Pop und Rock
Waren mal die Könige des Subversiven: die Punks von den "Sex Pistols". © picture-alliance / dpa / London Express
Wo sind die subversiven Musiker hin?
08:51 Minuten
Musiker wie Bob Dylan oder die Rolling Stones in ihrer frühen Zeit galten als rebellisch, der Rock'n'Roll vielleicht sogar als aufrührerisch. Klingen Pop und Rock heute nicht oft sehr brav? Wo ist das Subversive in der Musik zu finden?
Die Rolling Stones sind gerade auf Europatournee, auch im Radio kann man sie noch oft hören. Sie gehören zu den Mainstreamklassikern der Pop- und Rockmusik. Zum Beispiel der Song „It’s only Rock ’n’ Roll“ ist fast 50 Jahre alt.
Er erinnert an eine Zeit, in der Teile der Popmusik als rebellisch galten, als subversiv, als gegen das Establishment. Rock ‘n‘ Roll war gefährlich, vielleicht sogar aufrührerisch. Natürlich waren Pop und Rock immer auch Unterhaltung.
Aber nicht nur bei den frühen Stones – auch beim frühen Bob Dylan, Jimi Hendrix oder den Sex Pistols steckte viel von einer Dagegen-Haltung drin. Was ist davon eigentlich übrig geblieben? Wo steckt heute das subversive Element im Pop und Rock?
Ganz weg sei es nicht, sagt Popkritikerin Jenni Zylka. „Es ist jetzt woanders.“ Es stecke in dieser alten Musik immer drin, weil es ein Stück weit „zu unserem kollektiven Wissen um Musik gehört, dass Rock 'n' Roll für Rebellentum und Selbstermächtigung und Distanzierung von konservativen Eltern steht“.
Sehr junge Menschen könnten die sinnliche Erfahrung Älterer in Bezug auf die damalige Musik vielleicht nicht mehr ganz so nachvollziehen. Aber das Publikum dieser alten Heldinnen und Helden sei normalerweise im Alter der Stars. „Man hat als Masse eine ähnliche Sozialisierung und musikalische Schlüsselerfahrungen erlebt.“
Subversives in radikaleren Subgenres
Generell sei es so, dass „fast jedes Genre erst einmal neu und damit auch irgendwie subversiv ist und dann Mainstream wird“. Außerdem seien die Genres heute breiter gefächert und in sich differenzierter, so Zylka. Statt weniger klar unterscheidbarer Stile gebe es viele gemischte Stile, Kopien und Zitate. „Das bedeutet, es ist auch schwerer, etwas Besonderes und somit dann eben auch subversiv oder anders zu sein.“
Ein weiterer Aspekt seien die sehr viel demokratischeren Rezeptions- und Herstellungsmöglichkeiten von Musik. Sobald jeder etwas ganz leicht hören und verbreiten könne, sei es eben auch nicht mehr so leicht, ein Geheimtipp zu sein.
In musikalisch radikaleren Subgenres finde man aber doch noch viel Subversives: im Mix, beispielsweise mit Jazz oder Core, oder bei Elektronischem wie Hyperpop oder Avantgardepop. „Die sind zwar musikalisch eigentlich ziemlich brav oder hören sich brav an. Aber sie geben sich ein sehr freies, kreatives, radikales, vielleicht auch fluides Image.“
Durch das in der aktuellen Popmusik wichtige Thema Genderfragen und -identitäten fühlt sich zumindest die männlich dominante Heterowelt provoziert. Ein Beispiel hierfür ist die non-binäre Künstlerperson Dorian Electra mit ihrem Song „Flamboyant“.
Wer das als nicht subversiv und nicht wie Rock'n'Roll empfinde, dem müsse man sagen, so Zylka: „Rock ‘n‘ Roll klingt ja auch nicht wirklich schräg. Der hat ja vor allen Dingen auch durch das Image der Vortragenden gelebt und war dadurch radikal.“ Denn dessen Musik basiere auf dem ganz einfachen Blues-Schema.
Noch immer ein Ziel: Kollektives Erleben
Ein weiteres Beispiel sei die Musikerin Grimes, „die auch zwei Kinder mit Elon Musk hat, was vielleicht schon verrückt genug ist“. Sie sei ein ganz gutes Beispiel für ein Image der Radikalität. Sie mache Avantgardepop, ihre Musik klinge „einerseits wirklich Outer Space, dann ist es aber auch nicht wirklich sperrig“.
Die großen Funktionen von Pop- und Rockmusik hätten sich aber nur zu einem Teil verändert: „Immer noch geht es dabei darum, ein kollektives Erleben zu haben. Dass man später sagen kann: ‚Das ist die Musik meiner Jugend, weißt du noch, da waren wir jung und sexy?‘ Also positives Erinnern.“
Auch würden immer noch Gefühle damit ausgedrückt oder Gefühle an Musik gebunden. Pop oder Rock oder R'n'B – also Mainstream –, den man zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten auf der Welt hört, schaffe „Emotionsgemeinschaften“. Das könne auch noch eine politische Aussage haben oder einfach ein Tanzerlebnis sein.
Aber im Unterschied zu früher, gehöre nicht mehr unbedingt die Distanzierung von einer Elterngeneration dazu. „Denn von denen muss man sich ja auch nicht unbedingt distanzieren.“