Roma-Musiker auf dem Balkan
Kaum eine weltmusikalische Richtung feiert in Westeuropa solche Erfolge wie die Gypsy-Musik. Wie sieht aber das Leben der Musiker bei der Rückkehr in ihre Heimatländer aus? Der neuseeländische Journalist Garth Cartwright hat für sein Buch "Balkan-Blues und Blaskapellen" einige von ihnen getroffen.
Als die Welt fertig erschaffen war und es nicht mehr viel zu verteilen gab, blieb für die zu spät gekommenen Roma eines übrig: die Musik. Das erzählt eine Legende dieses Volkes – gern auch Zigeuner genannt oder "fahrende Gesellen", freiheitsliebend und über alle Maßen musikalisch..
"Es ist schon paradox, dass diejenigen, die man einst wegen ihrer Freiheit feierte, heute äußerst unfrei sind. Im ständigen Kampf mit Armut, Visa-Gesetzen und Diskriminierung vegetieren viele Roma in einem europäischen Schattenreich. Und aus diesem Schattenreich kommt man oft nur über die Musik raus."
Roma-Musiker auf dem Balkan. Weit jenseits der Legenden und schönen Klischees interessieren Garth Cartwright in seinem Buch die Realitäten, der alles andere als normale Alltag. Und der hat für die Roma natürlich nicht nur mit Musik, sondern viel mit sozialen und politischen Fragen zu tun, mit ihrer leidvollen Geschichte und mit der Tatsache, dass diese Vergangenheit, genau wie ihre bedrückende Gegenwart, auch heute noch vielfach totgeschwiegen wird. Ein Grund, warum Garth Cartwright den Roma in seinem Buch eine Stimme gegeben hat, warum er ihren Gesang, ihre Melodien und die Geschichten dazu hören wollte. Monatelang reiste er deshalb mit dem Zug, per Bus und auch mit dem berühmten klapprigen Auto durch vier Länder des Balkans: Serbien, Mazedonien, Rumänien und Bulgarien. Dort traf er, neben Musikethnologen und Plattenproduzenten, rund zwei Dutzend Roma-Musiker.
Manche von ihnen mischen aktuell ganz oben in den internationalen "Weltmusik"-Charts mit, wie die serbische Band Kal oder die berühmte Fanfare Ciocarlia, die in London und Berlin umjubelte Konzerte gibt. Andere wie die mazedonische Sängerin Esma werden seit Jahrzehnten fast ausschließlich in ihrer Heimat verehrt und sind zu bescheidenem Wohlstand gelangt. Sie bleiben die große Ausnahme. Die meisten Roma-Musiker kehren, auch nach erfolgter Auslands-Tournee, in ihre schäbigen Stammquartiere zurück und hausen weiter in der sogenannten Mahala, dem Roma-Viertel, das meist nur ein netteres Wort für "Ghetto" ist. Ein Ort zum Beispiel wie die Heimat des bulgarischen Roma-Sängers Jony Iliev:
"Hier werden die Häuser zu Hütten, die man aus Beton, Ziegeln, Holz und Segeltuch zusammengeschustert hat. Den Fenstern fehlt das Glas – den Abfall hat man einfach weggeworfen und Plastiktüten treiben wie Konfetti auf dem Fluss… Es gibt keine Kanalisation oder fließendes Wasser für diese Baracken. Um Elektrizität zu bekommen, zapft man einfach die Stromleitungen an, und die Straßen sind der pure Dreck. Jetzt kapiere ich Jonys Ausspruch: wenn es hier regnet, dann ist es der traurigste Platz auf Erden."
… drastisch und eindringlich wie hier schildert Garth Cartwright die bizarren Orte, durch die ihn seine Odyssee auf dem Balkan führt: trostlose Plattenbausiedlungen in Belgrad oder Sofia, bunte kleine Dörfer wie Clejani in Rumänien, wo die gefeierte Truppe der Taraf de Hajdouks zu Hause ist, abgelegene Siedlungen im Niemandsland irgendwo an der Grenze zu Mazedonien. Umgekehrt ganz begeistert, ja fast überbordend euphorisch klingt Cartwright, wenn er von der Tiefe und Intensität der Roma-Musik berichtet: vom Musikwettbewerb z.B. in der südserbischen Blaskapellen-Hochburg Guca oder von trinkfreudigen Besuchen auf irrwitzigen Hochzeitsfeiern mit anschließender schmerzvoller Ausnüchterung.
Streckenweise liest sich das wie ein alternatives Reisetagebuch - salopp und jugendlich geschrieben wie ein "Lonely Planet"-Guide á la "Let´s go Romania", mit Tipps für gute Musikkneipen und brauchbare bezahlbare Quartiere. So manchen ausufernden Smalltalk hätte der Lektor, bei aller atmosphärischen Dichte, ruhig wegredigieren können. Die detailreiche Fülle an Begegnungen und Gesprächen lässt manchmal einen klaren roten Faden vermissen, wenn z.B. so disparate Dinge wie historische Rückblicke mit kulinarischen Impressionen und architektonischen Skizzen durcheinandergemischt werden. Am überzeugendsten ist Cartwrights Buch, wenn es sich ganz auf die Musik konzentriert, Stile und Strömungen vorstellt oder sich die Zeit nimmt, einen Roma-Musiker genauer zu porträtieren, wie das im Kapitel über den serbischen Sänger Saban Bajramovic geschieht.
Der "König der Roma-Musik" ist erst kürzlich, Anfang Juni, in seiner Heimatstadt Nis 72-jährig gestorben – hinterlassen hat er eine Unmenge an Liedern mit den Geschichten dieses unglaublichen Lebens. Und Bajramovics Worte, nachzulesen in Cartwrights Buch, bringen auf den Punkt, was die meisten Roma-Musiker heute denken:
"Niemand kümmert sich um die Gypsies in Europa.. Die Leute lieben uns Musiker, wollen aber mit gewöhnlichen Gypsies nichts zu tun haben. Wollen sie nicht von der Straße holen oder die Musiker auf ein Konservatorium schicken. Sie ignorieren uns einfach."
Rezensiert von Olga Hochweis
Garth Cartwright: Balkan-Blues und Blaskapellen - Unterwegs mit Gypsy-Musikern in Serbien, Makedonien, Rumänien und Bulgarien
Übersetzt von Jörg Gülden
Hannibal Verlag Innsbruck, 360 Seiten , 24,90 Euro
"Es ist schon paradox, dass diejenigen, die man einst wegen ihrer Freiheit feierte, heute äußerst unfrei sind. Im ständigen Kampf mit Armut, Visa-Gesetzen und Diskriminierung vegetieren viele Roma in einem europäischen Schattenreich. Und aus diesem Schattenreich kommt man oft nur über die Musik raus."
Roma-Musiker auf dem Balkan. Weit jenseits der Legenden und schönen Klischees interessieren Garth Cartwright in seinem Buch die Realitäten, der alles andere als normale Alltag. Und der hat für die Roma natürlich nicht nur mit Musik, sondern viel mit sozialen und politischen Fragen zu tun, mit ihrer leidvollen Geschichte und mit der Tatsache, dass diese Vergangenheit, genau wie ihre bedrückende Gegenwart, auch heute noch vielfach totgeschwiegen wird. Ein Grund, warum Garth Cartwright den Roma in seinem Buch eine Stimme gegeben hat, warum er ihren Gesang, ihre Melodien und die Geschichten dazu hören wollte. Monatelang reiste er deshalb mit dem Zug, per Bus und auch mit dem berühmten klapprigen Auto durch vier Länder des Balkans: Serbien, Mazedonien, Rumänien und Bulgarien. Dort traf er, neben Musikethnologen und Plattenproduzenten, rund zwei Dutzend Roma-Musiker.
Manche von ihnen mischen aktuell ganz oben in den internationalen "Weltmusik"-Charts mit, wie die serbische Band Kal oder die berühmte Fanfare Ciocarlia, die in London und Berlin umjubelte Konzerte gibt. Andere wie die mazedonische Sängerin Esma werden seit Jahrzehnten fast ausschließlich in ihrer Heimat verehrt und sind zu bescheidenem Wohlstand gelangt. Sie bleiben die große Ausnahme. Die meisten Roma-Musiker kehren, auch nach erfolgter Auslands-Tournee, in ihre schäbigen Stammquartiere zurück und hausen weiter in der sogenannten Mahala, dem Roma-Viertel, das meist nur ein netteres Wort für "Ghetto" ist. Ein Ort zum Beispiel wie die Heimat des bulgarischen Roma-Sängers Jony Iliev:
"Hier werden die Häuser zu Hütten, die man aus Beton, Ziegeln, Holz und Segeltuch zusammengeschustert hat. Den Fenstern fehlt das Glas – den Abfall hat man einfach weggeworfen und Plastiktüten treiben wie Konfetti auf dem Fluss… Es gibt keine Kanalisation oder fließendes Wasser für diese Baracken. Um Elektrizität zu bekommen, zapft man einfach die Stromleitungen an, und die Straßen sind der pure Dreck. Jetzt kapiere ich Jonys Ausspruch: wenn es hier regnet, dann ist es der traurigste Platz auf Erden."
… drastisch und eindringlich wie hier schildert Garth Cartwright die bizarren Orte, durch die ihn seine Odyssee auf dem Balkan führt: trostlose Plattenbausiedlungen in Belgrad oder Sofia, bunte kleine Dörfer wie Clejani in Rumänien, wo die gefeierte Truppe der Taraf de Hajdouks zu Hause ist, abgelegene Siedlungen im Niemandsland irgendwo an der Grenze zu Mazedonien. Umgekehrt ganz begeistert, ja fast überbordend euphorisch klingt Cartwright, wenn er von der Tiefe und Intensität der Roma-Musik berichtet: vom Musikwettbewerb z.B. in der südserbischen Blaskapellen-Hochburg Guca oder von trinkfreudigen Besuchen auf irrwitzigen Hochzeitsfeiern mit anschließender schmerzvoller Ausnüchterung.
Streckenweise liest sich das wie ein alternatives Reisetagebuch - salopp und jugendlich geschrieben wie ein "Lonely Planet"-Guide á la "Let´s go Romania", mit Tipps für gute Musikkneipen und brauchbare bezahlbare Quartiere. So manchen ausufernden Smalltalk hätte der Lektor, bei aller atmosphärischen Dichte, ruhig wegredigieren können. Die detailreiche Fülle an Begegnungen und Gesprächen lässt manchmal einen klaren roten Faden vermissen, wenn z.B. so disparate Dinge wie historische Rückblicke mit kulinarischen Impressionen und architektonischen Skizzen durcheinandergemischt werden. Am überzeugendsten ist Cartwrights Buch, wenn es sich ganz auf die Musik konzentriert, Stile und Strömungen vorstellt oder sich die Zeit nimmt, einen Roma-Musiker genauer zu porträtieren, wie das im Kapitel über den serbischen Sänger Saban Bajramovic geschieht.
Der "König der Roma-Musik" ist erst kürzlich, Anfang Juni, in seiner Heimatstadt Nis 72-jährig gestorben – hinterlassen hat er eine Unmenge an Liedern mit den Geschichten dieses unglaublichen Lebens. Und Bajramovics Worte, nachzulesen in Cartwrights Buch, bringen auf den Punkt, was die meisten Roma-Musiker heute denken:
"Niemand kümmert sich um die Gypsies in Europa.. Die Leute lieben uns Musiker, wollen aber mit gewöhnlichen Gypsies nichts zu tun haben. Wollen sie nicht von der Straße holen oder die Musiker auf ein Konservatorium schicken. Sie ignorieren uns einfach."
Rezensiert von Olga Hochweis
Garth Cartwright: Balkan-Blues und Blaskapellen - Unterwegs mit Gypsy-Musikern in Serbien, Makedonien, Rumänien und Bulgarien
Übersetzt von Jörg Gülden
Hannibal Verlag Innsbruck, 360 Seiten , 24,90 Euro