Einkaufen gegen den Kapitalismus
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Kleiner Bioladen, große Ziele: Der Berliner Robin-Hood-Store will den Kapitalismus überwinden, indem Gewinne an Hilfsorganisationen gespendet werden und niemand mehr vom Ressourcenkuchen abbekommt, als ihm global zusteht. Kann das funktionieren?
Einkaufen gegen den Kapitalismus. So in etwa lautet das Versprechen des kleinen Ladens in Neukölln: "Das sind 65 Quadratmeter. Also ein ziemlich kleiner Laden", sagt Mattis Steib, einer der Gründer des Robin-Hood-Stores. "Wir sind auch jetzt schon an Stoßzeiten ziemlich an der Kapazitätsgrenze, weil viele Leute das cool finden."
Dann kann es schon eine Schlange vor dem Laden geben. Frisches Gemüse und Obst, Brot, allerlei Biolebensmittel, aber auch Klopapier und Menstruationsprodukte warten in Holzregalen und hinter der selbst gezimmerten Theke auf die Kunden. Ein bisschen Dorfladen-Atmosphäre in Berlins größtem Bezirk.
"Wir versuchen zunehmend, dafür zu sorgen, dass Lieferketten halt direkter werden. Dass coole Produkte da sind, die am besten auch solidarisch wirtschaften und wirklich auf einer ähnlichen Wellenlänge wie wir arbeiten. Das ist aber viel Arbeit und dauert ein bisschen. Alle Produkte, die du in diesen Kästen an der Wand siehst, werden diesem Anspruch besser gerecht."
Das Prinzip ist einfach: Die Gewinne werden gespendet. Einkaufen kann jeder, Mitglieder kaufen aber günstiger ein. Jedes Produkt trägt deshalb zwei Preise, einen höheren für Kundinnen und Kunden ohne Mitgliedschaft, einen niedrigeren für die mit Mitgliedschaft. Die Preise sind so kalkuliert, sagt Mattis Steib, dass man mit den großen Bioketten mithalten könne, häufig auch günstiger sei.
Heute steht Anna an der Kasse: "Ich habe vor ein paar Monaten gesehen, dass 'Robin Hood' hier im Kiez ist", sagt sie. "Ist auch ein schöner Punkt, um Leute kennenzulernen. Und es gefällt mir, dass ich ein bisschen arbeiten kann und dann ein paar Prozent Rabatt habe."
Denn Mitgliedschaft heißt: Entweder arbeitet man ehrenamtlich drei Stunden im Monat mit, oder man spendet ein Prozent seines Einkommens.
Der Neuköllner Laden soll nur der Anfang sein
Die Kasse ist hier meist noch etwas gemächlicher und langsamer, als das in Bio-Supermärkten ohnehin Konzept zu sein scheint: "Man hat relativ oft die Situation, dass die Leute neu sind und das Kassensystem gerade lernen. Und sehr oft die Situation, dass die Menschen, die dann einkaufen, auch Mitglieder sind und man sich gegenseitig an der Kasse so ein bisschen hilft, wie das Bezahlen funktioniert. Es ist schon ein anderes Gefühl beim Einkaufen. Das merkt man schon, dass die Leute, die hier arbeiten, alle auch Mitglieder sind."
Die Gemächlichkeit im Laden ist für Mattis und sein Team allerdings für ihr Konzept der falsche Maßstab: "Der Idealzustand wäre, dass wir so schnell, wie es geht, wachsen. Und das heißt, dass exponentiell immer schneller Menschen dazu kommen und das Ganze weltweit verbreiten. Das ist natürlich ziemlich optimistisch. Aber durchaus möglich."
Robin Hood, der Namenspatron, schlug den Großen, Großkotzigen und Mächtigen manches Schnippchen. Das eine oder andere Schnippchen wäre den Gründern hier aber nicht genug. Exponentiell wachsen, das sagt Mattis immer wieder, wollen sie. Der erste Laden in Berlin-Neukölln läuft, das nächste Ladenlokal wird gerade in Berlin-Kreuzberg hergerichtet. Ein Onlineladen soll noch im Sommer an den Start gehen.
Kritik an Wachstum, wie man es sonst häufig bei alternativen Projekten findet, gibt es hier nicht. Hier ist Wachstum Wunsch. Im Robin-Hood-Laden denkt man groß. Im wirtschaftlichen Untergehölz verstecken wie Robin Hood? Nein:
"Grundlegend sind wir bei 'Robin Hood' nicht auf die Lebensmittelbranche festgelegt, sondern unsere Idee ist, ein allgemein gültiges Betriebssystem zu schreiben, was dann auf verschiedene Unternehmensformen angewendet werden kann, auf verschiedene Unternehmensformen. Also zum Beispiel auf einen Bioladen, aber auch auf andere Bereiche wie Gesundheitsversorgung oder allgemeinen systemrelevante Bereich oder sozial-ökologisch sinnvolle Bereiche.".
Felina Polenz gehört wie Mattis zum etwa 15-köpfigen Kernteam des Projekts: "Letztendlich wollen wir nicht nur die Lebensmittelbranche umkrempeln, sondern wir wollen die Wirtschaft grundlegend umkrempeln und den Kapitalismus durch ein sozial-ökologisches System ersetzen", erklärt sie.
Das meiste an Gewinn wurde reinvestiert
Hier also, in dieser Neuköllner Seitenstraße, wird im kleinen Laden groß gedacht. "Bioladen 2.0" prangert auf dem Schild über der Eingangstür. Und das klingt vielleicht nicht nur zufällig nach der Mentalität von Start-ups:
"Wir machen schon ziemlich Learning by Doing. Wir verstehen uns einfach als Menschen, die was aufbauen. Und man kann sich heutzutage Know-how so einfach holen. Wir lassen uns anständig beraten von Leuten, die die Informationen haben, die wir brauchen. Und wir sind nicht auf den Kopf gefallen. Wir können einfach Dinge umsetzen, darin sind wir ziemlich gut. Aber wir haben jetzt keine langjährigen Erfahrungen bei Lidl oder Denns gemacht."
600 Mitglieder hatte das Projekt im März, der Umsatz im Dezember, einen Monat nach Start, betrug schon 30.000 Euro, 5.000 Euro Gewinn. Davon wurden aber nur 260 Euro an Hilfsorganisationen gespendet. Wie passt das zum Anspruch, 100 Prozent der Gewinne zu spenden? Der restliche Gewinn wurde sofort reinvestiert. Um weiter zu wachsen. Um die eigene Idee voranzubringen, Wirtschaften ohne Kapitalgewinne für einzelne.
Gehaltsobergrenze 1.500 Euro netto
Trotzdem: Viel Engagement, viel guter Wille gehen sehr oft auch mit Selbstausbeutung einher, gerade in alternativen Projekten. Funktioniert dieses "neue Betriebssystem" auch, wenn die Engagierten davon leben müssen? Zu einem ordentlichen Stundenlohn? Immerhin, wer mehr mitarbeitet im Projekt "Robin Hood", bekommt einen Lohn.
"Wir machen das bedarfsorientiert. Das heißt, man sagt einfach, wie viel man braucht. Und dann gucken wir, ob das möglich ist. Und meistens war es bis jetzt möglich, weil wir alle einfach nicht so den höchsten Lebensstandard gewohnt sind."
Außerdem gibt es eine Gehaltsobergrenze, 1.500 Euro netto. Die aber noch niemand ausbezahlt bekommen hat.
"Diese 1.500 netto sind so zustande gekommen, dass wir gesagt haben, wir gucken uns an, was global an Ressourcen zur Verfügung steht und teilen das durch die Anzahl der Menschen global. Und dann kommt man halt nach verschiedenen Rechnungen auf ungefähr 1.500 netto. Das ist dann sozusagen das Kuchenstück, was jeder Person auf der Welt zusteht. Und wir sind der Meinung, dass wir da nicht drüber gehen sollten. Auch wenn natürlich in reichen Ländern wie Deutschland das Medianeinkommen dann doch höher ist und das für viele Menschen wahrscheinlich auch eine Umstellung bedeutet. Aber genau das ist uns auf jeden Fall wichtig."
Einkaufen als politisches Engagement
Nach dem Interview, als das Mikrofon schon aus ist, hakt Felina nach. Ist klargeworden, dass wir den Kapitalismus überwinden wollen? Eine gute Frage, um sie an eine Kundin des Robin-Hood-Stores weiterzugeben. Heike Harass ist 60, wohnt ums Eck, kauft hier regelmäßig ein und sagt dazu:
"Ja, natürlich. Das ist auch mein Beweggrund, mich hier einzubringen. Auch wenn es ‚nur‘ finanziell ist. Deswegen bin ich hier Mitglied."