Rohstoffe

Im Norden gibt es noch Öl und Gas

Ein auf einer Insel gelegenes Fischerdorf in Norwegen. Im Hintergrund sind Berge und der Horizont zu sehen.
Das Fischerdorf Husøy auf der Insel Senja. Vor deren Küsten liegen riesige Ölvorkommen. © Deutschlandradio / Jana Sinram
Von Jana Sinram |
Öl hat Norwegen einen enormen Reichtum beschert. Die Vorkommen in der Nordsee gehen aber langsam zur Neige. Deshalb soll in der arktischen Barentssee nach Ölfeldern geforscht werden, Naturschützer sind darüber entsetzt.
Hammerfest ist ein ziemlich verschlafener Ort. Es gibt bunte Holzhäuser und hässliche Wohn-Blöcke, einen Hafen mit Hurtigruten-Kai für Postschiffe und eine Hauptstraße mit einigen Geschäften. Als "nördlichste Stadt der Welt" bewirbt sich der Ort im äußersten Norden Norwegens selbst, auch wenn dieser Fakt durchaus umstritten ist. Klar ist dagegen, dass der Ort prosperiert, seit der norwegische Statoil-Konzern auf der Insel Melkøya vor Hammerfest eine Anlage zur Verarbeitung von Erdgas aus dem Schneewittchen-Feld betreibt. Das brachte mehr Jobs, fünf Hotels und ein Kongresszentrum. Diesen Schauplatz in Hammerfest wählte Norwegens Energieminister Tord Lien Ende Mai, um bisher unberührte Meeresgebiete in der Barentssee für Explorationsbohrungen nach Öl und Gas freizugeben:
"Wir haben die neuen Areale auf dem norwegischen Kontinentalsockel anhand der Qualität der Bewerbungen verteilt, die wir bekommen haben. Es waren sehr viele Öl-Gesellschaften interessiert. 13 haben den Zuschlag bekommen, sich an der Entwicklung dieser Energie-Ressourcen zu beteiligen."

Zum ersten Mal seit 20 Jahren darf geforscht werden

Darunter sind neben Statoil die schwedische Lundin-Gruppe und der deutsche DEA-Konzern. "Das Petroleum-Abenteuer im Norden geht weiter", so hat das norwegische Öl-Ministerium die Präsentation der erfolgreichen Bewerber in der diesjährigen Konzessionsrunde genannt. Zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren gewährt Norwegen den Öl- und Gasunternehmen Zugang zu noch unerforschten Gebieten. In 40 Arealen in der Barentssee dürfen sie in den kommenden Jahren nach Öl suchen. Umweltschützer sind entsetzt – wie Silje Lundberg, stellvertretende Vorsitzende beim Naturvernforbundet, Norwegens ältester Naturschutzorganisation:
"Das ist eine absolute Katastrophe für Norwegens umweltpolitischen Ruf. Diese Gebiete sind empfindlich. Sie liegen in der Nähe der Eiskante und hier leben einige unserer wichtigsten Arten wie der Polardorsch. Sie spielen eine große Rolle für die Nahrungskette und damit für die Fischerei. Wenn in der Barentssee etwas schief läuft, wird das Konsequenzen für das ganze Land haben."
Mal ganz abgesehen davon, dass die Ausbeutung und Verbrennung des arktischen Öls riesige Mengen an CO2 freisetzen würde, kritisiert die Naturschützerin – und das, wo erst vor wenigen Monaten in Paris ein neues Klimaabkommen erzielt worden ist.
"Außerdem hat unsere Ministerpräsidentin gerade in den USA mit Barack Obama über den Schutz der Arktis beraten. Und was ist Norwegens Antwort? Neue Öl-Bohrungen. Das ist wahnwitzig."

Noch aber ist es nicht so weit. Eine einzige Bohrinsel fördert bisher Öl im norwegischen Teil der Barentssee. Seit März dieses Jahres läuft die Produktion auf der Goliat-Plattform 85 Kilometer nordwestlich von Hammerfest. Im April feierte der Betreiber Eni Norge offiziell Eröffnung. Mit dabei: Rund 50 Arbeiter, wenige ausgewählte Gäste und Ölminister Tord Lien.
Hammerfest 
Hammerfest gilt als nördlichster Ort der Welt und er prosperiert durch die Erdgas-Verarbeitung.© Deutschlandradio Kultur / Jana Sinram
"Danke für den Einsatz. Das hier ist ein großer und historischer Tag. Ich gratuliere – und erkläre die Goliat-Plattform hiermit offiziell für eröffnet."

"Goliat ist ein Pionier-Projekt"

So weit im Norden – bei diesen extremen Wetterbedingungen – produziert bisher keine andere Offshore-Bohrinsel der Welt, betont Eni-Kommunikationschef Andreas Wulff. Und spricht schon jetzt von einem Erfolg:
"Goliat ist ein Pionier-Projekt. So etwas wie hier ist technisch noch nirgends anders versucht worden. Wir haben bewiesen, dass die Produktion in der Barentssee funktionieren kann."
180 Millionen Barrel Öl sollen im Goliat-Feld unter dem Meeresboden lagern, genug für die kommenden 15 Jahre. Doch technische Schwierigkeiten haben den Produktionsstart mehr als zwei Jahre verzögert. Mindestens 47 Milliarden norwegische Kronen – umgerechnet etwa fünf Milliarden Euro – hat die in Südkorea gebaute Plattform gekostet, 17 Milliarden Kronen mehr als ursprünglich veranschlagt. Bei den derzeitigen Öl-Preisen unter 50 Dollar ist das Projekt viel zu teuer, damit Eni und der beteiligte norwegische Statoil-Konzern Profite erwirtschaften, meinen Analysten. Sie sprechen von einer Gewinnschwelle, die bei 90 US-Dollar liegt. Das weist Eni-Sprecher Wulff zurück:
"Unser Break-Even-Preis liegt bei unter 50 Dollar. Auf Details dazu gehen wir grundsätzlich nicht ein. Aber wir sind sicher, dass Goliat Gewinn machen wird. Und auch das norwegische Volk wird am Ende gutes Geld verdienen. Damit wird Goliat positiv zur gesellschaftlichen Entwicklung in Norwegen beitragen."
Genau so sieht es auch der Ölminister Tord Lien:
"Das hier ist ein Meilenstein für Norwegen, völlig unabhängig vom Ölpreis. Natürlich ist es uns am liebsten, wenn Projekte im zeitlichen und finanziellen Rahmen bleiben. Aber bei Goliat mussten große technische Schwierigkeiten gelöst werden, und das hat man geschafft. Dieses Wissen können Eni, Statoil, die Zulieferer und alle anderen Akteure auf dem norwegischen Kontinentalsockel mitnehmen, wenn es darum geht, neue Felder zu erschließen."
Die Meinung ihres Energieministers teilen allerdings längst nicht alle in Norwegen, sagt Thina Saltvedt. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin ist leitende Öl-Analystin beim Finanzkonzern Nordea.
"Das Projekt sollte der Star im Norden werden, und das ist nicht gelungen. Damit steht Goliat exemplarisch für die Erwartungen und die Realität in der Region. Die Industrie hat hier viel größere Probleme und es kostet alles viel mehr, als man noch vor zwei Jahren gehofft hat. Die geplanten Projekte werden also sicher nicht alle durchgeführt."
Die Hürden bei der weiteren Ausbeutung der Öl- und Gas-Reserven in der Barentssee beschreibt Statoil-Vizepräsidentin Margareth Øvrum:
"Die größte Herausforderung ist, dass die Felder in der Barentssee so weit draußen liegen und dass es noch keine Infrastruktur gibt wie in der Nordsee. Wir müssen also erst eine Infrastruktur aufbauen, um das Öl und Gas an Land zu bringen."

Öl-Unternehmen setzen auf Barentssee

Die Zukunft liege aber dennoch in der Barentssee, betont die Managerin – und zwar auch dann, wenn das Öl billig bleibt:
"Den Ölpreis können wir zwar nicht beeinflussen, aber wir können klügere und kosteneffektivere Konzepte entwickeln. In diesem Sinn ist der niedrige Ölpreis sogar positiv: Er hat für viel Innovation gesorgt und uns gezwungen, einfacher zu denken."
Dass die Öl-Unternehmen trotz des Kostenverfalls beim Öl weiterhin auf die Arktis setzen, hängt vor allem mit der Situation in der Nordsee zusammen. Die meisten großen Funde liegen hier mindestens 30 Jahre zurück, manche Felder sind schon verbraucht, bei anderen stagniert die Produktion. Und der niedrige Öl-Preis macht die Lage im früher boomenden Südwesten des Landes nicht besser, klagt Gerd Kristiansen, Präsidentin des größten norwegischen Gewerkschaftsverbandes LO:
"Inzwischen haben wir in Norwegen fast 140.000 Arbeitslose. Das ist viel für unser Land. Wir hatten früher eine Quote von unter drei Prozent. Durch die Ölkrise hat sich das geändert. Dadurch haben 40.000 Menschen in dieser Industrie ihren Job verloren."
Wenn es so weitergeht, dann wird es für alle fünf Millionen Norweger härter werden, befürchtet die Gewerkschafterin. Denn schließlich sei die Öl-Industrie der Wirtschaftszweig, der Norwegen am meisten Geld einbringt. Damit sei sie besonders bedeutsam für den Wohlfahrtsstaat.
"Wenn also der Ölpreis nicht wieder steigt und die Aktivitäten auf dem norwegischen Kontinentalsockel zunehmen, dann müssen wir einen Teil unserer Sozialleistungen kürzen."
Deshalb setzt sich Kristiansens Gewerkschaftsverband gemeinsam mit der Arbeitgeberorganisation Norsk olje og gass dafür ein, zu prüfen, ob sich nicht auch die riesigen Rohstoff-Schätze vor der Inselgruppe der Lofoten und den benachbarten Vesterålen und der Insel Senja ausbeuten lassen. Zwar streiten die Norweger schon seit Jahrzehnten vor jeder Parlamentswahl über das Öl vor den als Naturparadies geltenden Inseln, und bisher haben die Ausbeutungs-Gegner immer gewonnen. Doch angesichts der schwierigen Lage drängeln die Befürworter schon mehr als ein Jahr vor der nächsten Wahl immer lauter. Denn Öl und Gas liegen vor den Lofoten besonders nah am Land. Deshalb könnte man rasch mit der Produktion beginnen, erklärt Geir Seljeseth, für den Norden zuständiger Regionaldirektor von Norsk olje og gass:
"Dieses Gebiet kennen wir gut. Wir hätten hier eine sichere Ausbeute. Und würden noch dazu eine wichtige Verbindung schaffen in die Barentssee und die Arktis."

Die Bedenken von Umweltschützern lässt Seljeseth nicht gelten. Öl-Industrie und Fischerei könnten sehr wohl nebeneinander existieren, meint er. Und fürs Klima sei norwegisches Gas viel besser als deutsche Kohle.
Barentssee
In der Barentssee sollen weitere Bohrungen stattfinden, Umweltschützer sind entsetzt.© Deutschlandradio / Jana Sinram
"Ich bin auch nicht der Meinung, dass Norwegen ein Naturpark für Europa sein sollte. Die Arktis, das sind doch nicht Eisbären und Eisberge. In der Arktis leben und arbeiten Menschen. Wir wollen kein Naturreservat sein, sondern eine lebendige Gesellschaft, die Lebensmittel, Energie und Werte produziert – für Europa und für alle, die hier im Norden wohnen."

Politik und Öl-Industrie machen sich etwas vor

Norwegen sollte sich dringend Gedanken machen, welche Art von Werten es schafft, meint dagegen Frederic Hauge, Gründer und Direktor der norwegischen Umweltorganisation Bellona. Er findet, dass sich Politik und Öl-Industrie schon viel zu lange etwas vormachen:
"Das norwegische Öl aus der Barentssee ist zu teuer. Aber die größte Organisation in Norwegen ist der ´Denyers Club`. Der besteht aus Leuten, die einfach nicht wahrhaben wollen, was passiert."
Nämlich, dass in der Welt kein Bedarf mehr an teuren norwegischen Rohstoffen besteht, wenn das Öl aus Saudi-Arabien deutlich billiger zu haben ist. Deshalb hat der Umweltschützer vorgeschlagen, sämtliche Steuervorteile für die Öl-Firmen abzuschaffen.
"Wir sollten unser Geld nicht in schwarze Löcher pumpen, um Öl zu fördern, sondern es reinvestieren. Wir haben so viele Kompetenzen aus der Öl-Industrie, in der Automation zum Beispiel, in der Robotik und Materialtechnologie. Damit könnten wir eine grüne Revolution starten."
Öl-Analystin Thina Saltvedt stimmt dem Umweltschützer in beiden Punkten durchaus zu. Auch sie stellt sich die Frage, wie lange die Welt das teure Öl aus Norwegen noch haben will.
"Als Öl-produzierendes Land konkurrieren wir mit anderen Energiequellen und billigeren Produzenten im Mittleren Osten. Und wie lange braucht die Welt überhaupt noch Öl? Auch das wird den Preis beeinflussen und damit, wo das Öl künftig herkommt."
Die Analystin findet, dass sich die Norweger in den letzten paar Jahren viel zu abhängig vom Rohstoff Öl gemacht haben:
"Die Leute haben sich entspannt und gedacht, das Geschäft mit dem Öl wird ewig so weitergehen. Was aber keiner bedacht hat: Die Produktion hat ihren Höhepunkt schon 2001 erreicht, seitdem hat sie sich praktisch halbiert. Die hohen Preise haben das bisher mehr als ausgeglichen. Aber jetzt darauf zu wetten, dass der Ölpreis wieder auf 100 US-Dollar oder mehr steigt, das halte ich für schwierig und ziemlich riskant."
Auch viele Politiker in Norwegen wollen dieses Risiko anscheinend lieber nicht eingehen. In letzter Zeit sprechen sie häufig über das, was sie hier "Umstellung" nennen: Darüber, wie die norwegische Wirtschaft aussehen könnte in der Zeit nach dem Öl. Das ist neu. Denn solange es den Norwegern noch extrem gut ging mit stetig steigenden Löhnen und praktisch ohne Arbeitslosigkeit, war es schwierig, Veränderungen zu thematisieren, sagt Öl-Analystin Thina Saltvedt:
"Ich glaube, der Absturz des Öl-Preises hat uns die Augen geöffnet. Hier stehen wir jetzt. Dort standen wir früher. Wir müssen neue Ressourcen finden und Industriezweige entwickeln. Sonst machen wir uns verletzlich. Die Technologien und das Geld aus der Öl-Industrie können wir nutzen, um eine neue Wirtschaft aufzubauen. Dazu sind wir trotz unseres Öl-Reichtums hoffentlich noch nicht zu faul."
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