Robin Hood der Banken
Willie Sutton war ein berühmt-berüchtigter britischer Bankräuber, der in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts über hundert Banken überfallen hat, ohne einen Schuss abzugeben. Der Schriftsteller J.R. Moehringer hat ihm nun eine Romanbiografie gewidmet.
Auf die Frage, warum er so viele Banken überfallen habe, soll der Bankräuber Willie Sutton gesagt haben: "Weil dort das Geld lag." Nicht nur für diese Antwort wurde er berühmt, sondern auch für seinen Trickreichtum, seine Intelligenz und das schauspielerische Talent in immer neuen Verkleidungen. Das brachte ihm den Spitznamen "Willie the Actor" ein. Von den frühen 20ern bis in die 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts dauerte seine aktive Karriere. Bei all seinen vielen hundert Überfällen gab er keinen einzigen Schuss ab. Auch das gehört zur Legende dieses amerikanischen Robin Hood der Banken. Im Gefängnis las er exzessiv Romane, von Proust bis zu Dos Passos, schließlich hatte er viel Zeit hinter Gittern. Auch wenn es ihm drei Mal gelang, aus einem Hochsicherheitsgefängnis auszubrechen und so auch noch zum Ausbrecherkönig zu werden, wurde er doch immer wieder geschnappt und verbrachte den Großteil seines eher trostlosen Lebens in erbärmlichen Verhältnissen.
Der Schriftsteller J.R. Moehringer hat diesem Mann nun eine Romanbiografie gewidmet. In den Zeiten der Bankenkrise, als Brechts Diktum - Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? - wieder einmal seine Wahrhaftigkeit bewies, taugte Sutton erneut zum Helden. Die Eckdaten seiner Biografie sind bekannt, auch deshalb, weil Sutton selbst zwei Erinnerungsbücher schrieb. Allerdings widersprechen sich diese auf geradezu systematische Weise, als habe er auch damit mehr verbergen als enthüllen wollen. Für einen Romancier ist das nicht von Nachteil. Er kann aus dem Vollen schöpfen, sich eine eigene Version zurechtlegen und ein Leben schildern, wie es gewesen sein könnte. Verbürgt ist jedoch das Setting des Romans: Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 1969 verbrachte Sutton einen Tag mit Journalisten für eine Exklusivstory, fuhr mit ihnen durch New York an die Schauplätze seiner Geschichte und erzählte aus seinem Leben. Daraus hat Moehringer die etwas schematische Rahmenhandlung gebaut; weil Sutton sich ihre Namen nicht merken kann, wird er an diesem Tag von "Schreiber" und "Knipser" begleitet.
Zwei große Leitmotive sind es, die seinen Willie Sutton prägen: Die in der Kindheit in Brooklyns Irish Town eingeprügelte Moral, niemals irgendjemanden zu verraten, weil es nichts verächtlicheres gibt als den Verräter. Und: die wohl vor allem in der eigenen Imagination angesiedelte Lebensliebe zu Bess, der Tochter aus gutem Hause, die aber einen anderen heiratete. Suttons Leben ist geprägt von Gewalt und Einsamkeit. Die prügelnden Brüder in der Kindheit, die ihn fast umbringen in ihrem Hass, sind die Schule, die ihn später die Foltern und Prügeltorturen der Polizei ertragen lassen, ohne dass ihm ein Geständnis zu entlocken wäre. Armut, Depression und Weltwirtschaftskrise sind weitere, äußere Motive, die dazugehören zur Geschichte: Wie einer zum Verbrecher wird.
Hatte er eine Wahl? Was bestimmt das Schicksal? Was ist überhaupt wirklich? Und wie entstehen Legenden? Das sind Fragen, die Moehringer mehr andeutet, als sie wirklich zu behandeln. "Knapp am Herzen vorbei" ist ein schlichter, gut lesbarer Räuberroman, der den Romantizismen des Gewerbes allerdings nicht ganz ausweichen kann. Ob der 1980 gestorbene Willie Sutton ein Mann gewesen ist, den man mögen konnte, das bleibt offen. Mitleid aber mit diesem Geschundenen und Ungeliebten erzeugt Moehringer reichlich. Der deutsche Titel unterstreicht die schmalzige Komponente noch. Im amerikanischen Original hieß der Roman treffender und ganz schlicht: "Sutton".
Besprochen von Jörg Magenau
Der Schriftsteller J.R. Moehringer hat diesem Mann nun eine Romanbiografie gewidmet. In den Zeiten der Bankenkrise, als Brechts Diktum - Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? - wieder einmal seine Wahrhaftigkeit bewies, taugte Sutton erneut zum Helden. Die Eckdaten seiner Biografie sind bekannt, auch deshalb, weil Sutton selbst zwei Erinnerungsbücher schrieb. Allerdings widersprechen sich diese auf geradezu systematische Weise, als habe er auch damit mehr verbergen als enthüllen wollen. Für einen Romancier ist das nicht von Nachteil. Er kann aus dem Vollen schöpfen, sich eine eigene Version zurechtlegen und ein Leben schildern, wie es gewesen sein könnte. Verbürgt ist jedoch das Setting des Romans: Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 1969 verbrachte Sutton einen Tag mit Journalisten für eine Exklusivstory, fuhr mit ihnen durch New York an die Schauplätze seiner Geschichte und erzählte aus seinem Leben. Daraus hat Moehringer die etwas schematische Rahmenhandlung gebaut; weil Sutton sich ihre Namen nicht merken kann, wird er an diesem Tag von "Schreiber" und "Knipser" begleitet.
Zwei große Leitmotive sind es, die seinen Willie Sutton prägen: Die in der Kindheit in Brooklyns Irish Town eingeprügelte Moral, niemals irgendjemanden zu verraten, weil es nichts verächtlicheres gibt als den Verräter. Und: die wohl vor allem in der eigenen Imagination angesiedelte Lebensliebe zu Bess, der Tochter aus gutem Hause, die aber einen anderen heiratete. Suttons Leben ist geprägt von Gewalt und Einsamkeit. Die prügelnden Brüder in der Kindheit, die ihn fast umbringen in ihrem Hass, sind die Schule, die ihn später die Foltern und Prügeltorturen der Polizei ertragen lassen, ohne dass ihm ein Geständnis zu entlocken wäre. Armut, Depression und Weltwirtschaftskrise sind weitere, äußere Motive, die dazugehören zur Geschichte: Wie einer zum Verbrecher wird.
Hatte er eine Wahl? Was bestimmt das Schicksal? Was ist überhaupt wirklich? Und wie entstehen Legenden? Das sind Fragen, die Moehringer mehr andeutet, als sie wirklich zu behandeln. "Knapp am Herzen vorbei" ist ein schlichter, gut lesbarer Räuberroman, der den Romantizismen des Gewerbes allerdings nicht ganz ausweichen kann. Ob der 1980 gestorbene Willie Sutton ein Mann gewesen ist, den man mögen konnte, das bleibt offen. Mitleid aber mit diesem Geschundenen und Ungeliebten erzeugt Moehringer reichlich. Der deutsche Titel unterstreicht die schmalzige Komponente noch. Im amerikanischen Original hieß der Roman treffender und ganz schlicht: "Sutton".
Besprochen von Jörg Magenau
J.R. Moehringer: Knapp am Herz vorbei
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit
S. Fischer, Frankfurt/Main 2013
444 Seiten, 19,99 Euro
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit
S. Fischer, Frankfurt/Main 2013
444 Seiten, 19,99 Euro