Roman als Vexierspiel
Die kurzen Geschichten im Buch der Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer gleichen Scherben. Der Leser ist gefordert, sie wie Puzzleteile zu sortieren und zu einem Ganzen zusammenzusetzen.
Brigitte Kronauers "Zwei schwarze Jäger" beginnt trügerisch einfach. Die erste Geschichte ist klar strukturiert, die darauf folgenden, viel kürzeren ebenfalls. Nur haben sie mit der ersten Erzählung und auch miteinander auf den ersten Blick gar nichts oder nur wenig zu tun. Das Lesevergnügen bleibt dennoch ungetrübt dank innerer Spannung, Absurdität, Komik und einer ungenannten gemeinsamen Unruhe.
Wie sagt es die Schriftstellerin Rita Palka: Alle Geschichten seien Beschwichtigungen. Was oder wer muss beschwichtigt werden?
Zunächst wohl Rita Palka. Der Bürgermeister begrüßt sie in einem Provinzschloss nämlich als Ida Palmer, wonach sie ihre Erzählung "Zwei schwarze Jäger" liest: Ein Paar betrachtet in der römischen Villa Borghese Statuen der Jäger, die zwei Löwen an der Leine führen, aber auch selbst gefesselt sind. Als sich die Frau den Jägern (oder Gefangenen?) zu sehr nähert, kommt es zu einem Handgemenge mit dem Wärter. Die Frau wird verletzt, lächelt aber, der Mann wundert sich, und aus dem eben noch stimmigen Bild ist ein rätselhaftes Geschehen geworden.
Die vom Organisator des Abends offenbar zwangsverpflichteten sieben Zuhörer nehmen es jedoch so gleichmütig hin, dass Palka sie nach der Pause grimmig und karikierend hineinfantasiert in ihre Erzählung "Die Grotte". Das bleibt unbemerkt, bis Palka klagt, in eine "abscheulich sich auftuende Schüssel" glotzen zu müssen: in die gähnende Mundhöhle der schlafenden Ehefrau des Organisators namens Schüssel. Abruptes Ende der Lesung. Etwas später trifft Frau Schüssel ihren Mann in verfänglicher, aber harmloser Haltung neben der von ihm verehrten Dichterin an und wirft wütend eine Porzellankopie der zwei Jägerstatuen zu Boden. Dann sammeln alle gemeinsam die Scherben auf. Erneut also ein rätselhafter Schluss.
Die nun folgenden Geschichten, die sich möglicherweise die schlaflose Dichterin ausdenkt, sind solche Scherben. Der Leser muss sie sortieren und vervollständigen, so, wie Palka die Zuhörer in die zweite Geschichte einbaute, um nach dem Misserfolg der ersten ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Weil alles doppelt vorhanden ist wie die schwarzen Jäger und ihre Kopie, wie Rita Palka und Ida Palmer, gleicht der Roman einem Vexierspiel.
Gegensätze regieren in Brigitte Kronauers Welttheater: Ein schüttelreimender Maler bezirzt eine Steuerberaterin, der Ehemann der Zahnärztin findet bei einer Prostituierten "Glanz" (auch, weil – Kronauers Witz verschmilzt Profanes und Erhabenes – die Frau putzwütig ist ...). Dazu antwortet auf diesen angedeuteten seltsamen Liebesreigen einer des Hasses: Auch Morde verdanken sich dem Streben nach Balance, weshalb sich die Mörderin umbringt, als das Böse in ihr überhand nimmt.
Klingt schwierig? Ist es keineswegs. Bei Kronauer steht es immer spitz auf Knopf: Jetzt gilt es!, sagt jeder Satz und wird vom nächsten, seinem Gegensatz, kühl konterkariert: "Mein Gott, hören Sie nur, wie kalt!" Dazu kommt ein fein dosierter Witz: Die ihren Nachwuchs ankeifende Mutter wird ernsthaft getadelt, weil sie so gar nicht der Vorlage für die säugende Isis und die milde Maria entspricht.
Vom Wunsch, diesen stets klaffenden Riss zwischen Wirklichkeit und Ideal zu heilen, und von seinem Gegensatz nach einem "Wuchern bis zur Verwahrlosung" erzählt Brigitte Kronauer grell und idyllisch, boshaft und freundlich, raffiniert und naiv. In jeder Zeile dieses kühn konstruierten Romans bebt, was in einer der Geschichten einen wunderbaren Namen trägt: "Drangsalshitze".
Besprochen von Jörg Plath
Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger
Klett-Cotta, Stuttgart 2009
286 Seiten, 21,90 Euro
Wie sagt es die Schriftstellerin Rita Palka: Alle Geschichten seien Beschwichtigungen. Was oder wer muss beschwichtigt werden?
Zunächst wohl Rita Palka. Der Bürgermeister begrüßt sie in einem Provinzschloss nämlich als Ida Palmer, wonach sie ihre Erzählung "Zwei schwarze Jäger" liest: Ein Paar betrachtet in der römischen Villa Borghese Statuen der Jäger, die zwei Löwen an der Leine führen, aber auch selbst gefesselt sind. Als sich die Frau den Jägern (oder Gefangenen?) zu sehr nähert, kommt es zu einem Handgemenge mit dem Wärter. Die Frau wird verletzt, lächelt aber, der Mann wundert sich, und aus dem eben noch stimmigen Bild ist ein rätselhaftes Geschehen geworden.
Die vom Organisator des Abends offenbar zwangsverpflichteten sieben Zuhörer nehmen es jedoch so gleichmütig hin, dass Palka sie nach der Pause grimmig und karikierend hineinfantasiert in ihre Erzählung "Die Grotte". Das bleibt unbemerkt, bis Palka klagt, in eine "abscheulich sich auftuende Schüssel" glotzen zu müssen: in die gähnende Mundhöhle der schlafenden Ehefrau des Organisators namens Schüssel. Abruptes Ende der Lesung. Etwas später trifft Frau Schüssel ihren Mann in verfänglicher, aber harmloser Haltung neben der von ihm verehrten Dichterin an und wirft wütend eine Porzellankopie der zwei Jägerstatuen zu Boden. Dann sammeln alle gemeinsam die Scherben auf. Erneut also ein rätselhafter Schluss.
Die nun folgenden Geschichten, die sich möglicherweise die schlaflose Dichterin ausdenkt, sind solche Scherben. Der Leser muss sie sortieren und vervollständigen, so, wie Palka die Zuhörer in die zweite Geschichte einbaute, um nach dem Misserfolg der ersten ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Weil alles doppelt vorhanden ist wie die schwarzen Jäger und ihre Kopie, wie Rita Palka und Ida Palmer, gleicht der Roman einem Vexierspiel.
Gegensätze regieren in Brigitte Kronauers Welttheater: Ein schüttelreimender Maler bezirzt eine Steuerberaterin, der Ehemann der Zahnärztin findet bei einer Prostituierten "Glanz" (auch, weil – Kronauers Witz verschmilzt Profanes und Erhabenes – die Frau putzwütig ist ...). Dazu antwortet auf diesen angedeuteten seltsamen Liebesreigen einer des Hasses: Auch Morde verdanken sich dem Streben nach Balance, weshalb sich die Mörderin umbringt, als das Böse in ihr überhand nimmt.
Klingt schwierig? Ist es keineswegs. Bei Kronauer steht es immer spitz auf Knopf: Jetzt gilt es!, sagt jeder Satz und wird vom nächsten, seinem Gegensatz, kühl konterkariert: "Mein Gott, hören Sie nur, wie kalt!" Dazu kommt ein fein dosierter Witz: Die ihren Nachwuchs ankeifende Mutter wird ernsthaft getadelt, weil sie so gar nicht der Vorlage für die säugende Isis und die milde Maria entspricht.
Vom Wunsch, diesen stets klaffenden Riss zwischen Wirklichkeit und Ideal zu heilen, und von seinem Gegensatz nach einem "Wuchern bis zur Verwahrlosung" erzählt Brigitte Kronauer grell und idyllisch, boshaft und freundlich, raffiniert und naiv. In jeder Zeile dieses kühn konstruierten Romans bebt, was in einer der Geschichten einen wunderbaren Namen trägt: "Drangsalshitze".
Besprochen von Jörg Plath
Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger
Klett-Cotta, Stuttgart 2009
286 Seiten, 21,90 Euro