Robert Hass: "Nach der Natur", Gedichte
Aus dem amerikanischen Englisch von Hans Jürgen Balmes
Stadtlichterpresse, Wenzendorf 2021
170 Seiten, 16 Euro
Strahlende Sonne, kein Hauch
04:46 Minuten
Die Gedichte des amerikanischen Lyrikers Robert Hass speisen sich aus genauer Naturbeobachtung. Aber nie entsteht dabei der Eindruck von Weltflucht, denn Flora und Fauna erscheinen in "Nach der Natur" ebenso fragil wie schützenswert.
Der Dichter Robert Hass ist hierzulande nicht so bekannt wie etwa Charles Simic oder Louise Glück. Allerdings ist er auch jünger – sofern man das bei einem Achtzigjährigen sagen kann – als Simic, und anders als Glück hat er keinen Nobelpreis erhalten.
Doch immerhin den Pulitzerpreis für den 2007 erschienenen Band "Time and Materials". Diesem Band sind auch die meisten der jetzt von Hans Jürgen Balmes übersetzten Gedichte in "Nach der Natur" entnommen.
Ein Grund, warum Hass im deutschsprachigen Raum, abgesehen von einer 2005 erschienenen Auswahl seiner Gedichte, wenig Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist, mag daran liegen, dass er in fünf Jahrzehnten gerade einmal sieben schmale Bände veröffentlicht hat.
Produktiver war er als Übersetzer, vor allem als Übersetzer des polnischen Nobelpreisträgers Czesław Miłosz, mit dem er zusammen an der Universität Berkley unterrichtete.
In der amerikanischen Poesietradition verwurzelt
Außerdem hat er sich intensiv der japanischen Dichtung gewidmet und über Jahre hinweg jeden Morgen ein Haiku übersetzt. Tief verwurzelt in San Francisco und der kalifornischen Heimat, spannt sich sein poetischer Horizont damit einerseits weit in den Osten, mindestens bis ins litauische Wilna seines Freundes Miłosz, und andererseits nach Westen, über den Pazifik hinweg nach Japan, wie auch eines seiner Vorbilder, Ezra Pound, vor hundert Jahren die chinesische Poesie fest im Blick hatte.
Freilich hört man in Robert Hass Gedichten auch die Verwurzelung in der amerikanischen Poesietradition. Walt Whitman wird im neuen Auswahlband mehrfach erwähnt, die Prägnanz William Carlos Williams’ ist allgegenwärtig, ebenso wie die Impulsivität, Intensität und Sinnlichkeit der Beat Poetry eines Allen Ginsburg oder Gary Snyder.
Vor allem Gary Snyder, der schon in den sechziger Jahren unseren Umgang mit der Natur in Gedichten und auch Essays thematisierte, hatte großen Einfluss auf Robert Hass.
Die Paarung zweier Libellen
Viele seiner Gedichte speisen sich aus genauer Naturbeobachtung - sei es die Bewegung der Espenblätter im Wind oder die Paarung zweier Libellen. Nie aber entsteht der Eindruck von Weltflucht. Die Natur erscheint bei Hass vielmehr als äußerst fragiles, mit Worten kaum fassbares, dabei konkretes und schützenswertes Gebilde:
"Sierramorgen.
Strahlende Sonne. Kein Hauch,
Was sich da in der Pappel regt,
Muss eine Grasmücke sein".
Strahlende Sonne. Kein Hauch,
Was sich da in der Pappel regt,
Muss eine Grasmücke sein".
Dabei erinnern Hass’ Verse selbst zuweilen an Blätter, die zwar am selben Baum hängen, vom Wind aber in unterschiedliche Richtungen bewegt werden. Hans Jürgen Balmes vergleicht die Gedichte in seinem Nachwort treffend mit Mobiles.
Balmes’ Übersetzung ist leider nicht immer so treffend, zu eng arbeitet er am Original. Dadurch wirken die Sätze zuweilen etwas sperrig und ungelenk, auch das Register verrutscht ihm hin und wieder. Gleich im ersten Gedicht sagt eine Tochter zu ihrer Mutter:
"Etwas in der Art,
wie du es gesagt hast,
hat mich angepisst".
wie du es gesagt hast,
hat mich angepisst".
Gemeint ist "hat mich genervt", so konkret aber wirkt der Vers unfreiwillig komisch.
Zum Glück ist die Ausgabe zweisprachig, und vermutlich versteht jeder, der sich für amerikanische Lyrik interessiert, ausreichend Englisch, um sich zusammen mit der Übersetzung ein gutes Bild zu machen von diesen scheinbar einfachen und doch fein ziselierten Gedichten aus 25 Jahren, in denen es nicht nur um die Natur, sondern auch um "Bushs Krieg" geht, um den Alkoholismus der Mutter, um die Frage, was es mit dieser Sache namens "Bewusstsein" auf sich hat, und natürlich um die Liebe:
"Sie legte ihre Bluse ab,
Durchscheinend schimmernd in der Farbe seidiger Mandarinen.
Vom Capitol Hill wird Walt Whitman beobachtet haben,
Wie in den Weiden am Fluss im abkühlenden
Immer noch schwülen Zwielicht der Dunst sich sammelte.
Er war in einen Tramschaffner verliebt,
Es war Sommer – aber welcher – 1867? 1868?"
Durchscheinend schimmernd in der Farbe seidiger Mandarinen.
Vom Capitol Hill wird Walt Whitman beobachtet haben,
Wie in den Weiden am Fluss im abkühlenden
Immer noch schwülen Zwielicht der Dunst sich sammelte.
Er war in einen Tramschaffner verliebt,
Es war Sommer – aber welcher – 1867? 1868?"