Rohstoffboom in Lappland

Von Michael Frantzen |
Auf der Jagd nach Rohstoffen wie Gold, Nickel und Erz drängen ausländische Bergwerksgesellschaften nach Finnland. Die Kirche warnt vor den internationalen Konzernen - genauso wie der Naturschutzverband: "Die Schäden an der Umwelt werden die Gewinne aus den Minen übersteigen."
Ungebetene Gäste - das kann Juha Karppinens Schäferhund gar nicht haben. Kein Wunder: Normalerweise verirrt sich nur der Postbote zum massiven Blockhaus seines Herrchens im lappländischen Dorf Kersilö. Wobei das mit dem Dorf relativ ist, meint Karppinen, ein knorriger Mann im Holzfällerhemd am Eingang seines Gartens lachend.

Gut ein Dutzend Häuser gibt es in der Einöde nördlich des Polarkreises, alle weit ver-streut. Mehr ist nicht. Dafür umso mehr Wald. Und unberührte Natur. Karppinen zeigt nach links: Da drüben, hinter dem Birkenhain, keine zwei Kilometer entfernt, liegt "Viiankiaapa", mit 66 Quadratkilometern eines der letzten großen Moore Europas.

So oft es geht macht sich Juha Karppinen auf den Weg ins Moor, vorbei an dichten Fichten- und Birkenwäldern und dem Schild, das darauf hinweist, dass "Viiankiaapa" "Natura 2000"-Gebiet ist, sprich: Teil des EU-Netzes besonders wertvoller Naturschutzgebiete. Schnellen Schrittes balanciert der Mittfünfziger über den Steg – hin zu seinem Lieblingsplatz: Der Bank am Ufer eines Teiches.

Enten und Elche jagen
Juha Karppinen: "Wissen Sie, für mich ist das hier Supermarkt und Theater in einem. Ich war gerade drei Tage Heidelbeeren pflücken. Bald gehe ich wieder jagen: Enten und Elche. Ich genieße es, mir mein Essen selbst zu besorgen. Und in der Natur zu sein.

Ich sitze oft stundenlang hier, in meiner ‚Loge‘ - und beobachte die Tiere und Vögel. In Helsinki gibt es all die subventionierten Theater und Opern, so etwas haben wir nicht. Brauchen wir auch nicht. Wir haben unser kleines Paradies."

Das "kleine Paradies" aber ist in Gefahr. Juha Karppinens Mine verfinstert sich. Längst ist er wieder aufgestanden, weiter den Steg entlang, immer tiefer in das Moor hinein, wo es nur noch Stille und Unmengen von Mücken gibt. Er kann sich noch genau erinnern: Wie er auf einem seiner Streifzüge das erste Mal die roten Stöcke im Boden sah. Neun Jahre ist das jetzt her.

Anfangs waren es ein paar wenige, mit der Zeit wurden es hunderte. Den Markierungsstöcken folgten die Maschinen. Denn in den Tiefen des Moores schlummern Nickelvorkommen, die zu den reichsten Europas zählen und den Bergbau-Multi Anglo-American veranlassten, hier Probe zu bohren.

Juha Karppinen: "Es ist doch komisch: Ausgerechnet in einem Naturschutzgebiet soll eine Mine entstehen. Das Moor ist so sensibel, dass wir im Winter nicht mit unseren Schneemobilen rein dürfen. Anglo-American aber schon. Komisch.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin nicht per se gegen Rohstoffabbau. Ich arbeite ja selbst in einer nahe gelegenen Gold-Mine. Aber muss es ausgerechnet eine Mine in einem der letzten großen Moore Europas sein? Wir haben jetzt schon zwei Minen im Umkreis. Das ist doch nicht nachhaltig."

Karppinens Tochter Riika sieht das genauso. Die 19-Jährige hat gerade Abitur gemacht. Die Woche über ist sie in Helsinki, der Hauptstadt, um in einem Regiment der finnischen Armee ihren freiwilligen Wehrdienst zu leisten.

Die Wochenenden aber zieht es Riika zurück nach Kersilö, auch wenn die Fahrt mit dem Nachtzug und Regional-Bus eine halbe Ewigkeit dauert. So wie heute. Doch sie brauche das, meint die junge Frau in der maßgeschneiderten olivgrünen Uniform - und reibt sich die Augen.

Vor einer Viertel Stunde ist sie am Busbahnhof von Sodankylä angekommen, der 20 Kilometer von ihrem Heimatdorf entfernten Kreisstadt. Bevor Riika mit ihrem Vater nach Hause fährt, will sie noch schnell im Verwaltungszentrum vorbeischauen: Irgendwelche Unterlagen abholen. Seit dem letzten Jahr sitzt sie für die Grünen im Kreistag.

"Diese neue Mine würde alles verändern"
Riika Karppinen: "Für mich ist das eine sehr persönliche Frage. Diese neue Mine würde alles verändern. Selbst meine Kindheits-Erinnerungen. Ich habe Angst, dass all die Orte, wo ich mit meinem Bruder in der Natur unterwegs war, verschwinden könnten. Es würde auch unser Dorf komplett verändern. Die Mine wäre ja direkt vor unserer Haustür.

Natürlich gibt es in Sodankylä Leute, die finden, das mit den Bohrungen ist nachhaltig. Ich halte das für falsch. Sakatti, die neue Mine, würde Riesen-Wunden aufreißen. Nicht nur wegen der Bohrungen. Es müssten ja auch neue Zufahrtswege gebaut werden. Neue Gebäude, Lagerstätten und das alles.”"

Cameron-Johansson: ""Sakatti ist exciting for Anglo-American because it’s a green-field discovery."

"Aufregendes Neuland" - wo die Karppinens Gefahren an die Wand malen, kann Froydis Cameron-Johansson inmitten einer Baustelle ihre Euphorie kaum zügeln. Die gebürtige Britin arbeitet für das Erkundungsteam von Anglo-American: Hauptsitz ist London, doch die meiste Zeit ist die kontrolliert wirkende Frau unterwegs: Südafrika, Australien, in den letzten Jahren auch immer häufiger Sodankylä; seitdem sich 2009 bei Probebohrungen herausstellte, dass die Nickelvorkommen in Sakatti tatsächlich so groß sind wie erhofft.

Damals war das Erkundungsteam noch in einem besseren Kabuff gegenüber vom Rathaus untergebracht, erzählt Cameron-Johannson im Konferenzraum, in dem viele bunte Diagramme an den Wänden von diversen Nickel-, Erz- und Kupferfunden künden. Anfang des Jahres ist der Bergbaukonzern an den Stadtrand gezogen: 1000 Quadratmeter Büros, Labore, Lager. Noch wird draußen gebaut, doch das stört die Geschäftsfrau nicht. Sie nimmt eine Gesteinsprobe in die Hand, einen gräulich schimmernden Brocken. Ihre Augen strahlen: Vier Prozent Nickelanteil, ein sehr guter Wert.

Cameron-Johansson: "”Wir haben eine völlig neue Bohrmethode entwickelt. Uns war von Anfang an klar, dass wir in einem ökologisch sensiblen Gebiet bohren würden.

Deshalb haben wir ein Verfahren entwickelt, dass nicht nur den Wasserverbrauch reduziert, sondern auch den Abraum. Wir haben ein in sich geschlossenes Bohr-System entwickelt. So können wir einen deutlich geringeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen.

Und die andere Sache ist: Wir bohren nur im Winter. Im Winter ist ja alles gefroren. Der Schnee liegt meterhoch. Wir befestigen unsere Bohrer auf Stelzen, das heißt, der Boden wird kaum in Mitleidenschaft bezogen. Wegen der Schutzschicht aus Schnee und Eis.""

Kommerzieller Abbau frühestens in fünf Jahren
So ganz stimmt das nicht. Denn Anglo-American bohrt durchaus außerhalb der Winterzeit - allerdings nicht innerhalb des "Natura 2000" Gebietes, sondern am Rande des Moores. Legalerweise. Und illegalerweise im Schutzgebiet – werfen die Karppinens dem Unter-nehmen vor. Sie haben letzten Herbst umgerissene Bäume und Spuren von Kettenfahrzeugen entdeckt. Francis Cameron-Johansson kann sich darauf keinen Reim machen. Sagt sie.

Und dass sich ihr Team strikt an die gesetzlichen Vorgaben halte – inklusive des Zeitplans: Frühestens in fünf Jahren soll es mit dem kommerziellen Abbau losgehen – in einer der unwirtlichsten Gegenden weltweit: Von Anfang November bis Mitte Mai versinkt ganz Lappland unter meterhohen Schnee-Massen, liegt die Durchschnittstemperatur in Sodankylä im Januar bei Minus 14 Grad.

Cameron-Johansson: "”Die Bedingungen sind hart. Und extrem. Klar. Aber wissen Sie: Wir sind hier in Finnland, in einem Erste-Welt-Land mit sehr guter Infrastruktur. Wenn wir rausfahren zu unseren Projekten tun wir das auf Straßen. Wir können GPS benutzen.

In anderen Ecken der Welt können Sie davon nur träumen. Und wenn wir abends wieder nach Sodankylä zurückkehren, wartet auf uns eine heiße Dusche - und weil wir in Finnland sind, garantiert eine Tasse Kaffee.""

Von Anglo-Americans neuem Firmendomizil bis zur alten Zwischenunterkunft im Zentrum von Sodankylä sind es keine fünf Kilometer. Die Räume gegenüber des Rathauses werden längst anderweitig genutzt: Büros sind knapp geworden in der Stadt, von der man schneller am Nord-Kap ist, dem nördlichsten Punkt Europas, als in der gut 900 Kilometer entfernten finnischen Hauptstadt Helsinki.

Allein 20 Bergbauunternehmen haben inzwischen vor Ort ihre Zelte aufgeschlagen, berichtet Jukka Lokka. Der städtische Entwicklungs-Manager wedelt in seinem Büro mit der entsprechenden Drucksache. Holz- und Landwirtschaft waren traditionellerweise die wichtigsten Arbeitgeber seiner Gemeinde. Plus ein bisschen Tourismus.

"Die neuen Jobs haben den Bevölkerungsrückgang gestoppt"
Doch das war, bevor die finnische Regierung überall im Land günstig Schürfrechte verteilte und der Rohstoffboom auch Sodankylä erfasste. Erst letztes Jahr hat in Kevitsa eine Nickel-Mine ihren Betrieb aufgenommen, die die Natur dort zwar in eine pechschwarze Trümmerlandschaft verwandelt hat, gleichzeitig aber auch 500 neue Arbeitsplätze geschaffen hat.

Lokka: "”Die neuen Jobs haben den Bevölkerungsrückgang gestoppt. In den letzten zwanzig Jahre sind mehr und mehr Leute aus Sodankylä weggezogen – wie überall in Lappland, um nach Helsinki und andere Orte in Süd-Finnland zu gehen. Wir hatten einmal 12.000 Einwohner, heute sind es nur noch 9000. Dieses Jahr ist unsere Bevölkerung zum ersten Mal wieder gewachsen. Zwar nur um 70 Personen, aber immerhin.

Neuzugänge kommen zu uns, aber auch gut qualifizierte Rückkehrer – also Leute, die in Sodankylä geboren sind, aber zwischendurch weg waren. Ich selbst bin ein gutes Beispiel. Ich bin vor zwei Jahren aus Süd-Finnland zurückgekehrt. Ich kenne etliche Leute, die es so gemacht haben wie ich.""

Jukka Lokka steht in seinem spartanisch eingerichteten Arbeitszimmer im ersten Stock auf und geht ans Fenster: Wenn man es nicht wüsste, könnte man meinen, mitten auf dem Land zu sein - und nicht im Zentrum einer Kreisstadt.

Der Blick fällt auf einen Fichten-Wald samt einer kleinen Holzkirche aus dem Jahr 1689: Sie eine der wenigen alten Kirchen in Lappland, die die deutschen Truppen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges auf ihrer Flucht vor den Sowjets nicht anzündeten.

"Ein Segen, dass es bei uns wieder mehr Kinder gibt"
Rechts davon ein weiteres Wahrzeichen der Stadt: Das in Bronze gegossene Rentier samt eines Lappen, der versucht, es zu bändigen. Für die Kinder ist ein beliebtestes Klettergerüst – so wie an diesem sonnigen Herbsttag, der vergessen lässt, dass bald schon, im Oktober, der erste Schnee fallen kann.

Lokka: "Es ist natürlich ein Segen, dass es bei uns wieder mehr Kinder gibt. Und die Steuereinnahmen durch die neuen Minen und den Zuzug sprudeln. Doch der Bevölkerungszuwachs stellt uns auch vor neue Herausforderungen: Es fehlen Häuser. Bezahlbare Wohnungen.

Deshalb hat sich die Gemeinde entschlossen, selbst welche zu bauen, um sie zu vermieten. Wir müssen unser Gesundheitswesen ausbauen. Unsere Schulen platzen aus allen Nähten, genau wie die Kindertagesstätten. Das ist schon ein bisschen ein Problem."

Ein Gebet vor dem Mittagsessen: In "Paulaharju", der Kindertagesstätte gegenüber vom Krankenhaus gehört das zum Standard. Kartoffelsuppe steht heute auf dem Menü, dazu Roggenbrot und Salat. Ungefähr 20 Kinder zwischen drei und sieben Jahren haben sich im Speisesaal des weißen 80er-Jahre-Flachbaus versammelt, der gerade general-überholt wurde. Alles pikobello hier: Die Schlaf- und Aufenthaltsräume, die hauseigene Küche, der weitläufige Spielplatz draußen. Maximal 66 Kinder finden in "Paulaharju" Platz, erklärt die stellvertretende Kita-Leiterin Kertu Kanerva beim Rundgang durch ihre bunt bemalte Kita.

Kanerva: "Wir haben jetzt auch ausländische Kinder. Eines kommt aus Australien, ein anderes aus Deutschland. Ihre Eltern sind wegen der Minen nach Sodankylä gezogen. Das gab es vor fünf Jahren noch nicht. Da hatten wir neben unseren finnischen Kindern allenfalls welche, deren Mutter Russin ist. Durch die Minen ist unsere Gegend wieder attraktiver geworden. Das ist natürlich gut.

Ob es auch gut für die Umwelt ist, muss sich zeigen. Aber zumindest geht es in Sodankylä wieder aufwärts. Es gibt wieder eine Perspektive. Wir haben inzwischen so viele Kinder in der Stadt, dass letztes Jahr eine dritte Kindertagesstätte aufgemacht hat. Die hat inzwischen auch schon ihre Maximal-Kapazität erreicht. Sprich: Wir müssen eine vierte bauen."

Sodankylä expandiert - dank des Rohstoff-Booms, der der Gemeinde hoch im Norden Jobs und eine Zukunft verspricht. Es sind verlockende Perspektiven, besonders in Zeiten wie diesen: Finnland ist letztes Jahr in eine Rezession geschlittert. Gerade erst mussten die Finnen tatenlos mit ansehen, wie ihr ehemaliges Vorzeigeunternehmen Nummer Eins, Nokia, notgedrungen seine Handysparte an Microsoft verkaufen musste. Fragt sich nur, welchen Preis Kertu Kanerva und Co dafür zahlen müssen. Die an sich so fröhliche Kindergärtnerin hebt die Hände.

Natürlich hat auch sie von "Talvivaara" gehört. Die Grube in Ost-Finnland musste im vergangenen Jahr ihren Betrieb einstellen, nachdem tödliche Dosen von Mangan und Sulfat ins Wasser geraten – und hunderte Fische und Wasservögel verendet waren. Dass so etwas auch einmal in Sodankylä passieren könnte, der lappländischen Boom-Stadt in Nordfinnland - daran aber wollen weder Kertu Kanerva noch die meisten anderen hier so recht denken.
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