Robin Alexander: "Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik. Ein Report."
Siedler Verlag, 2021
384 Seiten, 22 Euro
Ein Boulevardstück über den Niedergang der CDU
06:48 Minuten
Der Journalist Robin Alexander zeichnet ein düsteres Bild der CDU zum Ende der Merkel-Ära. "Machtverfall" liest sich spannend wie ein Krimi aus verdorbenem Milieu. Man sollte es aber nicht mit der Wirklichkeit verwechseln.
In ihrer letzten Amtszeit sollte Angela Merkels den Westen und die NATO gegen Amerikas Präsidenten Donald Trump verteidigen. Doch was zuletzt kam, seien Machtverfall, Angst und Scheitern gewesen. So beschreibt es der Welt-Reporter Robin Alexander. Während der Corona-Pandemie habe die Bundeskanzlerin versagt, meint er und schreibt: "Am Ende regiert sie vor allem mit Appellen und Verboten – vielleicht auch deswegen, weil sie nicht realisiert, was alles in dem von ihr seit 16 Jahren regierten Land nicht klappt. Als ihre Macht verfällt, klammert sie sich umso fester an ihre Autorität. Aber auch die schwindet zusehends. Merkel kämpft schon seit einem Jahr nicht mehr für die Rettung des Westens, der NATO oder des Klimas. Sie ringt jetzt darum, ob nach den Friseuren auch Fußpflegerinnen wieder öffnen dürfen."
Intime Details aus erster, zweiter oder dritter Hand
Der Autor sieht Merkel als müde Regentin eines risikoscheuen, überbürokratisierten Landes. Vor diesem Hintergrund beschreibt er die Machtkämpfe in der Union. Anfang 2020 fällt zunächst Annegret Kramp-Karrenbauer, dann ringen Armin Laschet und Friedrich Merz um den Parteivorsitz. Unterdessen strebt auch der CSU-Vorsitzende Markus Söder fintenreich in Richtung Kanzleramt. So entsteht eine aufregende Story, deren Kapitel Überschriften aus der Welt des Boulevards tragen: Hetzjagd, Fiasko, Endspiel. "Vati an Muttis Seite" heißt ein Zwischentitel, "Södern statt Zögern" ein anderer.
Alexander füllt seine Chronik mit intimen Details aus den Gremien der CDU und der Ministerpräsidentenkonferenzen, die ihm erzählt wurden, mal aus erster Hand, mal aus zweiter oder dritter.
"In der Politik sind Fakten nur Munition in der Schlacht darum, welche Erzählung - welches Narrativ – den Sinn stiftet, der sich durchsetzt. Man kann ein Narrativ mit Fakten infrage stellen. Oder man erschüttert die Glaubwürdigkeit des Erzählers," schreibt Alexander und tut selbst, als säße er im Kopf der Akteure, etwa bei der Entfremdung zwischen Angela Merkel und Kramp-Karrenbauer. Er behauptet, Merkel habe bei ihrer Nachfolgerin Gerissenheit und Killerinstinkt vermisst.
Eine zynische Deutung des Politikbetriebes
Als die Corona-Pandemie auch Europa und Deutschland erreicht, verändert die Notlage alles, nur nicht die Machtkämpfe in der Union. "Team Vorsicht" mit Söder und der Kanzlerin gegen Armin Laschet. Was in der Corona-Krise unternommen wird, dient aus Alexanders Perspektive alleine dem "Narrativ" der Machtmenschen. Das Leid des Landes stehe dahinter blass zurück. Eine zynische Deutung des Politikbetriebes.
Wie Söder die Degradierung seines des Gegners betreibt, beschreibt er allerdings minutiös: "‘Team Vorsicht' – in nur zwei Worten ordnet er darin die politische Welt neu: Team meint, ich gehöre zu Merkel, Vorsicht meint: wer uns widerspricht, ist leichtsinnig. In diese Rolle wird sich bald Armin Laschet drängen lassen. (…) In der Corona-Krise wird Söder gar nicht genug von Merkel kriegen. Noch zwei Jahre zuvor mied er sie, als habe sie eine ansteckende Krankheit." In der Corona-Krise sitzt Söder ständig neben Merkel, lobt sie und wird quasi Untermieter im Kanzleramt, berichtet der Autor nicht ohne Bewunderung für Söders Raffinesse.
Mit Laschet ist es andersherum. Alexander, der aus dem Ruhrgebiet stammt und in Wanne-Eickel groß geworden ist, skizziert den CDU-Vorsitzenden durchweg als tapsige Frohnatur und Krisenversager: "Die Rolle des Krisenmanagers liegt Laschet nicht. Er entscheidet nicht gern schnell, nicht allein und schon gar nicht autoritär. Nicht Helmut Schmidt, der Krisenkanzler, sondern Johannes Rau ist sein heimliches Vorbild. Laschet sucht das Gespräch mit allen Akteuren, um dann einen Interessenausgleich zu finden, mit viel gutem Willen und manchmal auch ein paar Tricks. Typisch Rheinländer."
Die einzige Lichtgestalt: der Autor selbst
Das düstere Panorama deutscher Politik kennt über 400 Seiten eigentlich nur eine lichte Gestalt: den wissenden Autor und stellvertretenden Chefredakteur. Dabei ist er ein mitreißender Erzähler, passagenweise möchte man sogar sagen: ein passabler Dichter. Denn viele seiner lebhaften Schilderungen suggerieren eine Nähe, die er nicht hat. So fuhr er weder mit Kramp-Karrenbauer zur Aral-Tankstelle, noch saß er zum Spritz-Aperol mit Merkel an einer Hotel-Bar.
Dass er nicht mit der Kanzlerin gebadet hat, gibt er immerhin zu, zitiert aber ausführlich eine Morgenpost-Kollegin, die sich nicht gescheut hat, Merkels winzige Privatsphäre zu zerstören. Alexander übernimmt die Szene und berichtet, "dann schwimmt sie in die Abendsonne. Es ist einer der seltenen Momente, in denen Angela Merkel entspannen kann. Vielleicht der einzige in diesem Corona-Sommer 2020."
Spätestens an dieser Stelle wirkt das Faktenwissen, das Alexander durch Aufzählung von Lieblingslokalen oder Bürodetails vorgibt, wie die zufällige Detailsammlung für ein verzerrtes Narrativ. Merkel ist darin eine Frau in panischer Angst, die im Kabinettssaal siebenmal pro Stunde die Luft austauschen lässt. Kanzleramtsminister Helge Braun nennt er "besessen" von Corona.
Das alles verschlammt und verschlechtert interessante, ja packende Passagen aus dem Inneren der Union. Alexander bekommt Einblick, nicht zuletzt durch Politiker, die aus vertraulichen Sitzungen durch Live-Tweets oder sogar telefonische Standleitungen an Journalisten berichten.
"Kameradenschweine" nennt der Fraktionsvorsitzende der Union, Ralf Brinkhaus, solche Abgeordnete während einer Sitzung. Und auch das landet sofort bei Twitter. Das Porträt der Union, das der Reporter auf diese Weise zeichnet, ist trostlos. Sein Buch liest sich wie ein Krimi aus verdorbenem Milieu. Das ist spannend und unterhaltsam. Man sollte es aber nicht unbedingt mit der Wirklichkeit verwechseln.