Roma-Musik

Klangreise auf dem Balkan

Der bosnische Musiker Goran Bregovic bei einem Besuch der Roma-Gemeinde in Sarajewo im Dezember 2013.
Der bosnische Musiker Goran Bregovic bei einem Besuch der Roma-Gemeinde in Sarajewo im Dezember 2013. © AFP / Foto: Elvis Barukcic
Olga Hochweis im Gespräch mit Haino Rindler |
Mit seinem Sampler "Champagne for Gipsies" feierte der Musiker Goran Bregovic vor zwei Jahren die Vielfalt der Gipsy-Szene und förderte damit auch den Boom des Balkan-Beats. Künstlerkollektive haben jetzt neue Roma-Klänge veröffentlicht.
Haino Rindler: Wohin führt uns die Reise zuerst?
Olga Hochweis: Nach Katalonien. Wir hören gleich das "Barcelona Gipsy Klezmer Orchestra", wie der Name schon sagt, ein Kollektiv, dem nicht nur die Gipsy-Musik am Herzen liegt. Aber besonders gelungen ist ihnen auf ihrem neuen Album "Imbarca". Tatsächlich eines der bekanntesten Roma-Stücke, und das hören wir jetzt "Djelem Djelem".
Einspieler des Musiktitels "Djelem Djelem"
Rindler: Das Barcelona Gipsy Klezmer Orchestra mit Musik vom Album "Imbarca": "Djelem Djelem", Olga Hochweis, nicht irgendein Stück, richtig?
Hochweis: Es wurde sogar ganz offiziell vor rund 40 Jahren auf dem ersten Roma-Weltkongress zur Hymne der Roma-Bewegung erklärt. Die Melodie basiert auf einem serbischen Liebeslied, aber der Text, 1969 verfasst, handelt von der Vertreibung und Ermordung der Roma auf dem Gebiet von Ex-Jugoslawien. Sicher auch eine Art Statement für die Roma, dass das Barcelona Gipsy Klezmer Orchestra gerade diesen Titel eingespielt hat.
Rindler: Hat das zu tun konkret mit den Musikern, die in dem Kollektiv spielen?
"Musiker aus der ganzen Welt haben sich zusammengetan"
Hochweis: Ja und nein. Es sind, wenn man so will (und das Klischee des Nomadentums bemühen will) alles permanent Reisende. Etwas übrigens, das sich bei allen Interpreten, die ich heute vorstelle, wiederholt. Im Barcelona Gipsy Klezmer haben sich Musiker aus der ganzen Welt zusammengetan: aus Mexiko, Italien, Serbien, Indien, Katalonien, Griechenland und Frankreich. Die Geigerin Vroni Schnattinger kommt aus Deutschland, zentraler Kopf ist der Klarinettist Robindro Nikolic, in Serbien aufgewachsen, klassisch ausgebildet, (er war bis vor fünf Jahren noch Solo-Klarinettist bei den Salzburger Solisten), hat aber über den Umgang u.a. mit indischer Musik den Zugang zur Roma-Musik gefunden. Auf dem Album "Imbarca" gelingt es dem BGKO mit sehr beseelten Live-Einspielungen, diesen unmittelbaren Ausdruck der Roma-Musik, aber auch traditioneller Klezmerlieder oder katalanischer Musik zu transportieren.
Rindler: Also, wenn ich richtig verstehe, sind das überwiegend Nicht-Roma, die sich da mit traditioneller Roma-Musik beschäftigen. Das scheint gerade (oder auch schon seit mehreren Jahren) ziemlich en vogue in unseren globalisierten Zeiten, oder? weil der Balkan sich ja allgemein prima verkauft .
Hochweis: Stimmt, ein hartnäckiger Trend, vorausgesetzt, er kommt simpel und party-fröhlich daher, Stichwort Balkan-Beats und Shantel etc. Weniger oft trifft man aber auf Leute, denen es um so ein Stück authentischer Roma-Kultur geht. Das gilt ganz sicher auch für das Soundwalk Collective, von dem morgen beim Berliner Label Asphalt Tango Records eine ganz besondere musikalische Klangreise veröffentlicht wird, "Sons of the Wind", eine Reise durch Roma-Siedlungen. Der Versuch, die Migration der Roma vor 1.000 Jahren aus Nordindien kommend, nachzuerleben, entlang der Donau von der Ukraine bis nach Süddeutschland.
Einspieler Musikausschnitt aus "Sons of the Wind"
Rindler: Eine Klangreise sagten Sie, d.h. "Sons of the Wind" ist also kein reines Musikalbum?
"Die Musik ist eingebettet in einer Collage aus verschiedenen Feldaufnahmen"
Hochweis: Nein, auch wenn man unterwegs Musik hört, von bekannten Roma-Musikern aus Rumänien oder Mazedonien, aber die Musik ist nur eine von vielen Klangquellen, sie ist eingebettet in einer Collage aus verschiedenen Feldaufnahmen. Geräuschen, Stimmen. Das New Yorker Soundwalk Collektive sind drei Klangkünstler. Sie arbeiten meist an realen Orten mit konkreten Personen, mit deren Ohren der Hörer quasi auf der Reise ist. Eine Art Kino für die Ohren und das in symphonischer Länge von knapp 50 Minuten.
Rindler: Und in diese Symphonie sollten wir mal reinhören, welchen Ausschnitt hören wir?
Hochweis: Gleichdie erste Station dieser Reise entlang der Donau, in der Mahala, der Roma-Siedlung der ukrainischen Stadt Ismail, am Donau-Delta, die mit Möwengeschrei beginnt.
Rindler: Der Beginn der Klangreise "Sons of the Wind“. Olga Hochweis stellt uns das Projekt des Künstlertrios "Soundwalk Collective" vor. Welche Gestalt hatte die Musik der einzelnen Roma-Siedlungen nun in den einzelnen Ländern, gibt es da regionale Unterschiede?
Hochweis: Klar, da gibt es unterschiedliche Instrumente, die etwa in Rumänien oder in der Ukraine bevorzugt werden, hier eben haben wir zuletzt in der ukrainischen Stadt Ismail den Roma-Akkordeonisten Stepan Martinovitch gehört. In dem rumänischen Dorf Clejani, aus dem die berühmte Kapelle Taraf de Haidouks kommt, dominiert die Geige, in Bulgarien die Blasinstrumente, aber als ich Simone Merli, aus Italien, einen der drei vom "Soundwalk Collective", auf die einzelnen Musiker angesprochen habe, antwortete er weniger musik-stilistisch als soziologisch:
Simone Merli: Je weiter man in den Westen entlang der Donau kommt, desto weniger fand man dort Musik, die überleben konnte. Sobald man in Ländern wie der Slowakei oder Österreich ist, trifft man auf klitzekleine Mahalas, und es gibt auch Orte wie in Österreich, wo gar keine Musiker mehr existieren. Es ist eine sowohl traurige wie interessante Geschichte, und sie hat zu tun mit den Versuchen, die Roma in die westeuropäische Kultur zu integrieren. Im Zuge dieser Politik haben viele Roma ihre Sprache und ihre Wurzeln verloren – und auch ein Gefühl des Glücks, das man in den westlichen Ländern so nicht mehr kennt. Im Süden Bulgariens oder in Rumänien dagegen sieht man dieses Glück, auch wenn die Lebensbedingungen wirklich hart sind. Es gibt so etwas wie Gemeinschaft und Familie, wie wir das nicht mehr kennen. Es ist etwas, das wir verloren haben, vor langer Zeit, und sie haben es geschafft, das zu erhalten und das hält sie zusammen. Musik ist für manche von ihnen eine echte Sprache, die von Generation zu Generation weitergetragen wird und die nie aufhört, zu existieren.
Rindler: Simone Merli, einer der drei Klangkünstler des "Soundwalk Collectivec" über das jüngste Projekt "Sons of the Wind", das morgen erscheint.
Hochweis: Es gibt noch ein drittes Beispiel, in das wir hineinhören wollen. Musik aus der Bretagne, und die schlägt gewissermaßen den Bogen zwischen Roma-und Nicht-Roma, das Gipsy Burek Orchestar. Der Saxofonist Franch Martres lebt zur Hälfte in der Bretagne, zur Hälfte in Mazedonien. Auf seine Initiative hat seine Band Burek Solisten des Kocani Orkestars in Mazedonien angesprochen für ein gemeinsames Projekt. Im Zentrum stand außerdem der Bombarden-Spieler Gaby Kerdoncuff -in der Bretagne ausgebildet, später in Rumänien, Mazedonien, aber auch dem türkischen Raum musikalische Studien betrieben. Also wieder mal sehr viele Weltbürger vereint, und die stellen vor allem Blasinstrumente ins Zentrum ihrer Musik: und ja, sie spannen auch stilistisch den Bogen, wie im folgenden Titel. "Burek Arabski Cocek" - der soll ein kleiner Disput sein zwischen einem nordfranzösischen Genre und dem Cocek-Tanz aus den Roma-Mahalas.
Einspieler des Musiktitels "Burek Arabski Cocek"
Rindler: "Burek Arabski Cocek" – ein Titel vom selbstbetitelten neuen Album des "Burek Gipsy Orkestar". Olga Hochweis hat uns Neuerscheinungen der Roma-Musik vorgestellt.
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