Rock gegen Lukaschenko

Moderation: Susanne Führer |
"Die Leute lassen sich nicht mehr einschüchtern", sagt Ljawon Wolski von der Band NRM, die einst mit einem Auftrittsverbot belegt wurde. In der derzeitigen Konfrontation mit der Regierung Lukaschenko sei es einfacher, sich künstlerisch zu artikulieren.
Susanne Führer: Im Dezember wurde Alexander Lukaschenko zum vierten Mal zum Präsidenten Weißrusslands gewählt – falls man von Wahlen sprechen kann. Von den neun Gegenkandidaten Lukaschenkos wurden nämlich sieben am Wahltag verhaftet. Dazu Hunderte Regimegegner. Die Leiterin des Goethe-Instituts in Minsk sprach in unserem Programm von einer unglaublichen, brutalen Terrorwelle, die wie in den 30er-Jahren anmutet. Der Musiker Ljawon Wolski begleitet den Widerstand gegen das Regime schon seit vielen Jahren mit seiner Musik, viele Weißrussen kennen seine Lieder, und ich freue mich sehr, dass er jetzt zu Gast ist im "Radiofeuilleton". Guten Tag, Herr Wolski!

Ljawon Wolski: Dobrij dien!

Führer: Sie kommen gerade aus Minsk – wie ist die Atmosphäre in Ihrem Land, wie beherrschend ist die Angst zurzeit?

Wolski: Meiner Meinung nach beherrscht die Leute eher eine Art eiskalter Ärger und auch eine Kampfbereitschaft – und all das trotz eines wirklich ungeheuer starken Drucks. Aber ich sag das, ich geh von mir aus, ich merke das auch an meinen Freunden – die Leute haben einfach aufgehört, Angst zu haben, sie fürchten sich nicht.

Führer: Denn hierzulande hatte man gehört, dass jetzt seit den letzten Wahlen eben im Dezember die Repression härter sei denn je.

Wolski: Das stimmt so, das ist so, aber ich glaube, jetzt nach einer gewissen Zeit haben die Leute diesen ersten Schock überwunden, den es eindeutig gab, und die Atmosphäre hat sich für sie einfach geklärt. Sie sehen jetzt besser durch und es überwiegt jetzt das Gefühl, es ist jetzt schon so weit gekommen, es muss sich einfach etwas ändern – zumal wir doch etwa zwei Jahre hatten einer gewissen, in Anführungszeichen sage ich mal, "Liberalisierung", einer gewissen freieren Atmosphäre. Die Leute haben gemerkt, was die Freiheit bedeutet. Es hat sich ein anderes Selbstgefühl entwickelt, und ich bin der Meinung, dass das jetzt viel schwieriger sein wird, die Leute wieder zurückzuwerfen dort, wo sie vor ein paar Jahren waren, weil sie haben ein ganz anderes Selbstbewusstsein.

Führer: Das finde ich sehr interessant. Ich hatte nämlich gelesen, dass jetzt ja die Prozesse gegen die vielen festgenommenen Regimegegner jederzeit beginnen könnten, die also man im Dezember festgenommen hat, und man eigentlich die Angst haben musste, dass Lukaschenko es wirklich geschafft hat, zumindest die organisierte politische Opposition zu zerreiben, weil die eben entweder im Gefängnis sind oder geflohen.

Wolski: Ich glaube, das, was Sie schildern und was an Erwartungen vielleicht jetzt in der Luft ist, wird praktisch nicht zu verwirklichen sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so weit noch kommt, weil einfach inzwischen die Stimmung der Menschen gekippt ist. Und ich meine jetzt hier nicht nur die Oppositionellen, nur die Leute, die Vertreter dieser Oppositionsbewegung sind, sondern ich meine das, was man gemeinhin als die graue Masse oder den Durchschnittsbürger, den kleinen Mann auf der Straße nennt oder wie auch immer. Ich war selber Beobachter in zwei Wahlsektionen und habe gesehen, in welcher Stimmung die Leute kamen. Selbst Leute, die gemeinhin als Unterstützer, als schweigende Unterstützer Lukaschenkos galten, selbst die sind nicht mit vor Freude erleuchteten Gesichtern zur Wahl gegangen als Unterstützer des sogenannten Sonnenführers, wie er bei uns heißt, nein, auch diese Leute sind ihn einfach leid, und die möchten auch nicht mehr so weiter ... oder viele von ihnen nicht mehr so weiterleben wie bisher. Als Künstler vertraue ich auf meine künstlerische Intuition, ich verlasse mich auf diese Eindrücke, die ich gewonnen habe, und ich meine, die Leute lassen sich nicht mehr einschüchtern.

Führer: Jetzt sollten wir auch unbedingt etwas von Ihrer Kunst hören, Herr Wolski. Sie sind Sänger und Gitarrist und haben Ihre Gitarre mitgebracht. Bitte schön, was wollen Sie uns spielen?

Wolski: Ich möchte jetzt hier ein Lied singen, das ist geschrieben worden nach den Gedichten eines weißrussischen sowjetischen – möchte ich unterstreichen – Dichters, Anschenko, das ist '78 geschrieben worden. Es kommt aus seinem Gedichtband "Der weiße Apfel des Donners", und es ist schon interessant, wie diese damals mehr oder weniger linientreuen Verse heute in einer ganz anderen Umgebung in einem ganz anderen Kontext zu hören sind.

(Musikeinspielung)

Führer: Der weißrussische Sänger und Gitarrist Ljawon Wolski ist zu Gast im "Radiofeuilleton", danke schön, Herr Wolski. Können Sie uns auch ein bisschen erzählen, worum es geht in diesem Lied, was der Text ist? Sie haben vorhin gesagt, dass der heute ungeahnte Aktualität, Bedeutung gewonnen hat?

Wolski: Ja, wissen Sie, das ist Dichtung. Ich tu mich schwer, wenn ich jetzt Dichtung nacherzählen muss, aber ich versuche es trotzdem mit ein paar Worten zu sagen, worum es hier geht. Also es ist vor allen Dingen natürlich ein kämpferisches Lied, wie Sie vielleicht schon gemerkt haben. Es geht darum, dass man selber wie ein Soldat im Kampf, in der Schlacht für die Freiheit, für die Wahrheit, für bestimmte Ideale eintreten soll, sich einsetzen soll. Aber dann kommt natürlich die Gegenstimme, die Überlegung, dass dein Feind auf der anderen Seite der Barrikade wahrscheinlich deinen Schwur von sich aus wiederholt, dass er auch selber sich für seine Prinzipien einsetzen wird, er geht auch bis zum Letzten. Also damit wird jetzt hier wirklich eine sehr konfrontative, eine sehr angespannte Situation dargestellt, wo von beiden Seiten eine große Spannung existiert.

Führer: Das ist ein Lied von 1978, haben Sie gesagt, Sie machen ja auch ganz aktuelle Musik, neue Musik, Sie spielen in verschiedenen Bands, auch als Solist – wie sind denn die Bedingungen für Sie? Können Sie frei arbeiten in Weißrussland?

Wolski: Also ich betrachte mich – mit Verlaub – als Vertreter der weißrussischen Kultur und spreche auch als Kulturschaffender und möchte sagen, dass unsere normalen fortschrittlichen Künstler als Szene komplett abseits des Staates existieren. Sie bekommen überhaupt keine Unterstützung vom Staat, sie bekommen keine Förderung, es ist eine völlig autonom existierende Kulturszene, wofür wir eigentlich dankbar sein könnten. Sie sollen uns nicht stören. Sie brauchen uns nicht zu unterstützen, aber wenigstens sollen sie uns nicht behindern und nicht stören. Es ist nun mal so, dass inzwischen in Rundfunkstationen, in Fernsehstationen wieder schwarze Listen aufgetaucht sind. Es gibt wieder Listen von Künstlern, die dort nicht auftreten sollen beziehungsweise wo es nicht empfohlen wird, dass man sie über die Medien hört und sieht im Lande. Vor drei Jahren war es eigentlich schlimmer, dann konnte sich irgendein entscheidender Faktor beim Rundfunk oder beim Fernsehen melden beziehungsweise bei den Konzertveranstaltern und hat sofort das Konzert abgesagt. Heute gibt es unter anderem auch das Internet, dafür bin ich sehr dankbar. Man kann über Internet auch seine Fangemeinde erreichen. Also ich kann mich nicht beklagen über Mangel an Popularität und an Kontaktmöglichkeiten zu meinen Hörern und zu meinen Fans. Aber gleichzeitig möchte ich jetzt den Eindruck hier zerstreuen, dass wir jetzt griesgrämig und unglücklich bei uns jeder in seiner privaten Küche sitzt, und da nur mit ein paar Kumpels über seine Lage grübelt. Nein, das ist nicht so eigentlich. Wir führen schon ein aktives künstlerisches Leben, man kann durchaus jetzt zu einem Konzert mal Tausend Leute versammeln und das Konzert dann auch komplett durchführen und erfolgreich durchführen. Wenn das Konzert vielleicht verboten werden soll, da findet man einen anderen Weg, um das noch mal zu veranstalten. Ich würde sogar sagen, dass die jetzige Situation – besonders nach den Wahlen und nach diesem Zusammenbruch praktisch nach den Wahlen – diese schwarz-weiße, sehr konfrontative Situation sogar was Positives hat, denn im Unterschied zu der Zeit der gewissen Tauwetterzeit, wie wir sie nennen, in den letzten paar Jahren, jetzt ist es eigentlich alles klar. Damals musste man bestimmte Kompromisse machen, dann hat man sich auch zu bestimmten Sachen auch überwunden, um in einer Rundfunkstation aufzutreten. Jetzt weiß man eigentlich ganz klar, schwarz und weiß, und jetzt weiß man, auf welcher Seite man steht, und es ist auch ein bisschen einfacher vielleicht, sich künstlerisch zu artikulieren.

Führer: Vor drei Jahren war es schlimmer, haben Sie gesagt, da hatte Ihre Band NRM auch noch ein Auftrittsverbot, und von der hören wir jetzt mal einen Titel, und er heißt – ich hoffe, ich sage es richtig: Gosti!

(Musikeinspielung)

Führer: Und das war der Titel "Gosti" der weißrussischen Gruppe NRM, deren Sänger und Gitarrist Ljawon Wolski ist zu Gast im "Radiofeuilleton". Herr Wolski, Sie singen auf Weißrussisch, das ist neben Russisch eine der beiden Amtssprachen in Weißrussland – warum? Ist das auch schon eine politische Aussage oder welche Gründe hat das?

Wolski: Ich würde das jetzt nicht unbedingt als eine politische Tat oder eine politische Erklärung betrachten, nein, das ist was ganz Natürliches. Das ist unsere Sprache, die weißrussische Sprache. Ich würde sagen, dass alle normalen, fortschrittlichen Vertreter der Intellektuellen, der Intelligenzia, wie es bei uns heißt, reden auf Weißrussisch. Unsere Künstler schaffen ihre Werke auf Weißrussisch, unser großer genialer Schriftsteller Vasil Bykau, der auch in Deutschland bekannt ist, hat auf Weißrussisch geschrieben, unsere besten Dichter und Schriftsteller schreiben auf Weißrussisch, und auch beim Rock, bei der modernen Popmusik, ist die weißrussische Sprache sehr populär unter unseren Zuhörern, ganz besonders unter den Studenten. Ich will nicht verheimlichen, dass eigentlich unsere wichtigsten Fans, unsere wichtigsten Anhänger auf unseren Konzerten vor allen Dingen Studenten und junge Akademiker sind. Und Weißrussisch kommt in diesen Kreisen sehr gut an.

Führer: Sie haben vorhin das Internet erwähnt, was ja jetzt auch in der arabischen Welt – dazu kommen wir auch noch – vielleicht eine große Rolle spielt. Wie hat das für Sie Ihr Arbeiten verändert in Weißrussland? Die Möglichkeiten vielleicht erweitert?

Wolski: Es war so, dass früher eigentlich wir alle Musiker komplett vom Fernsehen abhängig waren, davon, dass unsere Videoclips im staatlichen Fernsehen abgespielt worden sind, und das gab eine gewisse Popularität. Ich will jetzt nicht sagen, dass sie im Showbusiness ist, davon ist eigentlich in Weißrussland gar nicht die Rede, kann nicht die Rede sein, das ist eine lange Geschichte. Es ist ein staatliches Showbusiness eigentlich, und man möchte einfach nicht ein Teil dessen sein, man möchte sich nicht gemein machen mit dieser Art von oben verordneter Fernsehpropaganda. Irgendwie war man aber früher gebunden – entweder machte man mit oder man war draußen vor. Jetzt, durch die Möglichkeiten des Internets, reicht es, wenn man seinen Videoclip, den man selber aufgenommen hat, ins Internet setzt, und dann hat man im Nu Tausende von Klicks, Tausende von Besuchern. Das bringt zwar kein Geld, aber es ist für uns eine Form der Popularität. Es ist überhaupt ... die ganze Szene ist übrigens ganz anders als das, was Sie hier kennen. Zum Beispiel, ich brauche nur eine Platte neu herauszubringen, ehe sie in den Geschäften ist, existiert sie schon in zahllosen Raubkopien im Internet, und jeder – aus reiner Freude und aus reiner Anhänglichkeit – kopiert sie sich und verbreitet sie weiter. Was soll man machen? Für uns ist das eben ein Popularitätsgewinn.

Führer: Zurzeit blickt ja die ganze Welt gebannt nach Ägypten und Tunesien und eben auch auf viele andere arabische Staaten noch – wie ist das eigentlich, werden jetzt in Weißrussland gerade von Oppositionen vielleicht die Aufstände in der arabischen Welt auch besonders aufmerksam verfolgt?

Wolski: Ich betrachte mich natürlich nicht als Vertreter der Opposition im politischen Sinne, ich gehöre auch keiner politischen Partei an. Als Künstler treten wir bei verschiedenen Veranstaltungen auf, wir nehmen natürlich auch teil an verschiedenen oppositionellen Konzerten. Übrigens, im Zusammenhang mit meinem Auftritt damals, mit unserem Auftritt: An so einem Konzert haben wir auch dieses dreijährige Verbot erhalten. Aber natürlich, als Bürger kann ich sagen, dass wir alle verfolgen, das, was in den arabischen Ländern passiert – diejenigen, die an den Protesten im Winter teilgenommen haben bei uns, natürlich mit einer gewissen Sympathie, wobei man überhaupt nicht sagen kann, wie das Ganze endet.

Führer: Was ich nicht verstanden habe, ist, warum sagen Sie, Sie gehören nicht zur Opposition? Sie sind doch Lukaschenko-kritisch?

Wolski: Natürlich bin ich kritisch, ich würde sogar sagen, erzkritisch, also auf jeden Fall gegen ihn eingestellt, aber ich wollte damit nur sagen, ich gehöre nicht zum System der Opposition, nicht im systemischen Sinne zur Opposition, sondern eine Art künstlerische Opposition. Das ist übrigens auch ein Problem für unsere oppositionell eingestellte künstlerische Szene. Dadurch, dass wir komplett vom Staat losgelöst sind und auch vom Staat praktisch zurückgewiesen worden sind, getrennt sind, haben wir auch nie bis jetzt irgendwelche Fördermittel oder irgendwelche Unterstützung – so gut wie keine – auch aus westeuropäischen oder westlichen Quellen erhalten. Das haben verschiedene oppositionelle Strukturen, Parteien, Politiker auf jeden Fall bekommen, aber wir Künstler sind auf diesem Gebiet eigentlich etwas links liegen gelassen worden. Obwohl man natürlich – und das möchte ich unterstreichen – die Kultur, die Musik insbesondere, eine ganz entscheidende Wirkung hat bei der Formung der jungen Generation. Bei denjenigen, die nach uns an die Öffentlichkeit kommen werden und die auch die Geschicke des Landes bestimmen werden.

Führer: Seit dem Wahltag im Dezember sind ja über 100 Regimegegner aus dem Land geflohen, darunter viele Akademiker, wo Sie vorhin gesagt haben, das würde vor allen Dingen Ihr Publikum ausmachen. Haben Sie, Herr Wolski, eigentlich auch jemals daran gedacht, Weißrussland zu verlassen?

Wolski: Es gibt verschiedene Gründe, wenn jemand beschließt, seiner Heimat den Rücken zu kehren. Solange man dort noch was machen kann, solange man noch auftreten kann, solange man auch Wirkungsmöglichkeiten hat, will ich da bleiben, da sehe ich keinen Anlass, mein Land zu verlassen. Es ist natürlich traurig, und es wird noch immer mehr einen Aderfluss geben in Zukunft von vielen wertvollen Landsleuten, die das Land verlassen werden, aber ich versuche das vielleicht mit einem weinenden und mit einem lachenden Auge zu sehen, denn so wird es eben jetzt auch im Westen, im Ausland immer mehr von unseren Fans geben. Ich bin schon zweimal bei Konzerten in den USA aufgetreten, und da habe ich festgestellt, es gibt ein großes Interesse an meiner Musik, und es gibt sehr viele Fans, die uns dort auch gerne hören.

Führer: Der Musiker Ljawon Wolski, vielen Dank für Ihren Besuch! Spasiba!

Wolski: Danke schön!