Zu sehen im Liebieghaus Frankfurt
Gefährliche Liebschaften. Die Kunst des französischen Rokoko
Vom 4.11.15 bis zum 28.03.16
Nicht einfach bloß Nippes
Sie gilt als verspielt, protzig und amoralisch – die Kunst des Rokoko. Zeit, eine Lanze für diese Kunst der Empfindsamkeit zu brechen? Das jedenfalls versucht das Frankfurter Liebieghaus, die Skulpturensammlung des Städel-Museums mit dem reißerischen Titel: "Gefährliche Liebschaften".
Vorhang auf: Wir betreten einen Rokokosalon. Eingerichtet, wie es sich gehört: mit Sesseln, Kommoden, Gemälden, Spiegeln, Kerzenhaltern und Porzellan.
Kuratorin Mareike Bückling: "Verblüffender Auftakt? - Eigentlich gar nicht so verblüffend, denn wir zeigen einen Rokoko-Salon, leicht verkleinert, aus Hessen, Kassel-Calden, da gibt es einen kleinen Sommersitz der Landgrafen Hessen-Kassel. Und der Musensaal ist hier wiedererstanden...."
Kuratorin Mareike Bückling weist mich hin auf die dezente Fototapete. Sie zeigt den Blick aus den Fenstern des Lustschlosses: Parklandschaft, Bäume, Natur. Denn das Rokoko, also die Zeit ab 1715, möchte das steife höfische Zeremoniell los werden und sucht Zuflucht in der Natur: Schäfer und Schäferinnen sind die neuen Rollenmodelle. Auf dem Theater, in der Literatur, in Malerei und Plastik. Und diese Sehnsucht nach Natürlichkeit, die uns heute so künstlich erscheint, verbindet sich mit einer Vorstellung von Liebe und Intimität, die damals völlig neu ist. Uns dagegen erscheint sie äußerst vertraut.
"Das neue Liebesmodell des Rokoko sagt einfach aus, dass zwei Menschen den Sinn ihres Lebens in der gegenseitigen Liebe empfinden, sie ist ruhig, sie ist sanft, zärtlich, vielleicht bürgerlich, und allein die Wahrheit zwischen zwei Menschen".
Und die Ausstellung zeigt, wie dieses neue Liebesmodell in allen Gattungen der Kunst gefeiert wird: in der Malerei von Watteau, Fragonard und Boucher, in den Skulpturen von Falconet und Pigalle oder in den Porzellanfiguren, die nach deren Vorbild gemacht worden sind. Da sieht man einander zärtlich zugeneigte Paare, schmachtende Blicke, viel nackte rosige Haut, sanfte oder verlangende Küsse.
"Die größeren Werke, die wir hier haben, muss man sich auf Kommoden und Kaminsimsen vorstellen, die andern, viele kleine, sind gemacht, um auf der Desserttafel aufgestellt zu werden. - Eine gewisse Assoziation an Zuckerbäckerei? - Das war der Ursprung, ist dann abgelöst worden vom Porzellan. Wir versuchen auch die Porzellanwerke als Kleinplastik zu verstehen, denn vielfach beziehen sie sich auf große Marmorskulpturen. Und ich möchte eigentlich, dass diese Porzellanplastik aus dem Ruch herauskommt, einfach bloß Nippes zu sein".
Unbefangener Blick auf den "drohenden Armor"
Und warum heißt das Ganze "Gefährliche Liebschaften", wenn es doch in Wirklichkeit um Zärtlichkeit und Zuwendung geht? Ziemlich reißerisch, das gibt Mareike Bückling zu. Außerdem vom Schriftsteller Choderlos de Laclos geklaut, der nun grade das neue Liebesmodell als verlogen und heuchlerisch attackierte. Aber das sei nun mal unsere Vorstellung vom Rokoko. Jetzt aber sollten wir einen neuen unbefangenen Blick auf diese Kunst werfen. Ehrlich gesagt fällt es mir nicht ganz leicht, den vielen süßlichen Porzellanplastiken Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Obwohl Meister ihres Fachs wie Etienne Maurice Falconet erstaunliche Lebendigkeit ins Spiel bringen. Seine Marmorskulptur vom "drohenden Amor", die er für Madame de Pompadour geschaffen hatte, nötigt auch mir Respekt ab. Sie ist von großer Anmut; Haut, Haar, Federn sind subtil und überzeugend modelliert.
"Auf den ersten Blick ist es erst mal ein sehr niedlicher Junge, der so ein bisschen verschmitzt guckt, und auf den zweiten Blick sieht man dann aber: Es ist nicht einfach ein schelmisch blickender Junge, sondern es ist der Liebesgott, der so halb selbstvergessen nach den Pfeilen tastet, die unten in seinem Köcher sind, und zugleich uns darauf hinweist, wir möchten jetzt bitte schweigen über das, was er jetzt an Gefährlichem vor hat".
Und auch Falconets "Badende" ist ein Meisterwerk der Natürlichkeit. Da sehen wir keine hoheitsvolle Göttin, die sich herab lässt. Sondern eine junge Frau, die vorsichtig ihre Fußspitze ins Wasser taucht, um zu fühlen, wie warm oder kalt es ist. Diese Marmorskulptur hatte eine wahre Mode zur Folge, jeder wollte diese anmutige Skulptur besitzen, sie kursierte in zahlreichen Kopien und Variationen.
Die sinnlichen Skulpturen, Gemälde und Porzellane des Rokoko sind frivol und keusch zugleich. Eine einzige Einstimmung auf die Liebe.