Die bürgerfeindliche Stadt
Goethes "Italienische Reise" trifft auf Italiens Wirklichkeit – Teil 4 unserer Serie beschreibt Rom, das eigentliche Ziel der Sehnsucht des Schriftstellers. Und heute? "Die Stadt ist nicht in bester Form", lautet das höflichste Urteil.
Johann Wolfgang von Goethe war am 29. Oktober 1786 am Ziel seiner Träume. Er berauscht sich an den Schätzen der Stadt, fühlt sich im Geiste der Antike wiedergeboren.
So geht es auch heutigen Romreisenden, und manchmal ist es ein trauriges Geschäft auch für den, der hier lebt. Die Stadt breche unter ihrem übergroßen historischen Erbe, von der römischen Antike über die Päpste bis zum Faschismus, schier zusammen, lautet eine gängige These. Francesco Rutelli war Kulturminister in Italien und acht Jahre Bürgermeister dieser Stadt, die viele für unregierbar halten. Auch er begründet einige Probleme in der Stadtendwicklung mit der Last der Antike:
"Rom hatte im dritten Jahrhundert mehr als eine Million Bewohner, und diese Million lebte sicherlich nicht in Hochhäusern oder Gebäuden mit zehn Stockwerken. Über das gesamte Stadtgebiet gab es Häuser, auch Vorstadtvillen, und die Fläche war dieselbe wie die des heutigen Roms. Das bedeutet, wo auch immer etwas Neues entstehen soll, stößt man auf Reste der Antike."
Ineffizienz und Indifferenz
Martin Baumeister, der Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom:
"Das ist natürlich ein Argument, aber es ist überhaupt kein Argument dafür, dass die Busse hier nicht funktionieren, und dass die Angestellten der öffentlichen Verkehrsbetriebe, der Müllabfuhr und anderer sehr aufgeblähter Verwaltungsstrukturen und Dienstleistungsstrukturen der Gemeinde ihren Job nicht machen. Diese Stadt ist, wenn man das über mehrere Jahre hin verfolgt, ein Ausbund der Ineffizienz, der Indifferenz und auch der Bürgerfeindlichkeit."
Martin Baumeister kennt die Ausreden. Die Last der Vergangenheit muss dafür herhalten, dass in Rom die Gegenwart so oft nicht funktioniert. Verzögerungen beim Bau der römischen U-Bahn, die berühmt-berüchtigt ist, liegen nicht in erster Linie an antiken Funden, sondern vor allem an Korruption. Generell geht die Stadtverwaltung mit großem Sachverstand und auch mit hohen Investitionen mit der Antike um.
Verfallenes Mausoleum, quälender Verkehr
Die riesige Herausforderung zeigt sich an einer Stelle besonders gut: am Tiber steht die Ara Pacis, der Friedensaltar des Augustus. Als Francesco Rutelli Bürgermeister war, wurde Stararchitekt Richard Meier beauftragt, um den Friedensaltar herum ein Museum zu bauen. Inzwischen gehört es zu den meistbesuchten Roms. Dahinter steht das Augustus-Mausoleum – und das verfällt. Die letzten, umfassenden Restaurierungen wurden in der Zeit des Faschismus gemacht, es ist also lange her. Am Tiber entlang quälen sich die Autos und Motorräder durch den Verkehr, an dem Rom schier erstickt.
Francesco Rutelli: "Die Stadt ist nicht in bester Form. Es hat eine Reihe von schweren verwaltungstechnischen Rückschlägen gegeben. Acht Jahre lang hat die Stadtverwaltung schlecht gearbeitet. Rom ist sicherlich nicht in ihrem blühendstem Zustand, obwohl es schon sehr viel bedarf, die Schönheit der Stadt zu erschüttern."
Die Peripherie wurde vernachlässigt
Während Goethe mühsam versuchte, "das alte Rom aus dem neuen herauszuklauben", ist das Leben besonders außerhalb des historischen Stadtkerns oft besonders beschwerlich. Denn Geld, so Martin Baumeister, sei meist in das antike Rom investiert worden:
"Ein Nebeneffekt ist, dass die Fixierung auf die Antike auch dazu führt, dass das, was sich an Stadt vor allen Dingen auch nach 1950 entwickelt hat und wo heute 80 Prozent der Römer oder vielleicht sogar noch mehr wohnen und was gerne als Peripherie bezeichnet wird, dass diese weiten Teile der neueren Stadt zum Teil heillos vernachlässigt sind. Und auch in einer Weise gebaut sind und gebaut werden, die nicht den Bedürfnissen der normalen Bürger entspricht."