Der Mitford-Adel als Skandalnudelfabrik
Schon einmal hat Susanne Kippenberger einen turbulenten Stoff glänzend bewältigt: mit der Biografie ihres genialen Maler-Bruders Martin. Jetzt widmet sie sich leichtfüßig und warmherzig den in Großbritannien für ihre Skandale berühmten, hochadeligen Mitford-Geschwistern.
Sechs Schwestern und ein Bruder aus feinsten Kreisen, so fein, dass die Gören nicht mal zur Schule müssen und die geschwisterlichen Dynamiken von keinem anderen Kind verwässert werden – das allein ist narrativ reizvoll. Britischer Hochadel, landsitz- und empiregestützt, mit Lizenz zur Exzentrik. Weil diese Siebenerbande dann noch in eine Epoche hineingeboren wurde, in der zwei bis zum Exzess getriebene Extremismen die alte Weltordnung zerschmetterten, und in ihren Entwicklungen buchstäblich alles exaltierten, was das 20. Jahrhundert an "Rollen" und Zuordnungen zu bieten hatte, dann schreit das geradezu nach Erzähltwerden.
Die Mitfords, geboren zwischen 1904 und 1920, in den Jahren zwischen den Weltkriegen eine veritable Skandalnudelfabrik und so notorisch in angelsächsischen Klatschspalten, dass man stutzt: Deren Geschichte wird erst jetzt erzählt? Und ausgerechnet auf Deutsch? Denn hierzulande sind die Mitford-Schwestern kaum bekannt. Aber wahrscheinlich braucht es einfach eine Erzählerin wie Susanne Kippenberger. Sie ist Journalistin wie ihre erklärte Lieblings-Mitford Jessica, sie kommt selbst aus einer ähnlichen "Familienaufstellung", und sie hat derart turbulenten Stoff schon einmal glänzend bewältigt, mit der Biografie ihres genialen, skandalaffinen Maler-Bruders Martin.
Zeitgeist wird lebendig
Nancy, Pamela, Thomas, Diana, Unity, Jessica und Deborah Mitford also, Kinder von Lord und Lady Redesdale: Nancy wird Bestsellerautorin spitzzüngiger Gesellschaftsromane; Pamela wird Heimchen an einem ruhigen goldenen Herd; Thomas fällt 1941 in Burma; Diana lässt ihren Gatten, den Guinness-Erben, sausen, um den "Führer" der britischen Faschisten zu heiraten; Unity schmeißt sich gleich an den "echten Führer" ran, und zwar so, dass ihr Vater öffentlich dementieren muss, seine Tochter sei mit "Herrn Hitler" verlobt; Jessica haut minderjährig ab in den spanischen Bürgerkrieg, wird Kommunistin, das "rote Schaf" eben, und wandert 1939 in die USA aus; nur Deborah überlebt als geschäftstüchtige Duchess of Devonshire das irre Jahrhundert um 14 Jahre
Susanne Kippenberger hat ein wahres Kunststück vollbracht. Sie hält nicht nur ein zweistelliges Personenkarussell – Schwestern plus Liebhaber und Männer, Kinder und Enkel, Freunde und Kontakte, historische Figuren – in elegant schwingenden Bahnen, sie lässt Zeitgeist lebendig werden. Man lebt zum Beispiel mit Jessica mitten im multiethnischen proletarischen Oakland der 50er/60er Jahre, zwischen schwarzer Bürgerrechtsbewegung und Kommunistenhatz. Milieus und Mentalitäten sind so detailfreudig geschildert wie die Gepflogenheiten der britischen "jeunesse dorée" zwischen den Kriegen oder die Requisiten der Upper Class, die hin und wieder verhökert werden müssen, um ein Schloss zu halten.
Das alles ist wunderbar leichtfüßig erzählt, warmherzig, aber ohne Anbiederung. Richtig tolles, erbauliches Lesefutter. Man wünscht ihm Leserinnen und Leser zuhauf und vermisst eigentlich nur eins: ein Personenregister.
Susanne Kippenberger: Das rote Schaf der Familie. Jessica Mitford und ihre Schwestern
Hanser, München 2014
595 Seiten, 26,00 Euro
Hanser, München 2014
595 Seiten, 26,00 Euro