Robert Habeck: Wer wagt, beginnt. Die Politik und ich
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016
288 Seiten, 14,99 Euro - eBook 12,99 Euro
ISBN 978-3-462-04949-7
"Man kann sich immer im Nein verbuddeln"
Robert Habeck ist Umweltminister in Schleswig-Holstein. Bei der Bundestagswahl 2017 will er einer der Spitzenkandidaten der Grünen werden. Was er denkt und wie er in die Politik fand, erzählt Habeck in "Wer wagt, beginnt".
Diese Woche habe er einen politische Erfolg verbucht, erzählt Robert Habeck. Einen Erfolg, der klein wirke und doch groß sei: Man habe den langjährige Konflikt zwischen Kitesurfern und Naturschützern endlich beigelegt. "Das hat die Nerven aller Beteiligten extrem angespannt", bekennt der grüne Umweltminister Schleswig-Holsteins. Doch jetzt habe man eine Lösung erreicht, die "beiden Seiten drei Viertel recht gibt, aber eben nicht jedem zu hundert Prozent."
Arithmetik des Kompromisses
Darin erkennt Habeck die Vorzüge langwieriger politischer Bemühungen um einen Kompromiss. Wenn es dem Unterhändler gelinge, zerstrittene Parteien aus ihrer "ideologischen Wolke" herauszuholen und am Ende dann "beide in der Summe mehr kriegen als zusammen hundert Prozent, dann hat man doch gesellschaftlichen Fortschritt erreicht". Dass Politik frustrierend sei, weil man sich auf Dauer nie wirklich mit seinen Vorstellungen durchsetze, sieht Robert Habeck dagegen nicht: "Kompromisse sind nicht von Übel."
Das Gleiche gelte fürs Verhältnis von Visionen und Pragmatismus. Visionen brauche ein Politiker schon alleine, um sich in der Politik nicht zu verlieren und nur noch eine "Plastiksprache" zu sprechen, die den Schriftsteller Robert Habeck, der vor der politischen Laufbahn Krimis schrieb und literaturwissenschaftlich gearbeitet hat, durchaus stört. Doch Pragmatismus sei etwas anderes. "Vision und Pragmatismus sind kein Widerspruch, sondern bedingen sich, sie spiegeln einander", sagt der grüne Realo. "Wenn man immer nur auf seine Füße guckt, wird man nie wissen, in welche Richtung man läuft. Wenn man immer nur auf den Horizont starrt, dann wird man nie ankommen oder man stolpert schon bei den ersten Schritten."
Welches "Wir" soll es schaffen?
Seit Jahren plädiert Habeck für einen linken Patriotismus, denn er findet Deutschland heute "lässig, entspannt, freundlich und cool". Elemente der direkten Demokratie wie Volksabstimmungen sieht er dagegen skeptisch. Beim Merkel'schen Wir fragt er sich: "Wer ist eigentlich Wir? Was ist der Diskurs, der uns zusammenhält?" Das sei entscheidender als die dauernde Kritik daran, weil es den bürgerlichen Zusammenhalt fokussiere.
Eher formale Demokratie-Tools wie Volksabstimmungen führten allerdings nicht automatisch zu einer Vertrauenskultur zwischen Bürgern und Politikern. Im Gegenteil, oft spitzten sie komplizierte Sachverhalte auf einfache Alternativen zu: "Abstimmungen, die nur zwischen Nein und Ja den Unterschied lassen, sind schlechte Abstimmungen, weil man sich immer im Nein verbuddeln kann."
Aber natürlich brauche man wieder eine große, identitätsstiftende Erzählung in Europa, denn: "Wir haben übersehen, dass die Feinde der Humanität sehr wohl großen Erzählungen schaffen." Nationalismus, Islamismus seien solch große und leider für manche verlockende Narrative. "Und denen stehen wir wehrlos gegenüber."