Atmosphärische Klangwelten zwischen E- und U-Musik
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Im Hauptberuf ist Roger O'Donnell Keyboarder bei The Cure. Das scheint ihn aber nicht ganz auszufüllen: Mit "2 Ravens" veröffentlicht er bereits sein viertes Solo-Album. Und das klingt anders, als man es von einem Cure-Mitglied erwartet.
"Ein Solo-Album zu machen, könnte in meinem Fall als Prestigeprojekt verstanden werden. Und weil ich Mitglied einer bekannten Band bin, muss ich damit auch kein Geld verdienen. Für mich ist es lediglich ein kreatives Ventil. Ich will zwar, dass die Leute es hören, aber es ist mir nicht wichtig, ob es Millionen von Exemplaren verkauft."
Roger O'Donnell ist seit 33 Jahren Mitglied von The Cure. Mit den Briten hat er fünf Alben aufgenommen, ist mehrfach als Songwriter in Erscheinung getreten und hat Tourneen durch die größten Arenen der Welt bestritten. Was bedeutet: Er hat genug Geld verdient, aber nur wenig künstlerische Verwirklichung gefunden.
Vorliebe für Film und Kunst
Das holt er jetzt als Solist nach: Da präsentiert der klassisch geschulte Pianist Anspruchsvolles zwischen E- und U-Musik – inspiriert von seiner Vorliebe für Film und Kunst:
"Ich hatte mit einem Produzenten gesprochen, der das Leben von Masahisa Fukase verfilmen wollte. Ein japanischer Fotograf, der Fotos von Raben gemacht hat. Eine lange, traurige Geschichte. Denn zunächst hat Fukase Fotos von seiner Frau geschossen. Und als die dann meinte, sie würde ihn verlassen, wenn er nicht damit aufhört, hat er angefangen, Vögel abzulichten – und sie ist trotzdem gegangen. Ich hielt das für einen wunderbaren Stoff, zu dem ich den Soundtrack liefern wollte. Eben mit Klängen, die zu Raben, aber auch Dunkelheit, Winter und rauem Wetter passen. Das sind die Motive, die mich auf diesen Pfad geführt haben."
Aus dem Film ist nichts geworden, aus dem Soundtrack, der nun ein reguläres Album füllt, umso mehr: "2 Ravens" ist ein Hybrid aus Neo-Klassik mit Klavier und Streichern und romantisch-entrücktem New Age – alles ruhig, bedächtig und getragen.
Mit dabei: Rocksängerin Jennifer Pague
Vier Stücke sind rein instrumental, vier weitere mit weiblichem Gesang. Für den zeichnet die amerikanische Rocksängerin Jennifer Pague verantwortlich, sonst in Diensten von Vita and the Woolf. Diese Kooperation sorgt dafür, das Album aus der reinen Kunst-Ecke zu reißen und ihm massentaugliches, kommerzielles Potential zu verleihen:
"Durch Jennifer wurde die Musik zu etwas ganz anderem – allein wegen ihres uramerikanischen Ausdrucks, der im krassen Gegensatz zur europäischen Klassik steht. Sie sorgt dafür, dass man sich beim Hören fragt: Was zum Henker ist das? Aber das hat es auch leichter gemacht, eine Plattenfirma zu finden. Denn als die Stücke noch rein instrumental waren, kam oft die bewährte Entschuldigung von wegen: 'Wir haben keine Ahnung, wo das reinpassen könnte – und es wird schwierig, das richtig zu vermarkten.' Jennifer hat es also in eine neue Richtung geführt."
Gegenpol zum musikalischen Allerlei
"2 Ravens" enthält keine lyrische Botschaft, keinen Kommentar zum Zeitgeist und verfolgt auch keinen hochtrabenden künstlerischen Anspruch – außer einen Gegenpol zum musikalischen Allerlei der Charts zu liefern. Eine Art Fluchtpunkt – zum Eintauchen in eine Klangwelt voller Atmosphäre und Stimmung, die das Kopfkino zum Glühen bringt und eine entspannende, therapeutische Wirkung hat.
Der perfekte Ausgleichssport für einen frustrierten 64-Jährigen, der darauf wartet, dass The Cure endlich ein neues Album vorlegen. Das ist seit langem angekündigt, liegt angesichts der Coronavirus-Pandemie aber vorerst auf Eis:
"Eigentlich sollten wir langsam mal über einen Veröffentlichungstermin reden – und uns auf eine Tournee vorbereiten. Aber momentan steht alles still. Wenn nicht zufällig jemand mit einem Wunder-Impfstoff aufwartet und es wirklich so lange dauert, wie alle sagen, wird das nichts vor Frühling oder Sommer 2021. Ich habe keine Ahnung."