Rolling Stones-Album mit historischen Aufnahmen

Die Stones bei der BBC

S/w-Bild: Fünf junge Männer mit längeren Haaren stehen in Pullover oder Jackett beieinander.
Rolling Stones 1964: Anfänge mit Blues- und Rock'n'Roll-Klassikern © Universal Music
Uwe Wohlmacher im Gespräch mit Mathias Mauersberger |
Es gibt ein neues Album der Jahrhundert-Band - mit 50 Jahre alten Aufnahmen aus den Studios der BBC. Ein fast zugleich erschienenes Buch macht die große Bedeutung greifbar, die der Sender für den Erfolg der Band und der britischen Popmusik überhaupt hatte.
Die Rolling Stones greifen tief in die Schatzkiste und zaubern auf dem neuen Album "On Air – In The Sixties" Aufnahmen hervor, die sie in den Studios der britischen Rundfunkanstalt BBC aufgenommen haben. Keine einzige der Aufnahmen gab es schon zuvor in Plattenläden, von acht der Cover-Songs gab es bis heute noch gar keine Version im offiziellen Stones-Katalog.
Mick Jagger, Keith Richards und Co. spielten die Aufnahmen in den Jahren 1963 bis 1965 ein, ohne Publikum. Dann wurden sie gesendet oder in den Shows der Anstalt abgespielt – und landeten am Ende im Archiv.

Album und Buch ergänzen sich wunderbar

Fast zugleich mit dem Album, ein paar Wochen zuvor, erschien zudem ein Buch unter dem gleichen Titel wie das Album. Geschrieben hat es Richard Havers. Beide Werke ergänzten sich wunderbar, sagt der Musikjournalist Uwe Wohlmacher. Vor allem lasse sich aus dem Buch auch herauslesen, welch wichtige Rolle die BBC für den Erfolg der Band und der britischen Popmusik generell gespielt habe.
Bei den 32 Aufnahmen auf dem Album handele es sich meist um Blues- und Rock’n’Roll-Klassiker, so Wohlmacher, die die Rolling Stones nur kurz nach dem Erscheinen ihrer ersten Single eingespielt hätten.
"Diese Aufnahmen waren für eigenen Sendungen bestimmt, für die Vielzahl an Radio und Fernsehen-Sendungen, wurden dann aber auch in den USA und in Schweden bei entsprechenden Fernsehaufnahmen benutzt."

Hervorragende Produktionsqualität

Die Aufnahmen seien von hervorragender Qualität, sagt Wohlmacher: "Die BBC besitzt ja eine ganze Reihe von ganz eigenen Tonstudios, in denen eben auch Aufnahmen ab den 40er Jahren gemacht wurden, mit großen Orchesters, Filmmusik, etc." Erfahrung hatten die Techniker also und es waren eben auch reguläre Tonstudios, wahrscheinlich seien die Radioaufnahmen aber in sehr viel kürzerer Zeit eingespielt worden.
Für die Bearbeitung der alten Bänder sei zudem ein neues Verfahren angewendet worden: "Audio Source Separation heißt das, die alten muffigen Bänder, die wahrscheinlich auch furchtbar klangen, konnte man die Spuren jetzt einzeln herauslösen, bearbeiten, reinigen und am Ende wieder zusammensetzen, sodass man jetzt einen ganz fantastischen, ganz modernen Sound hat. Das wurde in den Abbey Road Studios gemacht."
Die Rolling Stones im Fernsehstudio
Die Rolling Stones im Fernsehstudio© Universal Music
Wohlmacher vermutet, dass das Erscheinen des Albums zum jetzigen Zeitpunkt mit der Arbeit der Stones an ihrem jüngsten Studioalbum "Blue & Lonesome" zu tun hat. "Also, die Stones erinnern sich sozusagen am Ende ihrer Karriere wieder ihrer frühen Tage, als sie mit Blues- und eben auch Rock’n’Roll–Klassikern begannen."

Damals nicht mehr als Fingerübungen

Und warum erschienen die Aufnahmen nicht schon damals? Musikjournalist Wohlmacher betont, dass die Aufnahmen eben nicht für eine Veröffentlichung als Single oder Album gedacht gewesen seien, sondern nur die Sendungen produziert wurden.
"Es war ja auch so, dass damals eine sehr hohe Veröffentlichungsfrequenz war, man hat also alle drei vier Monate eine neue Single rausgeschmissen, bis zu zwei LPs im Jahr. Und die Stones waren schon sehr früh angehalten, wie die Beatles ihre eigenen Songs zu schreiben. Daran war ja auch logischerweise auch mehr Geld zu verdienen."
Die Aufnahmen bei der BBC seien Fingerübungen gewesen, die Stones hätten jede Menge Blues-Songs aufgenommen. "Die verschwanden einfach wieder im Archiv und man hat sie vergessen."
Hochinteressant sind die Rahmenbedingungen, in denen die Rolling Stones ihre Karriere begannen, schon allein die Frage, warum die BBC so viele Aufnahmen mit jungen Bands gemacht hat.

Festangestellte Techniker

Wohlmacher vermutet dahinter auch Gründe der Arbeitsorganisation und der gewerkschaftlichen Vertretung in der BBC: "Die Musik fürs Radio wurde ja selbst produziert. So hatte man ein ganzes Heer an festangestellten Technikern, die beschäftigt werden mussten."
Ein weiterer Aspekt ist, dass es neue Konkurrenz gab: "Dazu kam, dass 1964 die Piratensender auf Sendung gingen und man wollte natürlich was dagegen setzen. Und man hatte dann eine ganz große Zahl an Sendungen, auch im Fernsehen, ganz anders als bei uns – Ready, Steady, Go, Top oft he Pops, Top Gear, David Frost Show, Saturday Club Thank you, Lucky Star, viele andere – die mussten beliefert werden."
All die Motive haben wohl zusammengewirkt: "Man hat da wirklich alle Bands eingeladen. Vor einigen Jahren sind ja auch die Aufnahmen der Beatles schon erschienen, also von oben runter: Es war nicht so, dass man nur die Künstler bekommen konnte, die mal in zweiter, dritter Reihe waren, ganz im Gegenteil."
Auch die Topbands seien eben ins Studio der BBC gekommen: "Led Zeppelin, Fleetwood Mac, Jimi Hendrix, Queen – bis heute zieht sich das durch. David Bowie ist auch vor einiger Zeit veröffentlicht worden – die ganzen Aufnahmen, Paul Weller, Amy Winehouse. Aber auch die ganzen klassischen Aufnahmen, Musik und Jazz, das hat natürlich der Szene extrem genutzt."

Massive Unterstützung durch die BBC

In dem Buch von Richard Havers finden sich viele unveröffentlichte Fotos, aber auch Korrespondenz zwischen BBC und den Künstlern, sogar Verträge: "Es ist abzulesen, was es an Honorar gab – 36 Pfund Einheitshonorar für diese Auftritte, auch bei den Superstars."
Uwe Wohlmacher weist noch auf eine Liste hin, die in dem Buch erschienen ist. Die aller TV- und Radio-Auftritte. Und da seien eben bei den Rolling Stones in 1964 und 1965 über 40 Auftritte aufgeführt.
"Da sieht man mal, was für eine massive Unterstützung die bekamen, ganz anders als bei uns, da gab es gerade mal den ‚Beatclub‘, in den 70ern vielleicht noch ‚Disco‘. Da konnte mal als Band vielleicht eins, zweimal auftreten, das war’s. Insofern war das schon eine grandiose Unterstützung."
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