Rohingya in Bangladesch

Keine Lösung in Sicht

22:16 Minuten
Ein Mädchen der Rohingya in einem Flüchtlingslager in Bangladesch.
Wohin mit den Rohingya, die nach Bangladesch geflüchtet sind? © dpa / picture alliance
Von Katharina Hamberger |
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900.000 Rohingya leben im Süden von Bangladesch in einem der größten Flüchtlingscamps der Welt. Sie sollen zurück nach Myanmar, so haben es die Regierungen von Myanmar und Bangladesch beschlossen. Doch bis heute ist nichts passiert.
Es sind mindestens 35 Grad im Schatten, die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Bis zum Horizont sind viele kleine Hütten zu sehen, die vor allem aus Plastik und Bambus gebaut sind. Richtige Straßen führen kaum durchs Camp, stattdessen bestehen die meisten Wege aus feinem Sand, der beim kleinsten Windstoß hochfliegt. Früher war das Gebiet im Süden von Bangladesch, an der Grenze zu Myanmar, Waldgebiet. Um 2017 fast eine dreiviertel Million Menschen aufnehmen zu können, hat die Regierung des Landes die Bäume abholzen lassen.
Der Sand und die Hitze machen den Weg durch das Camp mühselig, hin und wieder müssen kleinere, übelriechende Rinnsale überquert werden. Manchmal geht es, einfach darüber zu steigen, an anderen Stellen führt eine Brücke aus Bambusstäben darüber. Ansonsten ist es recht sauber, kaum Müll liegt herum, Kühe stehen am Wegesrand.

Hälfte der Rohingya ist minderjährig

Besucher und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen werden immer wieder von Kindern umringt, die vor allem zeigen wollen, was sie im Englisch-Unterricht gelernt haben. Die Kinder sind noch jung, vier oder fünf Jahre alt vielleicht. Im Camp sind Schätzungen zufolge rund die Hälfte der Menschen minderjährig. Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass allein im vergangenen Jahr rund 48.000 Babys hier geboren worden sind.

Holger Senzel, als ARD-Korrespondent in Singapur auch zuständig für Myanmar, äußert sich im Interview zur Rolle der Regierung in Myanmar, vor allem der ehemaligen Friedens-Ikone Aung San Suu Kyi, heute De-facto-Regierungschefin des Landes. Die Regierung tue alles, um die Rohingya nicht in ihre Heimat zurückkehren zu lassen, sagt unser Korrespondent.
Das gesamte Gespräch können Sie hier nachhören:
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Auch in diesem Jahr werden es wieder viele sein. Wie das noch namenlose Kind, das in einem Gesundheitszentrum in einem Zelt, das als Kreißsaal dient, auf die Welt gekommen ist. Gerade mal zwei Tage ist es alt.
Geflüchtete Rohingya tragen in einem Camp in Cox's Bazaar im Südosten von Bangladesch verteilte Hilfsgüter.
Vor allem die Kinder leiden unter der Situation im Lager.© picture alliance / dpa / MAXPPP
So wie es im Moment aussieht, ist die Perspektive für dieses und die anderen Kinder ein Leben im Camp in Bangladesch als Geduldete – denn kaum jemand, mit dem man hier spricht, geht davon aus, dass die Rohingya bald wieder in das angrenzende Myanmar zurück können. Das bereitet den Menschen Sorgen. Auch Monira Begum, die sagt, sie sei 30 Jahre alt. Sie hat eine vierjährige Tochter.
"Ich mache mir Sorgen, weil meine Tochter in dieser Umgebung aufwächst. Denn es ist hier sehr beengt, unser Haus ist sehr klein, draußen gibt es keinen Platz für die Kinder, um zu spielen. Vor allem in den heißen Monaten ist es für die Kinder sehr schwierig, hier zu wohnen, zu schlafen. Das macht mir also große Sorgen."
Monira spricht nur die Sprache der Rohingya. Ich muss mich beim Inhalt auf den Übersetzer verlassen, der selbst Rohingya ist und schon als kleines Kind mit seinen Eltern nach Bangladesch geflohen ist. Er gibt die Fragen an Monira weiter. Die junge Muslima trägt ein schwarzes langärmliges, bodenlanges Kleid, im unteren Teil sind bunte Streifen eingenäht, Haare und Gesicht sind bis auf einen Schlitz für die Augen schwarz verhüllt.
"Das Leben im Camp ist im Moment nicht einfach. Das Dach unseres Hauses besteht nur aus einer Plastikplane, Haus steht hier an Haus. Wir haben zwei Häuser. In einem lebe ich mit meiner Tochter, in dem anderen meine Eltern mit meinem Bruder und meiner Schwester. Es gibt zwar wenig Platz, aber er reicht zumindest, um dort zu schlafen."

Alles muss schnell abbaubar sein

Häuser aus Plastik und Bambus, in denen sich die Hitze staut – lange waren den Rohingya nur diese beiden Baumaterialien von der Regierung in Bangladesch erlaubt worden. Mittlerweile ist auch Wellblech zugelassen. Eine Krankenstation, die das Rote Kreuz errichtet hat, durfte zumindest eine feste Bodenplatte aus Metall bekommen und Kunststoffwände. Allerdings musste auch dieses Gebäude so konstruiert sein, dass es schnell wieder abgebaut werden kann. Die Rohingya sind hier zwar geduldet, aber Bangladesch, eines der ärmsten Länder der Welt, möchte verhindern, dass die Menschen hier sesshaft werden. Deshalb sollte alles provisorisch bleiben – so als gäbe es eine Perspektive für eine baldige Rückkehr. Auch bei der Bildung der Kinder spiegelt sich diese Einstellung wider.
Mehr als 700.000 Rohingya-Fluechtlinge leben im Lager von Cox's Bazar in Bangladesch
Mehr als 700.000 Rohingya-Fluechtlinge leben im Lager von Cox's Bazar in Bangladesch© imago stock&people / NicolaxGlass
Rund zehn Kinder spielen in einem großen Zelt – es ist Teil eines Gesundheitszentrums. Über ihnen hängen bunte Papiergirlanden, ein Tisch steht im Raum. Das soll eine Art Klassenzimmer darstellen. Die Kinder sollen auch Unterricht bekommen. Zumindest im Rahmen der Möglichkeiten.
"They teach them Barmese and English"
Burmesisch und Englisch – das sind die beiden Sprachen, die die Kinder hier lernen dürfen, sagt ein Mitarbeiter des Roten Halbmondes in Bangladesch. In Bengali, der Landessprache, hingegen dürfen die Rohingya-Kinder nicht unterrichtet werden. Außerhalb des Lagers, das sie nur mit einer Erlaubnis verlassen dürfen, sollen sich die Flüchtlinge erst gar nicht niederlassen, wenn es nach der Regierung von Bangladesch geht.

Sicherheit geht vor Rückkehr

Monira sagt, sie wolle auch zurück, aber eben erst, wenn sie auch in Myanmar sicher leben könne, die Rohingya anerkannt werden und sie die Staatsbürgerschaft, die Myanmar den Rohingya seit den 1980ern verweigert, bekomme.
Ich treffe die junge Frau bei einem Verteilzentrum, wo verschiedenste Dinge ausgegeben werden, von Baumaterial wie Bambus bis hin zu Hygieneartikeln, so wie an diesem Tag. 1250 Menschen sollen innerhalb von drei Stunden Dinge wie Seifen, Zahnbürsten und Shampoos bekommen – jeweils so viel, wie sie für ihre Familie brauchen.
Die ersten sind bereits da und sitzen – die Frauen rechts, die Männer links – in einer langen Schlange im Wartebereich auf dem Boden und warten, bis sie in den Raum dürfen, in dem sie dann alles in einem kleinen Stoffbeutel von Helfern bekommen. Beide Räume befinden sich in einem großen Zelt, das wieder nur aus Plastik und Bambus besteht. Die Sonne knallt aufs Dach, die Hitze staut sich in dem Zelt. Dennoch bleiben alle ruhig, niemand beschwert sich, drängelt oder ist aggressiv.
Das ist sowieso ein Eindruck, der vom Camp bleibt: Laut protestieren die Menschen hier selten, hoffen vielmehr still – vielleicht, weil viele schon über Jahre Verfolgung und Bedrohung erdulden mussten. Auch Monira hat ihre Geschichte.
Ihr Mann sei 2017, so erzählt sie es dem Übersetzer, in einem Nachbardorf, vier Stunden entfernt von ihrem Heimatort, in der Region Rakhaing vom Militär erschossen worden. Danach sei sie mit ihrer Tochter, Verwandten und Nachbarn nach Bangladesch geflohen.
"Vier Tage und Nächte hat es gedauert, bis wir in Bangladesch waren, meine Tochter habe ich getragen und ihr unterwegs Essen gekauft."
Alle haben hier unterschiedliche Fluchtgeschichten zu erzählen, haben zum Teil Freunde, Verwandte, Bekannte, die ermordet, gefoltert, vergewaltigt worden sind.

Sicher und willkommen in Bangladesch

In Bangladesch habe sie sich willkommen gefühlt, sagt Monira. Sie habe gleich Hilfe bekommen, zunächst von der lokalen Bevölkerung. Sicher fühle sie sich auch. Schwierig sei es allein ohne Mann nur, wenn schwere Dinge wie Bambus verteilt würden und sie niemanden habe, der auf ihr Kind aufpasse.
Wie sicher die alleinstehenden Frauen, von denen es einige gibt im Camp, tatsächlich sind, lässt sich nicht sagen. Dass es durchaus nicht einfach ist, erzählen die zahlreichen Schilder, die auf Räume hinweisen, in denen Frauen, Kinder oder ältere Menschen sich sicher fühlen können, sogenannte Safe-Spaces. Ein Angebot der vielen nationalen und internationalen Hilfsorganisationen vor Ort. Ohne diese wäre das Leben im Camp auch schwierig. Denn sie kümmern sich um die Lebensmittelvergabe, um sauberes Wasser, Toiletten und um die medizinische Versorgung. Auch, dass im Camp bislang keine größeren Krankheiten oder Seuchen ausgebrochen sind, dürfte zum Teil den Hilfsorganisationen zu verdanken sein.
Ein Flüchtlingsmädchen der Rohingya hält ein Kleinkind auf dem Arm. Das Bild stammt aus dem Kutupalong-Flüchtlingslager im Bezirk Cox's Basar in Bangladesch im Juni 2018.
Zahlreiche Hilfsorganisationen sind vor Ort und haben bisher den Ausbruch größerer Krankheiten verhindern können.© dpa-Bildfunk / AP
Im Camp versuchen sich die Menschen aber auch oft selbst zu helfen. So wie Ziaur Rahman. Der Mann, der sagt, er sei 33 Jahre alt, hat sein Heimatdorf verlassen, als im Nachbarort vom Militär ein Massaker angerichtet worden sei. Alle seien vom Dorfvorsteher zusammengerufen worden und dann vom Militär erschossen worden. Auch in seinem Dorf hatte der Vorsteher zusammengerufen. Aber statt dorthin zu gehen, sind die Dorfbewohner geflohen. Der Vorsteher wurde vom Militär mitgenommen, erzählt Ziaur. Hier im Camp lebt er mit seiner Frau, seiner Mutter und vier Kindern.
"Ich mache mir Gedanken über die Zukunft meiner Kinder, dass sie eine gute Ausbildung bekommen, auch über die der anderen Rohingya-Kinder im Camp", sagt er. "Denn die Ausbildung hier im Camp ist nicht gut. Die Kinder gehen dorthin, sitzen ein bisschen rum, spielen, am Ende bekommen sie einen Keks und gehen nach Hause."
Also hat Ziaur, der in seiner Heimat eine Fischerei betrieb, das Ganze selbst in die Hand genommen und arbeitet im Camp nun als Lehrer. Burmesisch, Mathematik und Englisch – das er selbst kaum spricht – unterrichtet er.
"Sehr früh morgens gehen die Kinder in die Koranschule, danach kommen sie gegen neun Uhr zu uns in die Schule, wo sie bis zwölf Uhr unterrichtet werden. Dann gehen sie nach Haus. Und nach dem Nachmittagsgebet gehen sie wieder in die Koranschule und anschließend nochmal zu uns und wir unterrichten sie bis fünf Uhr."

Mit dem Wenigen zurechtkommen

Zehn Kinder sind in Ziaurs Klasse – Geld bekommt er kaum dafür. Nur für das Unterrichten der ältesten, der Fünftklässler, wird er bezahlt. Davon habe er aber eine Tafel und Kreide gekauft. Auch ansonsten versuchen die Rohingya, so gut wie es geht, mit dem wenigen, das sie im Camp bekommen, zurechtzukommen. Auf den Dächern der Hütten bauen sie Gemüse an oder verkaufen einen Teil der Hilfsgüter. Das Geld investieren sie in das, was sie dringender brauchen, erzählt Ziaur:
"Ich habe ansonsten keine Arbeit. Aber wir bekommen hier Verpflegung, die Hälfte davon behalte ich, den Rest verkaufe ich, um andere Dinge zu kaufen wie Gemüse oder Fisch."
So sieht man am Rand der Staubpisten kleine Läden, die eigentlich mehr offene Unterstände aus Bambus sind. Es gibt hier so gut wie alles zu kaufen: Gemüse, Obst, lebende Hühner, Kinderspielzeug oder auch Fertigsuppe. Auch Einheimische haben hier ihre Stände und sehen in ihren neuen Nachbarn ebenfalls Kunden.
250.000 Einheimische wohnen hier in der Region Cox’s Bazar – und fast eine Million Geflüchtete. Das funktioniert in Teilen, weil die Rohingya auch ein Wirtschaftsfaktor sind, eben weil Einheimische mit ihnen Handel treiben, weil Straßen gebaut werden.
Gleichzeitig ist der sowieso schon chaotische Verkehr mehr geworden – teilweise zu viel für die holprigen Straßen, die für die großen LKW der Hilfsorganisationen nicht ausgerichtet sind. Zudem zählt Bangladesch zu einem der ärmsten Länder der Welt mit einer rasant steigenden Bevölkerungszahl – einige Hilfsorganisationen sind schon seit Jahrzehnten vor Ort. Und nach wie vor gibt es hier in den Kommunen einen großen Bedarf, erzählt Ead Becirevic. Er ist Kroate und Abgesandter für das Deutsche Rote Kreuz.
"Sie fangen an, das Gefühl zu bekommen, niemand interessiert sich für uns. All das Geld geht an die Rohingya."
Myanmars De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi spricht am 19. September 2017 in Myanmars Hauptstadt Naypyitaw über die Lage der Rohingya-Minderheit.
Von Myanmars De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi erwarten die Flüchtlinge nichts mehr.© picture alliance / Aung Shine Oo
Entsprechend kümmern sich die Hilfsorganisationen weiter um die Menschen, die hier in der Region leben, bauen zum Beispiel Notunterkünfte für die Monsun- und Zyklon-Saison. Auch Bangladesch selbst achtet darauf, dass die Einheimischen nicht vernachlässigt werden. Nicht nur, indem sie Rohingya vom Arbeitsmarkt fernhalten und ihnen Restriktionen auferlegen: 30 Prozent der Hilfsgelder müssen auch in lokale Projekte fließen.

Trainings für Bangladeschis und Rohingya

Manche Bangaldeschis vor Ort engagieren sich aber auch bei der Versorgung der Flüchtlinge. Zum Beispiel gibt es gemeinsame Erste-Hilfe-Kurse. Junge Männer und Frauen simulieren den Moment nach einem Erdbeben. Einige spielen Verletzte, mit künstlichen Wunden an Kopf oder Beinen, andere die Helfer. In Bangladesch ist fast jede Naturkatastrophe möglich, erzählt Rote-Kreuz-Helfer Becirevic:
"Das ist der schlimmste Ort auf der Welt. Hier haben sie leider alle Katastrophen. Erdbeben, Fluten, Zyklone, sie haben alles hier."
Die Monsun- und Zyklonzeit steht auch jetzt kurz bevor. Im vergangenen Jahr sei diese relativ mild abgelaufen, sagt Helfer Christopher Bachtrog.
"Aber wir gehen davon aus, dass es dieses Jahr nicht so glimpflich wird. Und da laufen dann natürlich die Vorbereitungen schon auf Hochtouren, dass man Materialien einkauft für Reparaturen, für Notlatrinen, für Wasserdesinfektionsmittel", sagt der Österreicher, der für das Deutsche Rote Kreuz arbeitet und unter anderem für die Wasserversorgung zuständig ist.
Auch der 25-jährige Rohingya Hadayet Ullah hat Angst, dass seine Hütte ein weiteres Mal zerstört wird: "Ich muss mein Haus dieses Jahr stabiler machen. Letztes Jahr gab es ein kleines Erdbeben, das mein Haus auf einer Seite kaputt gemacht hat."

Rückkehr ist ihr größter Wunsch

Seine Unterkunft habe beim letzten Monsun schon Schäden davon getragen. Das befürchtet Hadayet auch in diesem Jahr. Im Camp arbeitet er, wie schon in Myanmar, als Imam. Seine Religion auszuüben wurde aber in seiner Heimat ab 2012 stark eingeschränkt, erzählt er.
In Myanmar seien Hadayet und die Bewohner seines Dorfes immer wieder bedroht und schikaniert worden. Als sie dann gehört hätten, das Militär sei auf dem Vormarsch, sei er mit Frau, Kindern, Eltern und der Familie seines Bruders geflüchtet. Wie viele hat auch er vor allem einen Wunsch: Zurückzukehren in sein Heimatdorf. Dabei setzt er auf Gottes Hilfe – und die der UN. Denn der de facto Regierungschefin Myanmars Aung San Suu Kyi, von der er sich viel erhofft hatte, traut er nicht mehr. Aber optimistisch ist er nicht: "Die Jahreszeiten gehen ins Land und am Ende werden wir hier sterben."

Hinweis: Die Recherchereise für dieses Feature fand mit Unterstützung des DRK statt.

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