"Ja, ich bin eine Maschine"
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Róisín Murphy hat die Popmusik der 90er-Jahre maßgeblich mitgeprägt. Jetzt will die Irin nichts weniger, als die Clubkultur neu zu erfinden. Die Idee: weg vom Globalen, hin zum Lokalen. Ihr neues Album macht den Anfang.
Róisín Murphy kennen viele noch als Sängerin des britischen Duos Moloko. Vier Alben entstanden ab 1994, die heute als Klassiker des Elektro-Pop gelten. Damals machte die nach Nordengland ausgewanderte Irin Musik mit ihrem Lebenspartner Mark Brydon. Irgendwann gingen die beiden sowohl privat, als auch künstlerisch getrennte Wege.
Róisín Murphy bekam 2009 und 2012 zwei Kinder und erfand sich danach mit zwei Alben zwischen Disco und Avantgarde-Pop neu. Sie hat ihren Produzenten gewechselt und veröffentlicht am Freitag das Album "Róisín Machine", das wiederum ganz anders klingt, bis auf die markante Stimme Murphys natürlich. Sie selbst beschreibt den Titel so:
"Der Reim 'Róisín Machine' spielt eine Rolle beim Titel des Albums. Vielleicht lernen die Leute am Ende doch noch, meinen Namen richtig auszusprechen. Ich fühle mich aber auch wie eine Maschine. Ich arbeite sehr hart! Ich mache die Musik, ich kümmere mich um die Visualisierung, ich stelle die Band zusammen. Ich bin eigentlich immer am Arbeiten. Ja, ich bin eine Maschine, und viele Leute haben mich auch schon als eine solche bezeichnet."
Harmonien mit reizvoller Patina
Ein klassisches House-Album von Róisín Murphy? Ja, das war das Ziel der mittlerweile 47-jährigen Musikerin, deren eigene Club-Sozialisation in den späten 80ern und frühen 90ern in Sheffield und Manchester stattfand. Aus dieser Zeit kennt sie noch den Produzenten DJ Parrot, mit dem Murphy ihr neues Album realisierte.
Wer auf den etwas sperrigeren Sound ihrer letzten beiden Werke "Hairless Toys" und "Take Her Up to Monto" mit dem Produzenten Eddie Stevens steht, wird das neue Album vielleicht als konventioneller empfinden. Tatsächlich hört es sich mehr dem Groove verpflichtet an. Clever ist die Platte trotzdem – mit ihren Rhythmen, Sounds und Harmonien, die eine reizvolle Patina angesetzt haben und an die House-Kultur der 80er- und 90er erinnern.
Corona als Chance
In Zeiten von Corona und weitgehendem Tanzverbot blickt Róisín Murphy fast wehmütig zurück auf eine unbeschwerte Vergangenheit. Auch mit Remixen von Stücken, die eigentlich schon vor der Pandemie fertig waren:
"Im Moment ist das eine seltsame Zeit für die Clubkultur – weil sie nicht existiert. Da ist nur noch eine melancholische Erinnerung an sie. Als wir das Stück 'Something More' aufnahmen, war unsere erste Version viel fröhlicher, sie ging mehr nach vorne. Sie war auf eine gute Art 'cheesy'. Doch unter den jetzigen Umständen fühlt sich die aktuelle Version richtiger an, weil sie wie eine verblassende Spur ist. Sie klingt mehr wie die Erinnerung an einen Club als nach dem Gefühl, wirklich dort zu sein."
Róisín Murphy gibt den Club nicht auf, weder den Lifestyle noch die Musik. Nein, sie sieht Corona gar als Chance für die ihres Erachtens arg kommerzialisierte Szene, um sich im Untergrund neu zu erfinden:
"Schön wäre es natürlich, wenn aufgrund der Entwicklung lokale Szenen wieder größere Bedeutung gewännen. Zuletzt war Dance- und Clubkultur zu globalisiert, zu beliebig geworden. Es war fast egal, wer was wo machte. Wenn es an einem Ort nicht gut war, packte man seinen Kram zusammen und machte in einem anderen Land, bei einem anderen Elektronik-Festival weiter. So etwas zerstört die Kultur, weil alles gleich gemacht wird. Es ist schlecht für die Kreativität. In meiner Jugend ging ich in Sheffield auf Partys, da legten immer die gleichen DJs auf, dieselbe Crowd war da, es herrschte eine ähnliche Dynamik. Weil die Szene ihre Ruhe hatte, konnte sie Musik erfinden, die es vorher nicht gab: Bleep Techno zum Beispiel. Warp Records entstand aus dieser Gemengelage in Sheffield, oder auch die Szene in Manchester."
So geht Retro-Sound
"Róisín Machine" ist ein Album, dem man durchaus anhört, dass Menschen aus den 80ern und 90ern es gemacht haben. Der Retro-Effekt ist gewollt. Nicht nur alter Sheffield- und Manchester-Sound fließen in die zehn Tracks ein. Manchmal glaubt man auch, Einflüsse von Michael Jackson oder Prince zu entdecken, was in diesem Kontext durchaus charmant klingt.
Ob sich die Clubkultur je von Corona erholen wird, ist unklar. Aber mit Róisín Murphy hat sie eine leidenschaftliche Mitstreiterin gefunden. Murphy wird weitermachen, der Vergangenheit huldigen, Neues hinzudichten, für musikalische Irritationen sorgen: im Wohnzimmer, im Studio oder an neuen, öffentlichen Orten, die man vielleicht noch entdecken muss.