Roberto Saviano: "Die Lebenshungrigen"

Nachwuchskiller auf Motorrollern

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Buchcover zu Roberto Savianos Roman "Die Lebenshungrigen".
Erzählt von der Brutalität in den Straßen Neapels: Roberto Saviano in seinem Roman "Die Lebenshungrigen". © Hanser Verlag
Von Hans von Trotha · 29.08.2019
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Während Roberto Savianos erster Roman, "Der Clan der Kinder", als Verfilmung in die Kinos kommt, steht nun dessen Fortsetzung in den Buchläden: "Die Lebenshungrigen" steigert die Brutalität und Grausamkeit noch.
Mit "Gomorrha" hat Roberto Saviano vor über zehn Jahren einen Bestseller vorgelegt, der der Mafia nicht nur in Italien eine ungewohnte Öffentlichkeit beschert hat. Es folgten weitere Bücher, schließlich vor drei Jahren der Roman "Der Clan der Kinder", der 2018 auf Deutsch erschien. Zeitgleich mit dessen Verfilmung erscheint nun "Die Lebenshungrigen", eine Fortsetzung von "Der Clan der Kinder".
Wer im ersten Roman überlebt hat, ist jetzt nicht mehr zwölf, 13, sondern um die 18 Jahre alt und glaubt, selbst sein Revier im Drogenkrieg abstecken zu können. "Bist du Amboss, steckst du ein, bist du Hammer, teilst du aus." Mit solchen Sprüchen auf den Lippen, zwei gefälschten Rolex an einem Handgelenk und schweren Kalibern im Gürtel rasen die Dreiviertelstarken auf Motorrollen durch Neapel und lernen durch Anschauung und an den eigenen Leibern, wie Skrupellosigkeit, Grausamkeit, Menschenverachtung funktionieren.

Grausamkeit als Schmierstoff der erzählten Welt

Trotz des unvermeidlichen Generationenkonflikts scheint sich an mafiösen Verhaltensweisen und Strukturen wenig zu ändern. Wäre nicht ständig von Facebook, Playstations und Systemadministratoren die Rede, die Geschichte könnte ebenso gut im vergangenen Jahrhundert spielen. Der Bogen ist vorgegeben, für alle Beteiligten: "Wir sind Mütter von Soldaten, das ist unser Schicksal als Mütter in dieser Stadt. Wir kriegen sie, wir ziehen sie groß, und dann schicken wir sie in den Tod."
Viele Bilder kennen wir wie die Romanprotagonisten, die sie nachstellen, aus Filmen. Das birgt die Gefahr der Romantisierung. Während der Kinofassung von "Der Clan der Kinder" in der Kritik eine Tendenz zur Verharmlosung vorgeworfen wurde, kann man das über Savianos jüngsten Roman nicht behaupten. Er ist brutal, spart nicht mit Details. Wenn da ein Kapitel "Eine perfekte Rasur" heißt, dann geht es genau so aus, wie man befürchtet - mit einer durchschnittenen Kehle. Die ausgekostete Gewalt, die grenzenlose Brutalität, die stets noch steigerbare Grausamkeit, bilden den Schmierstoff der Welt, von der Saviano erzählt.

Dialoge sind Savianos Stärke

Die Hinwendung zum Roman mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass Saviano nicht mehr vor Ort recherchieren kann. Er bekommt Personenschutz und lebt an wechselnden geheimen Orten. An die Stelle ermittelter Details treten deshalb literarische Bilder: Vom Löwen, der im Keller auf und ab geht, über die geheimen Schächte, die ein Haus durchziehen, bis zum aufgegebenen Stadtviertel, in dem sich flüchtige Mörder vorübergehend einmauern lassen. Auch sonst arbeitet der Romanautor Saviano bildhaft, verlagert das Geschehen in Videos und nutzt Mittel des Kinos wie Dialog und Schnitt.
Die Dialoge sind seine große Stärke. Dass die Geschichte in kurze, abgeschlossene Kapitel zerlegt ist, macht es allerdings nicht immer leicht, sich auf die Personen einzulassen. Da aber sowieso klar ist, wohin der Hase läuft (auf den letzten Seiten ärgern sich einige der Lebenshungrigen über "drei etwa zwölfjährige Jungen, die im Licht der Sonne dealten"), liegt der Mehrwert von Savianos Erzählen auf einer anderen Ebene: In der bildhaft-literarischen Entwicklung der Fragen, warum schon wieder, und, wie hört das jemals auf? "Nur wenn die Kinder wiederkommen", sagt eine der Mütter, "ist das ein schlechtes Zeichen, nicht wenn sie weggehen."

Roberto Saviano: "Die Lebenshungrigen"
Aus dem Italienischen übersetzt von Annette Kopetzki
Hanser Verlag, München 2019
480 Seiten, 25 Euro

Außerdem sprachen wir mit Roberto Saviano über die Verfilmung seines Buchs "Der Clan der Kinder":
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