Robin Lane Fox: „Die Entdeckung der Medizin“

Krankheit ohne Götter

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Römischer Chirurg bei der Arbeit: Relief aus Herculaneum.
Römischer Chirurg bei der Arbeit: Relief aus Herculaneum. © IMAGO / Leemage
Von Susanne Billig |
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Schon Homer beschrieb, welche Organe zu sehen waren, wenn ein Körper im Kampf verletzt wurde. Doch in den meisten Krankheiten sah er das Wirken der Götter. Wie dann ein neues medizinisches Denken aufkam, beschreibt der Althistoriker Robin Lane Fox.
Der Speer zittert im Körper des durchbohrten Kriegers, weil das Herz noch schlägt. Blutnebel steigt aus Nase und Mund eines schwer verwundeten Mannes. Und weil es möglich ist, einen Speer so durch den Hals des Gegners zu bohren, dass die Luftröhre unverletzt bleibt, kann der Gestürzte vor seinem Tod noch um Gnade winseln.
Drastisch beginnt das neue Buch von Robin Lane Fox, "Die Entdeckung der Medizin", wenn der Autor in altgriechischen Epen nach Zeugnissen medizinischen Wissens fahndet. Allein die Ilias beschreibt 300 unterschiedlichen Kampfwunden!

Der geduldig beobachtende Arzt

Doch während Homer – oder wer immer sich dahinter verbirgt – Krankheiten jenseits des Schlachtfeldes häufig dem Wirken der Götter zuordnet, tauchen einige Hundert Jahre später die hippokratischen Schriften auf.
Das Buchcover "Die Entdeckung der Medizin" von Robin Lane Fox ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Mit "Die Entdeckung der Medizin" ist Robin Lane Fox dem Ursprung naturwissenschaftlichen Denkens in der Heilkunst auf der Spur.© Deutschlandradio / Klett-Cotta Verlag
In ihnen artikuliert sich ein neues Krankheitsverständnis, erklärt Robin Lane Fox. Insbesondere die sieben Bücher der "Epidemien" mit ihren zahlreichen individuellen Fallgeschichten nimmt er im Verlauf des Buches in den Blick.
Ein unbekannter Arzt, vielleicht der berühmte Hippokrates, nennt seine Patienten darin mit Namen, erwähnt ihren Wohnort, oft sogar Haus und genaue Ortslage.

Verzicht auf religiöse Deutungen

"Es handelt sich um die weltweit ersten überlieferten Beobachtungen und Beschreibungen von Individuen, die wirklich gelebt haben", unterstreicht Robin Lane Fox. Mit ihren präzisen, auf religiöse Deutungen verzichtenden Beobachtungen sind die "Epidemien" für ihn die ersten historischen Texte, die von der Erfindung der medizinischen Wissenschaft zeugen.
Robin Lane Fox ist ein gefeierter Althistoriker, dessen Buch die Grenze zur Fachpublikation oft überschreitet. Was der Autor hier auf stolzen 448 Seiten präsentiert, räsoniert in einer Detailfreude über die korrekte Datierung antiker Textfragmente, wie sie sich wohl nur eingefleischten Fans der Materie erschließt.
Auch wenn er aus den vorgeschlagenen Umdatierungen grundsätzliche Überlegungen über den exakten zeitlichen Ursprung des uns heute so vertrauten naturwissenschaftlichen Denkens in der Heilkunst ableitet und damit durchaus ein Thema von übergeordneter kulturhistorischer Bedeutung berührt, liegt sein Fokus in langen Passagen doch auf althistorischen Detailfragen, die mit der Medizin gar nicht so viel zu tun haben.

Sex als antikes Heilmittel

Auf der anderen Seite legt der Autor sein Buch so umfangreich an, dass auch Nicht-Fachleute immer wieder spannenden Lesestoff finden, vor allem in den zitierten Fallgeschichten.
Da ist von Menschen zu lesen, denen das Blut aus nur einem Nasenloch rinnt, die sich geistig verwirrt die Haare raufen, rülpsen und schwitzen – während der Arzt geduldig an ihrem Bett wacht, mitfühlend beobachtet und so behutsam wie möglich therapiert.
Und da Robin Lane Fox einen leisen Hang zum intimen Detail hat, geht es immer wieder auch um die Körper junger Männer und junger Mädchen oder um möglichst wilden Sex mit Prostituierten als antikes Heilmittel gegen ansteckende Krankheiten – ein Buch so üppig sprießend wie die Gärten, mit denen sich Robin Lane Fox in anderen Publikationen so gerne befasst.

Robin Lane Fox: "Die Entdeckung der Medizin. Eine Kulturgeschichte von Homer bis Hippokrates"
Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Held
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021
448 Seiten, 35 Euro

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