicht jeden Morgen aufgewacht und habe gedacht, Mensch, was ist hier vor 100 Jahren passiert und wo sind die Matrosen lang gelaufen, aber die Orte, die dann den Matrosenaufstand dominiert haben, das Gewerkschaftshaus, der Bahnhofsvorplatz, der Landtag selbst, also eine alte Marineakademie, waren immer Teil meines Lebens in irgendeiner Form. Und deswegen hat das eine doppelte Bedeutung gehabt, einmal die historische und einmal auch ein Stück weit eine biografische, ganz klar.
"Die Inszenierung ist besser als das Stück"
Billerbeck: In dem Stück wird es ja auch so sein, dass man mit den Zuschauern diese Orte auch abgeht, also es ist kein Stück, wo man im Theater sitzt und zuguckt.
Habeck: Das stimmt, aber das hat das Theater gemacht, also der Ruhm gebührt nicht uns, sondern dem Regisseur und dem Intendanten, die das wieder so offen inszenieren. Und das Stück mag gefallen oder nicht gefallen, aber die Inszenierung ist einfach unfassbar toll, ganz, ganz großartig.
Man wird quasi… Man ist selber Masse, also, man wartet vor dem Theater, dann kommen aus der Dunkelheit der Nacht die Matrosen anmarschiert, verteilen die Zuschauer in Busse, dann werden die Stationen abgefahren und man ist selber entweder Teil des Offizierskorps oder der revolutionierenden Menschen. Das zieht einen ungeheuer rein in das Stück.
Billerbeck: Das ist ja schön, wenn der Autor auch die Inszenierung toll findet, das freut einen ja schon mal.
Habeck: Besser als das Stück!
Noske als Sündenfall der SPD in der Weimarer Republik
Billerbeck: Sie haben in einem Interview zu Ihrem Stück mal gesagt, dass Sie vor allem von der Person Gustav Noske fasziniert gewesen sind, Sozialdemokrat, der damals im November 1918 von Berlin nach Kiel geschickt wurde, um die Situation zu beruhigen. Und ich erinnere mich bei Noske natürlich immer an zweierlei. Erstens dieses berühmte Bild in der Badehose mit Ebert und zum zweiten an den Satz "Einer muss der Bluthund sein". Was macht Noske für Sie zu so einer spannenden Figur?
Habeck: Gustav Noske ist ein Stück weit so etwas wie der Sündenfall der SPD in der Weimarer Republik. Er ist dann Innenminister später geworden und hat dann den Spartakus-Aufstand in Berlin niedergeschlagen und gilt im Grunde als der Mann, der die Mehrheits-SPD, also die bürgerliche SPD, von den Kommunisten und der unabhängigen Sozialdemokratie endgültig gespalten hat. Und der ist zwar Jahre vor dem Spartakus-Aufstand eben nach Kiel gekommen, entsandt, um zu gucken, was da los ist, auch teilweise auf Wunsch der Admiralität, hat aber sofort das Vertrauen der revolutionierenden Matrosen und Massen.
Und wir haben uns vorgestellt, dass der Mann quasi unbeschrieben, also ohne einen klaren Plan, in diese wilde Situation geworfen wurde und dann aus dem Agieren selbst heraus, also aus dem, die Leute mussten etwas zu essen haben, es wurde auf der Straße wild um sich geschossen, das konnte eigentlich nicht so bleiben, also hat er angefangen, Ordnung geschaffen. Und von diesem "Ich schaffe Ordnung" hat er dann die Revolution übernommen und letztlich sogar wieder abgewürgt, also er hat da schon in Kiel das Bündnis mit den Offizieren wieder gesucht und ist es eingegangen, das alles in drei, vier Tagen.
Metapher für den Alltag als grüner Bundesvorsitzender
Man hat da eigentlich eine ideale dramaturgische Situation, Handlung von Zeit und Ort, das ist gebündelt wie bei Aristoteles vorgesehen, und dann eine Figur, die innerhalb von drei Tagen fast, intensiver geht es kaum, eine charakterliche Entwicklung durchmacht und Entscheidungen treffen muss. Und dieses Changieren zwischen "Egentlich will ich die Revolution und andererseits suche ich die Ordnung oder ich versuche sie zu steuern", das ist ein Stück weit auch, wenn ich das so sagen darf, ohne es zu übertreiben, Metapher für den täglichen Alltag auch als grüner Bundesvorsitzender.
Billerbeck: Das hätte ich natürlich jetzt als nächstes gefragt. Wenn man da so reagieren muss in so einer extremen Situation, wie Sie das eben bei Noske geschildert haben. Sie kennen wahrscheinlich solche Extremsituationen auch, nicht ganz so dramatisch wie damals 1918, aber Sie waren Landesminister, sind jetzt Parteivorsitzender. Schlägt Ihr Herz denn mehr für die Revolution oder mehr für das, was danach kommt, also die sprichwörtlichen Mühen der Ebene?
Habeck: Das Herz schlägt für die Revolution, ganz klar, aber…
Billerbeck: Aber?
Habeck: Genau. Das aber ist, dass ich sowohl in der Revolution, das kann man ja ganz gut studieren, wie auch bei kleineren Projekten, also Landwirtschaftspolitik der Energiewende, sehr genau weiß, dass manchmal Alternativen nur die Wahl zwischen schlecht und schlechter sind. Also, jede politische Entscheidung hat eine Konsequenz und nicht immer nur eine tolle Konsequenz. Und wenn man ein junger, revolutionärer Matrose ist, macht man sich das nicht klar.
Soll ich ein Beispiel nennen ganz anderer Art? Ich musste mal einen Schlachthof schließen in Schleswig-Holstein, wir hatten da Verstöße gegen Tierschutz festgestellt – und das ist noch nie passiert in Deutschland, dass ein großer Schlachthof über mehrere Wochen geschlossen wurde –, und ich wusste überhaupt nicht, ob das richtig oder falsch ist, das hätte auch meinen Rücktritt bedeuten können. Ein riesiges Polizeiaufgebot, eine Riesenwelle der Empörung durch die Fleischindustrie, auf der anderen Seite viel Unterstützung, aber es hatte eben enorme Konsequenzen für den Agrarhandel und für die Fleischwirtschaft.
Solche Entscheidungen hat man permanent, und so muss es Noske noch viel existenzieller da gegangen sein, weil man einfach nicht wusste, was man macht – oder vielleicht was man macht, aber nicht, was aus den Taten dann folgt.
Politische Erfahrung ging in das Theaterstück mit ein
Billerbeck: Hat die Arbeit mit dem Theater und auch die Arbeit als Dramatiker eigentlich Ihren Blick auch als Politiker für Dramaturgie und Inszenierung geschärft?
Habeck: Das war eher ein bisschen umgekehrt. Ich war da ja schon Landesvorsitzender, also noch nicht Minister, noch nicht Fraktionsvorsitzender, noch nicht in der, wie soll ich sagen, Verantwortung oder auch in einer sichtbaren Rolle wie heute. Aber ich hatte natürlich schon eine gewisse Vorerfahrung, wie politische Prozesse laufen – und die sind in das Theaterstück reingegangen.
Also, wenn man ganz genau hinhört oder ich mich genau erinnere, dann gibt es Halbsätze, die anspielen auf Redesituationen, die ich selber erlebt habe. Also manchmal redet Noske wie auf einem Grünen-Parteitag oder die revolutionären Matrosen, sodass tatsächlich diese politische Erfahrung in das Theaterstück mit reingegangen ist.
Billerbeck: Robert Habeck, Politiker und Co-Autor des Stückes "Neunzehnachtzehn", zusammen mit Andrea Paluch, seiner Frau, geschrieben. Morgen wird es am Kieler Theater wieder aufgeführt, 100 Jahre nach dem Kieler Matrosenaufstand. Herr Habeck, herzlichen Dank!
Habeck: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.