Rockmusik , live und ungeschnitten
Zu den Initiationsriten deutscher Jugendlicher nach dem Zweiten Weltkrieg, Konfirmation und Jugendweihe, gesellte sich ab Sommer 1977 eine weitere Möglichkeit, als Junge über Nacht zum Manne zu reifen (- tatsächlich müssen wir im Wesentlichen von jungen Männern sprechen, Mädchen waren bei den damaligen Ereignissen rar): die Rockpalast-Nacht!
In der Essener Grugahalle spielten in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli Rory Gallagher sowie die Bands Little Feat und Roger McGuinns Thunderbird; das deutsche Fernsehen übertrug das Ganze live, der Stereoton lief zeitgleich im Radio.
Das von WDR-Jugendredakteur Peter Rüchel entwickelte Sendekonzept war so einfach wie revolutionär: Rockmusik unmittelbar, live und ungeschnitten, unterbrochen nur von den Umbaupausen und Interviews mit den Musikern. Die ganze Nacht, so lang es eben dauert.
""Angesichts der Vielzahl von Kanälen, die heute zu Hause auf jeder Fernbedienung gespeichert sind, ist es kaum mehr vorstellbar, dass es eine Zeit gab, in der im deutschen Fernsehen kurz nach Mitternacht nur noch das Testbild zu sehen war, akustisch begleitet von einem 1.000-Hertz-Pegelton","
schreibt Rüchel in seinen Rockpalast-Erinnerungen. Und man möchte hinzufügen: kaum zu glauben, dass Rockmusik damals die Kraft besaß, tatsächlich Millionen junger und sogar sehr junger Menschen vor den Fernseher zu locken. Am Montag erwies sich auf dem Schulhof, wer es am Wochenende geschafft hatte, die Eltern und den Schlaf auszutricksen, wer die Nacht bestanden hatte und nunmehr fast erwachsen geworden war.
Natürlich lockte die Rocknacht auch viele Alte an - so war ja auch das Programm gestaltet. Die späten 70er- und frühen 80er-Jahre waren die große Zeit solcher Rocknächte, als die Veranstaltungen bereits Wochen vor Bekanntgabe des Programms ausverkauft waren und per Eurovision Zuschauer vom Nordkap bis Neapel erreichten. Das Ende kam dann aber relativ rasch: Punk und New Wave hatten die Rockmusik stark verändert, ohne dabei neue Helden hervorzubringen, denen riesige Fanscharen eine Nacht lange huldigen würden. Der Rockpalast vermochte nicht auf den Umsturz zu reagieren, und 1985 gab es mit der 16. Ausgabe einen katastrophalen Flop. Ein Jahr später war dann mit dem Format endgültig Schluss.
Rüchel, heute bereits über 70 Jahre alt, blickt nun also zurück auf die Rocknächte und das, was danach kam. Flankiert werden seine Erinnerungen von eingestreuten Beiträgen einiger, die damals vor der Kamera dabei waren - wie etwa Moderator Albrecht Metzger, verantwortlich für legendäre Ansagen in unsterblich schlechtem Englisch - und von Fans wie dem "Prinzen"-Sänger Tobias Künzel, dessen Nachname im Buch konsequent falsch geschrieben wird: er taucht als Günzel auf (vielleicht haben die Westdeutschen Buchmacher einfach seinen sächsischen Akzent falsch verstanden?!).
Während die reichhaltig vorhandenen Fotos durchaus etwas von der damaligen Atmosphäre vermitteln, krankt der Textteil an der ungebrochenen Fansicht aller Autoren, die ausnahmslos nicht sonderlich gut schreiben können. Rüchel selbst ist immer wieder redundant - ein Lektorat findet offenbar für deutsche Pop-Bücher nicht mehr statt - und vermag es nicht, die ungeheure Brisanz dessen, was damals passierte, in Worte zu fassen. Auch für das Scheitern der Rocknächte Mitte der 80er-Jahre fällt ihm nicht mehr ein, als den Siegeszug des Musikvideos dafür verantwortlich zu machen.
Dennoch: für die, die damals dabei waren, kann dieses Buch durchaus zu einer vergnüglichen Lektüre werden. Spätgeborene hingegen werden sich vielleicht wundern, wie seltsam Rockmusiker früher ausgesehen haben und welch breiten Raum Rock und Pop vor 20, 30 Jahren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eingenommen haben; heute bekommt man live gespielte Rock-Musik nur noch bei Stefan Raab zu sehen.
Besprochen von Andreas Müller
Rockpalast - Peter Rüchels Erinnerungen
Rockbuch-Verlag bei Edel, Hamburg
256 Seiten, 29,95 Euro
Das von WDR-Jugendredakteur Peter Rüchel entwickelte Sendekonzept war so einfach wie revolutionär: Rockmusik unmittelbar, live und ungeschnitten, unterbrochen nur von den Umbaupausen und Interviews mit den Musikern. Die ganze Nacht, so lang es eben dauert.
""Angesichts der Vielzahl von Kanälen, die heute zu Hause auf jeder Fernbedienung gespeichert sind, ist es kaum mehr vorstellbar, dass es eine Zeit gab, in der im deutschen Fernsehen kurz nach Mitternacht nur noch das Testbild zu sehen war, akustisch begleitet von einem 1.000-Hertz-Pegelton","
schreibt Rüchel in seinen Rockpalast-Erinnerungen. Und man möchte hinzufügen: kaum zu glauben, dass Rockmusik damals die Kraft besaß, tatsächlich Millionen junger und sogar sehr junger Menschen vor den Fernseher zu locken. Am Montag erwies sich auf dem Schulhof, wer es am Wochenende geschafft hatte, die Eltern und den Schlaf auszutricksen, wer die Nacht bestanden hatte und nunmehr fast erwachsen geworden war.
Natürlich lockte die Rocknacht auch viele Alte an - so war ja auch das Programm gestaltet. Die späten 70er- und frühen 80er-Jahre waren die große Zeit solcher Rocknächte, als die Veranstaltungen bereits Wochen vor Bekanntgabe des Programms ausverkauft waren und per Eurovision Zuschauer vom Nordkap bis Neapel erreichten. Das Ende kam dann aber relativ rasch: Punk und New Wave hatten die Rockmusik stark verändert, ohne dabei neue Helden hervorzubringen, denen riesige Fanscharen eine Nacht lange huldigen würden. Der Rockpalast vermochte nicht auf den Umsturz zu reagieren, und 1985 gab es mit der 16. Ausgabe einen katastrophalen Flop. Ein Jahr später war dann mit dem Format endgültig Schluss.
Rüchel, heute bereits über 70 Jahre alt, blickt nun also zurück auf die Rocknächte und das, was danach kam. Flankiert werden seine Erinnerungen von eingestreuten Beiträgen einiger, die damals vor der Kamera dabei waren - wie etwa Moderator Albrecht Metzger, verantwortlich für legendäre Ansagen in unsterblich schlechtem Englisch - und von Fans wie dem "Prinzen"-Sänger Tobias Künzel, dessen Nachname im Buch konsequent falsch geschrieben wird: er taucht als Günzel auf (vielleicht haben die Westdeutschen Buchmacher einfach seinen sächsischen Akzent falsch verstanden?!).
Während die reichhaltig vorhandenen Fotos durchaus etwas von der damaligen Atmosphäre vermitteln, krankt der Textteil an der ungebrochenen Fansicht aller Autoren, die ausnahmslos nicht sonderlich gut schreiben können. Rüchel selbst ist immer wieder redundant - ein Lektorat findet offenbar für deutsche Pop-Bücher nicht mehr statt - und vermag es nicht, die ungeheure Brisanz dessen, was damals passierte, in Worte zu fassen. Auch für das Scheitern der Rocknächte Mitte der 80er-Jahre fällt ihm nicht mehr ein, als den Siegeszug des Musikvideos dafür verantwortlich zu machen.
Dennoch: für die, die damals dabei waren, kann dieses Buch durchaus zu einer vergnüglichen Lektüre werden. Spätgeborene hingegen werden sich vielleicht wundern, wie seltsam Rockmusiker früher ausgesehen haben und welch breiten Raum Rock und Pop vor 20, 30 Jahren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eingenommen haben; heute bekommt man live gespielte Rock-Musik nur noch bei Stefan Raab zu sehen.
Besprochen von Andreas Müller
Rockpalast - Peter Rüchels Erinnerungen
Rockbuch-Verlag bei Edel, Hamburg
256 Seiten, 29,95 Euro