Die besten Songs aller Zeiten?
"Best Of"-Listen stiften Orientierung, schaffen Kaufanreize und provozieren Meinungen. Das Musikmagazin "Rolling Stone" hat jetzt seine Liste der "500 besten Songs aller Zeiten" neu zusammengestellt – mit viel Stoff für Diskussionen.
Als der "Rolling Stone" 2004 seine Liste der "500 besten Songs aller Zeiten" veröffentlicht, da war Billie Eilish gerade mal drei Jahre alt. Jetzt hat die Redaktion die Liste komplett überarbeitet und nach 17 Jahren eine neue Zusammenstellung veröffentlicht, auf der die amerikanische Sängerin mit dem Lied "Bad Guy" Platz 178 erreicht.
250 Musikerinnen und Musiker, Fachleute aus der Musikindustrie und die US-Redaktion des Magazins "Rolling Stone" haben für die neue Top 500 abgestimmt.
Anlass für die Neuauflage: Man habe die Liste nach 17 Jahren einfach "verjüngen" wollen. In den 2000er- und 2010er-Jahren habe es im Pop, aber auch in der Musiktechnologie Entwicklungen gegeben, die sich in der alten Liste nicht widergespiegelt hätten. So war 2004 der iPod gerade aktuell, von Musikstreaming hat noch niemand geredet.
Natürlich verfolgt der "Rolling Stone" auch kommerzielle Interessen: Eine solches Format generiert Klicks, lockt Werbekunden. Die Liste von 2004 wurde bis heute viele hundert Millionen Mal aufgerufen. Die Verjüngung macht sich aber inhaltlich auch durchaus bemerkbar.
Bessere Repräsentation
Über die Hälfte der Songs waren bislang nicht aufgeführt. Die stilistische Bandbreite ist deutlich größer. In der neuen Edition finden sich Hip-Hop, R'n'B, Indie, Latin und sogar ein K-Pop-Titel. Die alte Liste enthält viel Rock und Soul aus den Sechzigern und Siebzigern. Auf den ersten drei Plätzen der alten Liste: "Like A Rolling Stone" von Bob Dylan, "Satisfaction" von den Rolling Stones und "Imagine" von John Lennon.
Diese wurden jetzt von drei schwarzen Künstlerinnen und Künstlern abgelöst. "A Change is Gonna Come" von Sam Cooke aus dem Jahr 1964, eine Hymne der Bürgerrechtsbewegung. Public Enemy mit "Fight the Power", ursprünglich für einen Film von Spike Lee geschrieben.* Und auf Platz 1: Aretha Franklins "Respect". Ein Klassiker mit feministischer und antirassistischer Aussage.
Hier könnte die "Black Lives Matter"-Bewegung eine Rolle gespielt haben, die ja nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd weltweit gegen Rassismus und Polizeigewalt protestiert hat. Auch der Erfolg von Rappern wie Kanye West, Jay-Z oder der Sängerin Beyoncé dürfte sich positiv ausgewirkt haben.
Aber: Mit Abstand die meisten Songs in der Top-500-Liste stammen immer noch von zwei weißen Rockbands, die sich zu Beginn beim Rhythm and Blues "bedient" – und die schwarze Musik für ein weißes Massenpublikum adaptiert haben: den Rolling Stones und den Beatles. Popgeschichte wird bis heute von weißen Interpreten dominiert, auch wenn sich die Verhältnisse durchaus ein wenig verschoben haben.
Intransparenter Auswahlmechanismus
Viele Songs in der Liste stammen aus den letzten Jahren. "Old Town Road" von Lil Nas X etwa, "Savage" von Megan Thee Stallion oder "I Like It" von Cardi B und J Balvin. Alles große Hits, die zeigen, wie global und pluralistisch Pop heute ist. Aber werden diese Stücke in 30 Jahren den Stellenwert haben, den "House of the Rising Sun" oder "No Woman, No Cry" heute haben? Schwer zu sagen.
Umgekehrt scheint auch eine Neubewertung alter Songs stattzufinden: "Dreams" von Fleetwood Mac aus dem Jahr 1977 wurde letztes Jahr im sozialen Netzwerk TikTok zum viralen Hit. Jetzt steht es prominent auf Platz 9. Das hat auch Rolling-Stone-Redakteur Rob Sheffield überrascht. Im Podcast "Rolling Stone Music Now" sagte er:
"Wie sehr sich die Wahrnehmung von Musik über die Zeit ändert, darüber habe ich mit vielen Leuten gesprochen, seitdem wir die Liste veröffentlicht haben. 'Dreams' von Fleetwood Mac steht jetzt in den Top 10, vor einigen Jahren galt es nicht mal als eins der besten Stücke der Band. Es ist schön, zu sehen, wie sich die Hörgewohnheiten von Musik weiterentwickeln."
Was der Liste des "Rolling Stone" aber fehlt: Nachvollziehbarkeit. Nach welchen Kriterien wurde ausgewählt? Wurde hier auf eine stilistische Vielfalt geachtet? Auf einen bestimmten Altersdurchschnitt? Das macht die Auswahl weniger aussagekräftig. Was die Liste aber sehr gut zeigt: dass es einen musikalischen Kanon gibt, der einerseits sehr beständige Hits beinhaltet, andererseits aber auch stetig wächst und diverser wird.
*Redaktioneller Hinweis: Wir haben einen falschen Titel korrigiert.