Robert Seethaler: Das Feld
Hanser Berlin, 2018
240 Seiten, 22 Euro
Wenn die Toten über das Leben erzählen
"Das Feld" – das ist der fiktive Friedhof eines kleinen Ortes in Robert Seethalers neuem Roman. Und die dort Begrabenen erzählen ihre Geschichte. So entsteht ein Porträt ihrer Stadt und eine vielstimmige Gesamtschau auf das Leben.
Das Feld ist die Brache eines Viehbauern, zu unfruchtbar, um dem Boden auch nur ein paar Kartoffeln zu entlocken. So wurde daraus der Friedhof eines fiktiven Ortes mit dem Namen Paulstadt. Da sitzt jeden Tag ein alter Mann auf einer mürbe gewordenen Bank zwischen den Gräbern und überlegt, was die Toten ihm erzählen würden, wenn er ihre Stimmen vernehmen könnte. Und während er dann am Abend nach Hause geht, beginnen die Toten zu sprechen.
Das ist "Das Feld", der neue, vielstimmige Roman des österreichischen Schriftstellers und Schauspielers Robert Seethaler. 29 der 30 Kapitel tragen einen Namen als Überschrift, und es ist jeweils einer der Toten auf dem Acker, der zu sprechen beginnt. Nur das erste, prologartige Kapitel mit dem alten Mann heißt "Die Stimmen", bevor dann auch er im allerletzten Abschnitt seinen Namen bekommt. Dann wird auch er zu den Toten gehören.
Was die Toten erzählen, ergibt in der Summe vielleicht so etwas wie eine vorsichtige Antwort auf die Frage, was das Leben ist. Das ergibt meistens keine runde Biografie. Manchmal sind es kleine, unbedeutende Momente, die fürs Ganze stehen, so bei Sonja Meyers, wenn sie sich der samstäglichen Besuche beim Großvater erinnert, mit dem sie Schach spielte. Oder Gerda Baehr, die von den Sonntagen im Bett mit ihrem dicken Geliebten träumt. "Dich lieben, dann neben dir liegen, im Bett, im Gras, im Schnee. Das war alles."
Das ist "Das Feld", der neue, vielstimmige Roman des österreichischen Schriftstellers und Schauspielers Robert Seethaler. 29 der 30 Kapitel tragen einen Namen als Überschrift, und es ist jeweils einer der Toten auf dem Acker, der zu sprechen beginnt. Nur das erste, prologartige Kapitel mit dem alten Mann heißt "Die Stimmen", bevor dann auch er im allerletzten Abschnitt seinen Namen bekommt. Dann wird auch er zu den Toten gehören.
Was die Toten erzählen, ergibt in der Summe vielleicht so etwas wie eine vorsichtige Antwort auf die Frage, was das Leben ist. Das ergibt meistens keine runde Biografie. Manchmal sind es kleine, unbedeutende Momente, die fürs Ganze stehen, so bei Sonja Meyers, wenn sie sich der samstäglichen Besuche beim Großvater erinnert, mit dem sie Schach spielte. Oder Gerda Baehr, die von den Sonntagen im Bett mit ihrem dicken Geliebten träumt. "Dich lieben, dann neben dir liegen, im Bett, im Gras, im Schnee. Das war alles."
Geschichten und Schicksale
Andere wie der Bauer Karl Jonas erzählen gleich auch die Geschichte ihrer Vorfahren und deren vergeblichen Kampf gegen die Unfruchtbarkeit des Bodens mit. Oder sie müssen, wie die 105-jährige Annelie Lorbeer, fürchten, alles längst vergessen zu haben. Doch während das gelebte Leben in die Ferne rückt, erinnert sie sich immer noch ihrer Erinnerungen und weiß, dass sie schön waren. Sie sagt: "Erst war ich Mensch, jetzt bin ich Welt." Wer so spricht, hat sich selbst überlebt und ist glücklich darüber. Die Toten dieses Romans besitzen eine Gelassenheit, die vermuten lässt, dass das Grab kein so schlechter Aufenthaltsort ist. So sieht es auch der korrupte Bürgermeister, der es sich auch noch als Toter so bequem wie möglich macht.
In seinem vorigen Roman "Ein ganzes Leben" hat Seethaler ein einziges Leben über 80 Jahre hinweg erzählt. Jetzt gibt es keine Hauptperson, sondern stattdessen die Vielfalt der Stimmen und Geschichten, aus denen sich nebenbei auch das Porträt einer Kleinstadt mit Lehrer, Finanzbeamtem, arabischem Gemüsehändler, Blumenhändlerin, Schuhladenbesitzerin und so weiter ergibt. Die einzelnen Figuren sind sich gelegentlich begegnet, ihre Geschichten verbinden sich locker, und manche Schicksale, wie der Tod des Jungen, der im See ertrinkt und dessen Mutter darüber wahnsinnig wird oder das Ende des Pfarrers, der sich im Kirchengebäude anzündet, schrieben sich in die Geschichte der Stadt ein. Ausgerechnet die Trafikantin aus dem Tabakwarenladen sagt nur ein einziges Wort: "Idioten!" Mag sein, dass Seethaler sich damit auch von seinem Erfolgsroman "Der Trafikant" wegschreibt.
In seinem vorigen Roman "Ein ganzes Leben" hat Seethaler ein einziges Leben über 80 Jahre hinweg erzählt. Jetzt gibt es keine Hauptperson, sondern stattdessen die Vielfalt der Stimmen und Geschichten, aus denen sich nebenbei auch das Porträt einer Kleinstadt mit Lehrer, Finanzbeamtem, arabischem Gemüsehändler, Blumenhändlerin, Schuhladenbesitzerin und so weiter ergibt. Die einzelnen Figuren sind sich gelegentlich begegnet, ihre Geschichten verbinden sich locker, und manche Schicksale, wie der Tod des Jungen, der im See ertrinkt und dessen Mutter darüber wahnsinnig wird oder das Ende des Pfarrers, der sich im Kirchengebäude anzündet, schrieben sich in die Geschichte der Stadt ein. Ausgerechnet die Trafikantin aus dem Tabakwarenladen sagt nur ein einziges Wort: "Idioten!" Mag sein, dass Seethaler sich damit auch von seinem Erfolgsroman "Der Trafikant" wegschreibt.
Weisheit und die Kraft zu Versöhnung
"Das Feld" ist ein in seiner Vielstimmigkeit riskantes Buch. Es ist nicht leicht zu lesen, auch wenn es aus einfachen Sätzen und überschaubaren Geschichten besteht. Das liegt an der Konstruktion, in der sich die Zusammenhänge erst nach und nach ergeben. Ist man aber erst einmal darin angekommen, trägt allein der poetische Ton, den Seethaler findet, seine Sanftheit, seine Gelassenheit und die stille Schönheit des gelebten Lebens. Und für jede Figur findet er eine eigene Sprache.
"Die wenigsten Alten sind weise, die meisten sind einfach nur alt", sagt ein Vater, der seinem Kind noch ein paar Ratschläge geben möchte. Seethalers Gesamtschau auf das Leben aber enthält viel Weisheit und die Kraft zu Versöhnung. "Denk an die Toten und verzeih ihnen", sagt der Vater. Das gilt für sie alle, die da Sprache geworden sind, eine Sprache, die sie im Leben wohl noch nicht gesprochen haben.
"Die wenigsten Alten sind weise, die meisten sind einfach nur alt", sagt ein Vater, der seinem Kind noch ein paar Ratschläge geben möchte. Seethalers Gesamtschau auf das Leben aber enthält viel Weisheit und die Kraft zu Versöhnung. "Denk an die Toten und verzeih ihnen", sagt der Vater. Das gilt für sie alle, die da Sprache geworden sind, eine Sprache, die sie im Leben wohl noch nicht gesprochen haben.